Theater als Gotteshaus

Von Bernhard Doppler · 31.12.2009
Das kleine Schauspielhaus in der Wiener Porzellangasse hat zehn Stücke in Auftrag gegeben, die jeweils eines der zehn Gebote Gottes zum Thema haben. Fast jede Woche startet bis Ostern ein neues Stück, bei der Ruhrtriennale wird die Serie wieder aufgenommen.
Ein Gebot: neun Euro. Fünf Gebote: 40, und alle zehn Gebote: 70 Euro. Das Schauspielhaus Wien hat für das neue Jahr ein eigenes Abonnement mit Mengenrabatt aufgelegt. In zehn Uraufführungen, Auftragswerken an junge Schriftsteller, werden Woche für Woche die zehn Gebote Gottes erforscht werden. Dafür wird in einem Nebengebäude des Schauspielhauses zum Jahreswechsel eine kleine Kapelle eingeweiht. Sie dient als Einheitsbühnenbild.

"Also das 'Schauspielhaus ist Gegenwart', so haben wir es verkündet in unserer ersten Spielzeit; wir sind vielleicht das einzige Theater, aber sicherlich das einzige im deutschsprachigen Raum, das ausschließlich mit Autoren und Autorinnen der Gegenwart programmiert wird. Wir richten unser Hauptaugenmerk auf diesen kurzen flüchtigen Augenblick, den man 'Gegenwart' oder das 'Jetzt' nennt."

Seit drei Jahren leitet Andreas Beck das Wiener Schauspielhaus im IX. Bezirk, in unmittelbarer Nähe des Sigmund-Freud-Hauses. Und neben den zahlreichen Uraufführungen, oft in Koproduktion mit dem Neumarkt-Theater in Zürich und dem Maxim Gorki-Theater in Berlin, versuchte er sich bereits zwei Mal in Serien. In den letzten Jahren wurden in zehn beziehungsweise zwölf Folgen Heimito von Dodereres Roman "Die Studelhofstiege" und Sigmund Freuds "Gesamtwerk" aufgeführt. Nun: Mit den zehn Geboten im Theater eine Religionsstunde?

"Nun fängt es schon damit an, du sollst keinen Gott neben mir haben, da wird es schon mal schwierig, wie legt man das aus; vielleicht ist das immer schon zu interpretieren gewesen im Sinne, dass es nicht heißt: Du darfst nicht - kritzel kritzel - ein Bild machen von Gott, sondern im Sinne von 'Gott ist eine Idee'. Das klingt jetzt alles ernst. Doch Spaß muss sein, sonst geht keiner mit, auch auf keiner Beerdigung."

Die eingeladenen Schriftsteller werden ihre Aufträge auch sehr unterschiedlich auffassen: Gerhild Steinbuch, Maria Mendes, Ilija Trojanow, Iwan Wyrypajew, Paulus Hochgatterer und Katthrin Röggla, die Autoren der ersten Stücke, die bis Mitte März zur Uraufführung kommen. Eröffnet wird die Serie durch Ewald Palmetshofer, einer der zur Zeit erfolgreichsten Dramatiker, der hier in Wien seinen Beginn 2008 genommen hatte. Dass er nicht nur komödiantisch das Lebensgefühl der 30-Jährigen zu formulieren versteht, sondern auch Theologie und Philosophie studiert hat, kann er nun ausspielen. Die zehn Gebote, so Palmentshofer, sind nicht private Vorsätze, sondern Politik. Gibt es noch Politik?

"Die Gebote wurden ja ganz massiv so auf eine individuelle Moral hin eingeschränkt, und bis hin, dass es in einem Beichtspiegel abgebildet hat, wo man irgendwie quasi die persönlichen Übertretungen halt abfragen konnte. Und die Überlegung war eigentlich zurückzugehen: Nein, es ist ein Regelwerk, die Adresse, an die diese Regeln gesprochen werden, ist ein Volk und es ist eine Gemeinschaft, und es ist nicht so sehr die Einzelperson und viele dieser Gebote sind öffentliche Gebote, die gar nicht in dem privaten Sinn verstanden wurden, als die man sie heute sieht."

Nicht mit dem ersten, sondern mit dem achten Gebot wird die Serie beginnen. "Herzwurscht oder immer alles eine Tochter". "Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit", hatte zunächst ein Nationalpräsident der konservativen ÖVP, dann wiederum der freiheitlichen Partei verkündet. Gibt es allgemeine Wahrheit nicht mehr und was bedeutet das. Die Berater des Präsidenten, aber auch das Volk ist im Herzen getroffen und sondert eine "Herzwurst" aus.

"Ich glaub, dass der Anlass dazu wohl ein sehr österreichischer war, allerdings glaube ich, dass die Frage dahinter schon politisch zentral ist. Das achte Gebot lautet, du sollst nicht falsch Zeugnis geben wieder deinen Nächsten, im ursprünglichen Verständnis ein öffentliches Gebot, da geht es nicht um die Privatlüge, sondern tatsächlich in einer frühen Gesellschaft um die Zeugenaussage vor Gericht. Die Frage war, ob Wahrheit nicht ganz massiv zur bloßen Meinung im politischen Kontext geworden ist: Also wie kann man von Prinzipien wie Gleichheit der Menschen reden, wann Wahrheit nur mehr so ein Meinungsding ist."

Moralische Vorsätze zum Wechsel ins neue Jahrzehnt und ein Wunsch nach Veränderung? "Das weniger", meint Ewald Palmentshofer, "eher ein Schärfen des Bewusstseins und der Wahrnehmung." Und Andreas Beck verweist auf seine Herkunft aus dem Rheinland:

"Sie wissen ja warum im Karneval die Elf so eine wichtige Zahl ist. Sie ist das elfte Gebot. Zehn Gebote gab es, die närrische Elf ist eben halt das andere Gebot. Na ja, unser zwölftes Gebot heißt: 'Du sollst unterhalten werden.' Das nehme ich auch für mich immer wieder in Anspruch."