Theater mit Rauschebart und Samowar
Was manchen eine Verheißung war, das war anderen eine Drohung, die Ankündigung des Leitungsteams der Wiener Festwochen ihr Festival 2010 vor allem durch eins bestimmen zu lassen: durch Aufführungen, die man als nichts anderes als Mammutspektakel bezeichnen kann.
Es seien "richtige Zeitexpeditionen in der heutigen rasenden Zeit", verkündete Festwochenintendant Luc Bondy im Vorfeld und behauptete, zu episch langen Geschichten habe der Zuschauer eine andere Einstellung, er ließe sich darauf ein und überlege nicht die ganze Zeit, wie dies oder jenes gemacht sei. Fragt sich, für wen das gut ist, für den Theatermacher oder den Zuschauer. Aber sei's drum.
Dass vor dem Hintergrund unserer tatsächlich schnell getakteten Zeit nicht alles gleich Gold ist, nur weil es lange dauert, das ließ Bondy verständlicherweise unerwähnt. Denn dass sich das Zeitgefühl tatsächlich verändert hat, ist gar keine Frage, doch dass Theater, das sagen wir mal länger als drei Stunden dauert, heutzutage die Notwendigkeit für diese Zumutung erst beweisen muss, ist vielleicht nicht die schlechteste Errungenschaft der Gegenwart.
In Wien erkämpfte sich diesen Beweis vielleicht noch am ehesten der frankokanadische Bilderzauberer Robert Lepage, ein immer wieder gern gesehener Gast bei den Festwochen, der mit seiner Produktion den Zuschauer schon mal auf alles noch Kommende einübte: Immerhin dauert Lypsynch neun Stunden und zeigt mit neun Schauspielern neun Leben. Was Lypsynch als Plot zusammenhält, ist der Tod einer Mutter in einem Flugzeug über den Wolken und das Überleben ihres Babys.
Wie ein Teppich weben sich alle weiteren Geschichten um und in diesen Plot hinein, kreuzen sich hier und da, umspielen auch, wie der Titel schon sagt, das Motiv der Stimme und verlieren sich wieder.
Vielleicht war es diese offene Form, die zwar auch Durststrecken nicht ganz vermeiden konnte, die man aber dennoch als Herausforderung auch in ihrer Länge anzunehmen bereit war.
Das gestaltete sich bei dem zweiten Marathon schon schwieriger: In ihm präsentierte einer der Altmeister des polnischen Theaters, Krystian Lupa, in Wien mit seinem achtstündigen Projekt "Factory 2" seine Auseinandersetzung mit dem legendären Loftatelier von Andy Warhol, der Factory, die in den 60er-Jahren weniger als Kunstproduktionsstätte als vor allem als zwischenmenschliches Versuchslabor des genialen Voyeurs Andy Warhol funktionierte.
Dabei versuchte Lupa in epischer Breite die Banalität dieses schrägen Mikrokosmos im Spektrum zwischen Künstlertum und Drogenfreaks aufzufächern, auch wohl um jene authentische Banalität zu zeigen, die Warhol ja zum Credo seiner Kunst stilisierte. Doch die Banalität von langen Telefonmonologen und Ähnlichem trägt auf der Bühne dann doch nur kurz, und selbst wenn man Lupa Glauben schenken mag, dass in dem ein Jahr dauernden Probenprozess gruppendynamisch viel von dem nachvollzogen wurde, was auch damals in der tatsächlichen Factory passierte, so präsentierte sich Lupas Projekt dem mehr und mehr ermüdeten Zuschauer letztlich doch vor allem als eins: als eine extrem anstrengende Kunstanstrengung.
Die aber wurde dann noch getoppt durch einen weiteren Marathon, dessen Ankündigung die Theaterwelt sicherlich von vornherein spaltet: Dostojewskis "Dämonen" in der Inszenierung von keinem Geringeren als Peter Stein, tausend Seiten russische Literatur in zwölf Stunden Nacherzählungstheater und das alles mit italienischen Schauspielern.
Peter Stein hat sich bekanntermaßen schon lange auf eins festgelegt: Er interpretiert nicht mehr, er zeigt bloß noch. Diesmal also: alternde Liberale und junge Anarchisten kurz vor der russischen Revolution. Wer Steins Theater kennt, weiß, dass das nicht ohne Rauschebart und Samowar abgehen kann. Wem soviel Nostalgie nicht schmerzhaft in die Sitzknochen fuhr, konnte froh sein.
Wer etwas über die Gegenwart und vor allem auch über ein Russland und ein Osteuropa heute erfahren wollte, der ging lieber in Eis nach dem gleichnamigen Roman des russischen Kultautors Vladimir Sorokin, eine Produktion, die inszeniert von Kornel Mundruczo aus Budapest sicherlich zu den Höhepunkten der diesjährigen Festwochen gehörte. Wie immer in seinen Romanen zeigt Sorokin auch in Eis den Wahnwitz der gesellschaftlichen Strukturen seines Landes und die verzweifelte Suche nach Orientierung - hier auf der Basis von Verschwörungstheorien und dem Traum eines elitären Faschismus. In seiner Theatralisierung verstand es Mundruczo dabei kongenial, das trashige und brutale Ambiente von Sorokins Roman auf der Bühne lebendig werden zu lassen, bis hin zu den schmerzhaft ausgespielten Sexszenen, die den Menschen in seiner ganzen Erbärmlichkeit wie in seiner Brutalität ausstellten.
Und so steht diese in ihrem szenischen Verve beeindruckende Produktion Sorokins Roman in nichts nach und zeigt wieder einmal die aus gesellschaftlicher Verzweiflung erwachsende Kraft des osteuropäischen Theaters.
Die Festwochen sind ein Festival, das davon lebt, Welttheater mit lokalen Produktionen zu konfrontieren. Das gibt ihm das spezielle Ambiente, weltoffen und experimentierfreudig zu sein. Das ist dabei das Credo, dem man folgen will. Das Experiment ging in diesem Jahr in Richtung Marathon, auch das war einen Versuch wert, Festivals sollen und müssen ausprobieren, nur wiederholen allerdings sollte man diesen Versuch nicht unbedingt.
Dass vor dem Hintergrund unserer tatsächlich schnell getakteten Zeit nicht alles gleich Gold ist, nur weil es lange dauert, das ließ Bondy verständlicherweise unerwähnt. Denn dass sich das Zeitgefühl tatsächlich verändert hat, ist gar keine Frage, doch dass Theater, das sagen wir mal länger als drei Stunden dauert, heutzutage die Notwendigkeit für diese Zumutung erst beweisen muss, ist vielleicht nicht die schlechteste Errungenschaft der Gegenwart.
In Wien erkämpfte sich diesen Beweis vielleicht noch am ehesten der frankokanadische Bilderzauberer Robert Lepage, ein immer wieder gern gesehener Gast bei den Festwochen, der mit seiner Produktion den Zuschauer schon mal auf alles noch Kommende einübte: Immerhin dauert Lypsynch neun Stunden und zeigt mit neun Schauspielern neun Leben. Was Lypsynch als Plot zusammenhält, ist der Tod einer Mutter in einem Flugzeug über den Wolken und das Überleben ihres Babys.
Wie ein Teppich weben sich alle weiteren Geschichten um und in diesen Plot hinein, kreuzen sich hier und da, umspielen auch, wie der Titel schon sagt, das Motiv der Stimme und verlieren sich wieder.
Vielleicht war es diese offene Form, die zwar auch Durststrecken nicht ganz vermeiden konnte, die man aber dennoch als Herausforderung auch in ihrer Länge anzunehmen bereit war.
Das gestaltete sich bei dem zweiten Marathon schon schwieriger: In ihm präsentierte einer der Altmeister des polnischen Theaters, Krystian Lupa, in Wien mit seinem achtstündigen Projekt "Factory 2" seine Auseinandersetzung mit dem legendären Loftatelier von Andy Warhol, der Factory, die in den 60er-Jahren weniger als Kunstproduktionsstätte als vor allem als zwischenmenschliches Versuchslabor des genialen Voyeurs Andy Warhol funktionierte.
Dabei versuchte Lupa in epischer Breite die Banalität dieses schrägen Mikrokosmos im Spektrum zwischen Künstlertum und Drogenfreaks aufzufächern, auch wohl um jene authentische Banalität zu zeigen, die Warhol ja zum Credo seiner Kunst stilisierte. Doch die Banalität von langen Telefonmonologen und Ähnlichem trägt auf der Bühne dann doch nur kurz, und selbst wenn man Lupa Glauben schenken mag, dass in dem ein Jahr dauernden Probenprozess gruppendynamisch viel von dem nachvollzogen wurde, was auch damals in der tatsächlichen Factory passierte, so präsentierte sich Lupas Projekt dem mehr und mehr ermüdeten Zuschauer letztlich doch vor allem als eins: als eine extrem anstrengende Kunstanstrengung.
Die aber wurde dann noch getoppt durch einen weiteren Marathon, dessen Ankündigung die Theaterwelt sicherlich von vornherein spaltet: Dostojewskis "Dämonen" in der Inszenierung von keinem Geringeren als Peter Stein, tausend Seiten russische Literatur in zwölf Stunden Nacherzählungstheater und das alles mit italienischen Schauspielern.
Peter Stein hat sich bekanntermaßen schon lange auf eins festgelegt: Er interpretiert nicht mehr, er zeigt bloß noch. Diesmal also: alternde Liberale und junge Anarchisten kurz vor der russischen Revolution. Wer Steins Theater kennt, weiß, dass das nicht ohne Rauschebart und Samowar abgehen kann. Wem soviel Nostalgie nicht schmerzhaft in die Sitzknochen fuhr, konnte froh sein.
Wer etwas über die Gegenwart und vor allem auch über ein Russland und ein Osteuropa heute erfahren wollte, der ging lieber in Eis nach dem gleichnamigen Roman des russischen Kultautors Vladimir Sorokin, eine Produktion, die inszeniert von Kornel Mundruczo aus Budapest sicherlich zu den Höhepunkten der diesjährigen Festwochen gehörte. Wie immer in seinen Romanen zeigt Sorokin auch in Eis den Wahnwitz der gesellschaftlichen Strukturen seines Landes und die verzweifelte Suche nach Orientierung - hier auf der Basis von Verschwörungstheorien und dem Traum eines elitären Faschismus. In seiner Theatralisierung verstand es Mundruczo dabei kongenial, das trashige und brutale Ambiente von Sorokins Roman auf der Bühne lebendig werden zu lassen, bis hin zu den schmerzhaft ausgespielten Sexszenen, die den Menschen in seiner ganzen Erbärmlichkeit wie in seiner Brutalität ausstellten.
Und so steht diese in ihrem szenischen Verve beeindruckende Produktion Sorokins Roman in nichts nach und zeigt wieder einmal die aus gesellschaftlicher Verzweiflung erwachsende Kraft des osteuropäischen Theaters.
Die Festwochen sind ein Festival, das davon lebt, Welttheater mit lokalen Produktionen zu konfrontieren. Das gibt ihm das spezielle Ambiente, weltoffen und experimentierfreudig zu sein. Das ist dabei das Credo, dem man folgen will. Das Experiment ging in diesem Jahr in Richtung Marathon, auch das war einen Versuch wert, Festivals sollen und müssen ausprobieren, nur wiederholen allerdings sollte man diesen Versuch nicht unbedingt.