Theater-Besetzung in Berlin

"Es scheint doch vor allem eine politische Aktion zu sein"

Ein Aktivist mit Maske steht in Berlin im Foyer der Volksbühne. Aktivisten haben das Gebäude besetzt.
Ein Aktivist mit Maske steht in Berlin im Foyer der Volksbühne. Aktivisten haben das Gebäude besetzt. © picture alliance / Paul Zinken/dpa
André Mumot im Gespräch mit Susanne Burkhardt · 23.09.2017
Nach der Besetzung der Volksbühne in Berlin ist unklar, welche Ziele die Aktivisten verfolgen - er sei im Haus vor allem jungen Leuten aus der studentischen Szene begegnet, berichtet unser Reporter. Das Theater bat die Besetzer inzwischen in einer Erklärung, doch bitte mal zu lüften.
Seit gestern Nachmittag ist die Berliner Volksbühne besetzt. Angekündigt hatte das auf Facebook ein Kollektiv namens Staub zu Glitzer: Monatelang habe man im Verborgenen gearbeitet, jetzt werde das Haus für drei Monate übernommen. Eine kollektive transmediale Theaterinszenierung wurde angekündigt und die Volksbühne zum Eigentum aller Menschen erklärt.
Demonstriert wird mit der Hausbesetzung, die als Kunstaktion daherkommt, gegen neoliberale Stadt- und Standort-Politik, gegen Gentrifizierung. Angekündigt wird ein Spielplan, der offen ist zur Partizipation. Die alten Volksbühnenmitarbeiter und -künstler sind eingeladen sich zu beteiligen, ebenso alle interessierten Bürger dieser Stadt.
Die erste bekannte Theaterbesetzung in Nachkriegsdeutschland kommt also als große anarchistische Aktion daher. Doch wer sind die Aktivisten und was treiben sie derweil?
"Also, ich habe jetzt noch nicht so viel Theater erlebt, es wurde ein bisschen Musik gemacht, es wurden Aktionen angedeutet - mit so einer großen Atomrakete aus Pappe, aber es scheint doch vor allem eine politische Aktion zu sein", berichtet Reporter André Mumot im Deutschlandfunk Kultur.
Namen der an der Besetzung Beteiligten seien keine im Umlauf, nach Mumots Eindruck sind darunter viele sehr junge Leute: "Das ist das so eine Mischung aus einer studentische Szene, die da aktiv ist, und einigen künstlerische Mitarbeitern."

Intendant und Kultursenator vor Ort

Es wurde gelesen, es wurde sehr viel diskutiert. Bis tief in die Nacht gab es Gespräche zwischen den Aktivisten, der Kulturverwaltung und dem Volksbühnenteam. Auch Intendant Chris Dercon und Kultursenator Klaus Lederer von der Linken waren dabei.
Wichtig sei den Besetzern, "dass möglichst viele Menschen immer Haus sind, weil das natürlich eine mögliche Räumung erschwert", meint Mumot. "Wenn da wie gestern Abend 400, 500 Menschen zusammen kommen, ist es natürlich sehr schwer da reinzugehen."
Seinem Eindruck nach handelt es sich bei den Aktivisten nicht um "das klassische Volksbühnenpublikum", sondern eben "ganz junge Leute, die da mit den Begriffen der Political Correctness arbeiten".
Für Mumot zeigen sich dabei kaum Schnittmengen mit der Castorf-Ära:
"Wenn die den 'Faust' gesehen hätten, dann hätten sie gesagt, warum muss denn das Gretchen halbnackt auf dem Tisch liegen und sich befummeln lassen von morgens bis abends. Also, ich bin mit gar nicht so sicher, ob das jetzt ideologisch mit der Castorfschen Volksbühne übereinstimmt."
Mumot vermutet, dass es die Aktivisten auf eine Räumung womöglich anlegt haben könnten, "dass da Videos und Fotos entstehen sollen, wie Polizisten die Volksbühne stürmen und linke Demonstranten daraus ziehen". Das mache ihm Bauchschmerzen: "Dann ist wirklich, glaube ich, die Volksbühne unter Dercon gar nicht mehr zu retten – ideologisch nicht mehr zu retten."

"Bitte lüftet mal"

Um das Theater tobt seit Monaten ein teils erbitterter Streit. Hintergrund ist der Kurs von Dercon, der als Nachfolger des langjährigen Chefs Frank Castorf im August das Haus übernahm.
Kritiker befürchten, dass die Volksbühne zu einem kommerzialisierten Eventtheater umgestaltet werden könnte.
In dem Haus am Rosa-Luxemburg-Platz sind erst ab November Aufführungen des Dercon-Teams geplant. Derzeit finden Vorstellungen nur am zweiten Spielort auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof statt.
Das Theater erklärte Samstag, dass die geplanten Vorstellungen dort selbstverständlich stattfänden. Von den Aktivisten erwarte man, dass sie die Hausregeln beachteten, das Haus nicht beschädigten und den Mitarbeitern "friedlich" begegneten - "und bitte lüftet mal."
(huc/dpa)