Theater-Lieferservice

Einmal "Judas" mit VR-Brille, bitte!

05:52 Minuten
Ein Mann mit VR-Brille schaut sich in einem Theater um.
Der Intendant des Augsburger Staatstheaters André Bücker mit VR-Brille. © Heimspiel GmbH
Von Natalja Joselewitsch · 22.04.2020
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Die Coronakrise macht kreativ: Beim Staatstheater Augsburg können sich Zuschauer per Lieferservice ihre Wunschproduktion direkt nach Hause liefern lassen – mitsamt VR-Brille. Die Pläne des Theaters gehen weit über die Stadt hinaus.
"Hallo?"
"Guten Tag."
"Hallo, ich bin Michelle Frenzel vom Staatstheater Augsburg. Ich habe eure VR-Brillen mitgebracht, mit dem Stück ,Judas’."
"Ja, vielen Dank! Ich bin ja schon sehr gespannt, ich hab sowas noch nie aufgehabt."
"Also, es steht alles mit drin in der Anleitung, und wenn Sie noch Fragen haben…"
Der Lieferdienst vom Staatstheater Augsburg ist da. Denn heute gibt es keine Pizza oder asiatisches Essen zum Abendbrot, sondern ein Theaterstück. Genau genommen den Monolog "Judas" – nur eine der Produktionen, die sich Augsburger Theaterfans seit Ostern liefern lassen können.
"Genau, Sie haben einfach zwei Stunden Zeit dafür…"
"Ok."
"… Und dann würde ich es danach wieder abholen."
"Gut, weiß ich Bescheid, vielen Dank!"
Geliefert wird "Judas" auf einer Virtual-Reality-Brille. Diese VR-Brillen erzeugen für den Träger oder die Trägerin eine scheinbar lebensechte 360-Grad-Welt. Damit sich dieser Effekt auch einstellt, werden in Augsburg extra Virtual-Reality-Produktionen inszeniert. Ein Stilmittel, das Intendant André Bücker schon länger fasziniert:
"Diese VR-Brillen haben tatsächlich ein Phänomen, was man sonst nicht kreieren kann: Das Gehirn wird ausgetrickst. Man befindet sich wirklich in einer anderen Welt. Man hat den Eindruck etwas anfassen zu wollen, oder man schreckt zurück vor etwas – und dann in einer 360-Grad-Umgebung, wo man wirklich auch selber bestimmen kann, wo guck ich denn hin. Das hat schon einen hohen Faszinationsfaktor."

Alles wirkt zum Greifen echt

"Herzlich willkommen in der VR-Bühne des Staatstheater Augsburg."
Das Intro einer VR-Vorstellung. 3D-Aufnahmen von Tänzerinnen, Schauspielern und Landschaften schwirren in leuchtenden Farben vor den Augen. Schon jetzt eine beeindruckende Reizüberflutung. Dann beginnt das Stück: "Judas - Ein Monolog" von Lot Vekemans: "Guten Tag, Grüß Gott. Ähm, ja, ist hier jemand, der mich nicht kennt? Gut, ich kann’s auch nicht sehen, egal…"
Der Zuschauer oder die Zuschauerin findet sich im Altarraum einer rötlich leuchtenden Kirche wieder – Angesicht zu Angesicht mit Judas, gespielt von Schauspieler Roman Pertel.
"Also, vielleicht haben einige von Ihnen bestimmte Erwartungen an mich, also bestimmte Erwartungen, die ich wahrscheinlich nicht erfüllen werde."
Ein Mann kniet in einer Kirche vor einer Kamera.
Der Schauspieler Roman Pertl bei der Produktion des VR-Stücks "Judas" am Staatstheater Augsburg.© David Ortmann
Judas – weiße Sneakers, schwarze Hose, Kapuzenpulli – steht vor einem Altar mit Holztisch. Die VR-Wirkung ist verblüffend: Wie im wirklichen Leben kann sich der Besucher oder die Besucherin nach hinten zum erleuchteten Kirchenschiff drehen.
Links und rechts liegen Gegenstände auf dem Boden. Ein Seil, zwei metallene Feuerschalen. Alles wirkt zum Greifen echt, nicht zuletzt durch das schlichte und sehr direkte Spiel von Pertl.
"Ich werde gleich das eine oder andere erzählen. Von mir. Und einem Mann, also von einem Mann und mir und ein paar anderen Leuten. Es ist eine bekannte Geschichte, jedenfalls teilweise…"

Eine digitale Theaterplattform ist in Arbeit

Neben "Judas" sind noch weitere Stücke für das VR-Repertoire geplant: Erst am Samstag feierte der Ballettabend "Shifting Perspectives" Premiere. Das Besondere an dieser Produktion: Die Zuschauerinnen und Zuschauer sitzen nicht nur im Zentrum der Choreografie, sondern nehmen auch die Perspektive einzelner Figuren ein. Für Intendant André Bücker eine einzigartige Möglichkeit:
"Man kann nicht nur auf das Stück eine andere Perspektive werfen, sondern man kann tatsächlich eine Perspektive einnehmen, und zwar eines Akteurs. Und das ist schon etwas sehr sehr Besonderes, dass man plötzlich durch dessen Augen etwas sieht, aber trotzdem noch sehr autonom entscheiden kann, was man sich anguckt."
Bücker will die VR-Produktionen noch weiter ausbauen und plant eine digitale Sparte am Staatstheater Augsburg. 500 VR-Brillen wurden für diesen Zweck schon angeschafft. Als nächstes möchte das Theater auch Menschen außerhalb von Augsburg erreichen:
"Wir arbeiten auch an einer Plattform, wo man dann unsere Stücke weltweit sehen kann, mit seiner eigenen Brille, also dass wir es online zur Verfügung stellen, aber da machen wir ein Pay-Per-View-Verfahren… Und das find ich auch wichtig in diesen Zeiten, dass Kunst und Kultur auch durchaus etwas kosten darf. Darauf darf man durchaus einmal wieder hinweisen."
Denn wann die Theater und Opernhäuser wieder öffnen dürfen, ist noch unklar. So oder so möchte das Staatstheater Augsburg seinen Lieferdienst auch nach Corona weiter betreiben. Denn der Service ist jetzt schon sehr beliebt.
Und Menschen, die aufgrund ihres Alters oder wegen Krankheit nicht ins Theater kommen können, gibt es zu jeder Zeit.
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