Theater als Endspiel

Von Bernhard Doppler · 24.02.2009
Regisseur Peter Konwitschny hat im Grazer Schauspielhaus das Shakespeare-Drama "König Lear" neu inszeniert. Hauptdarsteller war Udo Samel.
Der Zuschauerraum ist zunächst selbst die Bühne. Ein breiter Steg zwischen den Reihen führt zu einer Leiter, auf den man in den ersten Rang und seinen Logen steigen kann. Auf der Drehbühne selbst haben Teile des Publikums Platz genommen. König Lears Welt: ein Theater.

Seit vier Jahren schon hat Peter Konwitschny keine neue Musiktheaterinszenierung mehr gezeigt, höchstens hat er alte Produktionen neu aufpoliert. Wenn er nun wieder, wie in seinen Anfängen in den 70-er und 80-er Jahren, ein Schauspiel inszeniert, bleibt er seinen Musiktheater-Themen treu: Theater als Endspiel.

Was ein eitler selbstgefälliger König zunächst als Kasperstück theatralisch inszeniert: seine Machtaufgabe und den Liebesbeweis seiner Töchter - gerät schnell zum apokalyptischen Szenario. Zunächst ist dieser König (Udo Samel) noch ganz Narr und auch seinen Ruhestand, nun ohne politische Verpflichtungen, stellt er sich zusammen mit seinem Gefolge fidel und bierselig vor. Doch als er merkt, dass er sich bei seinen Töchtern keineswegs einquartieren kann, ja vor die Tür gesetzt wird, identifiziert er sich mit dem Sturm und Unwetter, demoliert dabei die ersten Zuschauerreihen und reißt die Plüschstühle aus der Verankerung.

Nach der Pause ein Perspektivewechsel. Lear wird ins 20. Jahrhundert geholt. Nun, eine kahle Guckkastenbühne – die Zuschauer wieder auf den gewohnten Plätzen. Die Blendung Glosters, zuvor noch eine gruselige Theater-Moritat, ist nun moderne Folter. In schwarzen Anzügen agieren die Darsteller wie in einem modernen Gangsterfilm oder wie in einer Krankenhaus-Soap, wenn die verstoßene Tochter Cordelia wieder auf den todkranken, verrückt gewordenen alten Vater trifft.

Videoeinspielungen auf den Wänden überlappen dann die Bühnendialoge. Schließlich noch ein weiterer Perspektive-Wechsel: Im legeren Alltagsgewand kommen in der Schlussszene die Hauptfiguren auf die Bühne und setzen sich auf das Zuschauerpodest. Mit langen Pausen spricht jeder - vom anderen getrennt – sehr leise den Text des blutigen Finales, bei dem fast niemand lebend übrig bleibt.

So sehr König Lear die Handschrift Peter Konwitschnys zeigt, im aktuellen Theaterbetrieb ragt er doch als seltsamer Einzelfall heraus. Auffallend ist zunächst, dass Konwitschny – im Musiktheater ja durch überraschende Interpretationen verblüffend – bei Shakespeare nichts verändert, ja fast ohne Striche die Vorlage wie eine Partitur behandelt. Zusätzliches Material wird nicht einmontiert, Konwitschny ist als Schauspielregisseur kein Co-Autor.

Was beeindruckt, ist die handwerkliche Meisterschaft der Arrangement, die Präzision der akustischen Instrumentation des Textes. Mag sein, dass hier ihm noch immer auch seine Erfahrungen aus den 70-er und 80-er Jahren zugute kommen. Auch kann Konwitschny in Graz auf ein gutes Ensemble zurückgreifen, das sich unter der Intendantin Anna Badora in den letzten beiden Spielzeiten in Österreich in die erste Reihe gespielt hat: sei es die weinerlich resolute Goneril (Friederike von Stechow), der an seinem Körper arbeitende jugendliche Bastard Edmund (Jan Thümer) oder der in der Verkleidung zum Volksschauspieler mutierende Graf von Kent (Gerhard Balluch). Im Mittelpunkt natürlich der fast jugendlich weiche, kleine selbstverliebte König Lear von Udo Samel, komisch, unheimlich und dennoch nie Mitleid erregend. "I am Lear" hat er sich als Schild am Ende umgebunden, so wie wenn er selbst vergewissern müsste, dass er einmal ein König gewesen ist.