Theater auf der Höhe der Zeit

Von Christoph Leibold |
Frank Baumbauer nimmt nach acht Jahren Abschied von den Münchner Kammerspielen. Auf seine Zeit als Intendant schaut er positiv zurück.
Noch einmal, ein letztes Mal: "Othello". Im Frühjahr 2003 wurde das Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele nach langer Renovierungspause mit Luk Percevals Inszenierung von Shakespeares Tragödie wieder eröffnet. Frenetisch gefeiert von den einen, gnadenlos ausgebuht von den anderen - wegen der drastischen Sprache der Neu-Übersetzung von Feridun Zaimoglu und des radikalen Regieansatzes von Luk Perceval. Doch die Aufführung setzte sich durch und wurde zu einem der Renner der Intendanz Frank Baumbauer. An seinem letzten Arbeitstag, wurde der "Othello" noch einmal gezeigt – einhellig bejubelt:

"Ich vermag mich gut an die Premiere zu erinnern, da dacht ich mir, ganz viele Ohrenärzte werden jetzt zu tun haben, denn so wie die Leute gebuht haben, kriegen die Gehörstürze. Und warum wir das als letzte Vorstellung spielen, hat nichts damit zu tun, dem Publikum zu sagen: ,Das habt Ihr damals nicht kapiert, und jetzt habt Ihr es geschnallt!’ Sondern eigentlich, um den Respekt zu zeigen: ‚Kuckt mal, wie wir uns gemeinsam entwickeln können.’ Ich glaube, das Publikum hat sich selbst entwickelt. Und das ist das, worauf ich am stolzesten bin in der ganzen Zeit."

Frank Baumbauer war kein regieführender Intendant. Das mit dem Inszenieren hat er schon früh hinter sich gebracht, in seinen ersten Jahren am Theater, am Münchner Residenztheater etwa, wo er Anfang der 80er-Jahre auch kurz Intendant war, aber bald schon wieder gehen musste, weil sein Spielplan mit Autoren wie Kroetz und Achternbusch der konservativen bayerischen Staatsregierung nicht genehm war. Baumbauer wurde Intendant am Theater Basel, später am Schauspielhaus Hamburg und ab 2001, zurück in seiner Heimatstadt München, an den Kammerspielen. In all den Jahren hat er seine Rolle perfektioniert: die des Ermöglichers, der mit sicherem Gespür immer wieder die richtigen Leute zusammenbrachte, wie Regisseur Jossi Wieler bestätigt:

"Das Besondere an Frank Baumbauer ist, dass er die Künstler liebt, die Schauspieler liebt, so dass er immer wieder es schafft, Künstlerfamilien zusammenzuführen und sie auch über lange, lange Phasen zu begleiten."

Jossi Wieler selbst war einer dieser langjährigen künstlerischen Weggefährten Frank Baumbauers. Christoph Marthaler ein anderer. In der Zeit an den Münchner Kammerspielen kamen Regisseure wie Andreas Kriegenburg und Baumbauers designierter Nachfolger Johan Simons zur Theaterfamilie. Baumbauer:

"Das Ganze basiert auf einem Wort, das ich sehr hoch schätze und das hoffentlich nicht abgegriffen ist: Das heißt: Vertrauen. Das heißt, wenn wir mit jemandem zusammenarbeiten, dann ist das so fundiert, dass sie die Pirouette ruhig versauen können. Dann sag ich: laufen wir noch mal, und trainieren so lange, bis es geht."

Bei allem Vertrauen und aller freundschaftlichen Verbundenheit hat Frank Baumbauer doch fast immer persönlich Distanz gewahrt. Er duzt sich nur mit wenigen seiner Mitarbeiter. Sein kritischer Blick war nicht zu korrumpieren durch das, was man in Bayern "Spezl-Wirtschaft" nennt. Verbindlich im Ton, fair im Umgang und nie bereit zu faulen Kompromissen, so hat ihn der Schauspieler Peter Brombacher erlebt, der an verschiedenen Häusern, die Baumbauer leitete, zum Ensemble gehörte:

"Er ist sehr präsent. Also, er kennt den Laden von vorne bis hinten. Er weiß, was hier läuft, was mit den Schauspielern los ist und so. Das ist eine große Qualität. Aber im Prinzip ist er sehr ruhig und überlegt. Aber er sorgt schon dafür, dass sein Wille geschieht sozusagen. Aber dazu muss er nicht laut werden."

Gemeinsam mit seinem Team bewies Frank Baumbauer stets eine gute Nase für Entwicklungen – ästhetische ebenso wie gesellschaftliche. So machte er die Kammerspiele in jeder Hinsicht zu einem Theater auf der Höhe der Zeit. Und in der Höhe, das weiß Frank Baumbauer, kann man sich nur eine Zeitlang halten, dann geht es wieder bergab:

"Also, wer meine Theaterbiografien – so viel waren es nicht – in den Städten verfolgt hat, der weiß auch, dass ich mich immer zu einem Zeitpunkt verabschiedet habe, bevor in mir selber die Sorge aufkeimte, es könnte sein, dass es jetzt sich wiederholt, dass es gewöhnlicher wird, dass die Farbe aus dem Bildschirm rausgeht, dass die Erotik absolut verblasst."

Und so hat Frank Baumbauer seinen Hut genommen, lang bevor sich irgendwelche Abnutzungserscheinungen bemerkbar gemacht hätten. Der Start in München war schwierig gewesen, das Publikum brauchte eine Weile, um Baumbauers Theater anzunehmen. Dennoch wurden die Kammerspiele unter seine Ägide in jeder Spielzeit mindestens mit einer Produktion zum Berliner Theatertreffen eingeladen: 2001 mit Jon Fosses "Traum im Herbst", inszeniert von Luk Perceval, und Euripides "Alkestis" in der Regie von Jossi Wieler. Und zuletzt 2009 mit Andreas Kriegenburgs atemberaubender Bühnenadaption von Kafkas "Prozess". Kein Wunder, dass Frank Baumbauers persönliches Fazit nach acht Jahren Münchner Kammerspiele, in aller Bescheidenheit, positiv ausfällt:

"Ich gehe sehr gerne weg, weil ich weiß, dass das Haus gut bestellt ist. Und weil ich jetzt zurückblicken kann auf eine wirklich gute Zeit."