Theater

Große Geste in der Provinz

Das Denkmal von William Shakespeare, aufgenommen im Park an der Ilm in Weimar (Thüringen).
Auch 450 Jahre nach seiner Geburt beschäftigen sich noch etliche Theatergruppen mit Shakespeares Werk. © picture alliance / dpa
Von Ulrike Gondorf  · 05.07.2014
Eine Theatertruppe aus Budapest hat beim Shakespeare-Festival in Neuss ihre Inszenierung der Tragödie "Coriolan" präsentiert. Auffällig sind die Parallelen des Stücks zu den aktuellen Ereignissen in Osteuropa.
Das Globe auf der Neusser Rheinbahn – eine der sommerlichen Kulturadressen in NRW. Seit 1991 findet da das Shakespeare-Festival statt, in einem verkleinerten Nachbau des Londoner Theaters, für das viele der berühmten Stücke entstanden sind. Jedes Jahr sind internationale Gastspiele eingeladen, die den Zuschauern zeigen, wie man anderswo auf der Welt Shakespeare spielt. So hörte man jetzt auch mal Shakespeare auf ungarisch: die Römertragödie "Coriolan", an diesem Abend mit erschreckend vielen Buchstaben als "Korijolanusz" angekündigt.
Die Inszenierung der freien Theatertruppe HOPPart aus Budapest hat sich auf einigen Festivals schon große Beachtung erspielt, und sie ist in der Tat stark. Die junge Truppe um den Regisseur Csaba Polgar zeigt das Intrigenstück aus der römischen Geschichte als grelle böse, bitter-komische Satire. Politik ist ein schmutziges Geschäft, darauf läuft es hinaus in diesem Schlagabtausch ohne Sympathieträger. Der Titelheld Coriolanus kompensiert mit dem Auftreten des brutalen Militärs, dass er eigentlich nie erwachsen geworden ist und immer noch unter der Fuchtel seiner Mutter Volumnia steht. Die Senatoren sind arrogante, nur auf ihren persönlichen Vorteil bedachte Aristokraten, das Volk ist schwach, manipulierbar und ebenso materialistisch und egoistisch. Wenn sein Krieg Profit bringt, ist der eben noch verhasste Coriolan plötzlich ein Held.
Die Verachtung der Oligarchen und der Einfluss der Clans
Die abgekarteten und entwürdigenden Machtspiele (von Coriolan immer ins rechte Licht gesetzt mit einem kleinen Scheinwerfer, den er als "Hauptdarsteller" mit sich herum trägt), die Verachtung der Oligarchen, der Einfluss mächtiger Clans, die Wendehalsigkeit und taktische Hilfslosigkeit der Menge – es gibt viele Züge an dieser schnellen, nur 90 Minuten langen Inszenierung, die genau auf die Lage in den postsozialistischen Ländern passen. Mit Blick auf die aktuelle Situation in Ungarn wird zum Beispiel über Manipulation durch die Medien und Zensur debattiert. Aber auch zu Russland und der Ukraine fallen einem jetzt erschreckend viele Parallelen auf, obwohl die Inszenierung schon einige Jahre alt ist.
HOPPart, von Polgar vor sieben Jahren mit ehemaligen Mitstudenten einer Theaterakademie gegründet, macht in Budapest "freies Theater" im doppelten Wortsinn. Öffentliche Zuschüsse erhält die Gruppe ohnehin nicht. Für ihren Lebensunterhalt arbeiten die Mitglieder alle noch anderswo. Und dass ihr Engagement einen Preis hat, das gibt diesem Abend mit acht Männern und vier Frauen vielleicht noch zusätzliche Schubkraft.
Zu wenig Welttheater beim Festival
Ein starkes Stück politisches Theater mit einem 400 Jahre alten Text. In Neuss ist dieser ungarische Shakespeare in diesem Jahr leider schon der "exotischste" Programmpunkt. In vergangenen Festspielsaisons waren immer wieder Ensembles aus Regionen zu Gast, die dem europäischen Theaterblick ganz neue Perspektiven geöffnet und in Shakespeare unbekannte Facetten freigelegt haben. Theater aus Afrika, aus Korea, aus Afghanistan konnte man erleben, während in diesem Jahr die "Stammgäste" das Programm dominierten: die (nur mit Männern besetzte) Propeller Company aus England zum Beispiel, seit Jahren die absoluten Publikumslieblinge und Kassenmagneten des Festivals im Neusser "Globe". Sie zeigten zwei rasante Komödien. Oder die Bremer Shakespeare Company mit ihrem poetischen "Pericles", der dem eher schwachen Stück mit Puppentheater auf die Beine hilft. Schöne Abende, aber für die nächste, dann schon 25. Saison des Festivals wäre doch wieder auf mehr Shakespeare – Welttheater zu hoffen.
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