Theater als Debattenort

Provokation ist muffige Avantgarde

Szene aus "Fear" von Falk Richter an der Schaubühne Berlin
Es muss am Theater nicht provokant zugehen, findet Mark Terkessidis. Szene aus Falk Richters "Fear" an der Schaubühne. © Foto: Arno Declair
Mark Terkessidis im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 28.01.2016
Muss Theater provozieren, um zu gesellschaftlichen Debatten beizutragen? Im Gegenteil, sagt der Autor Mark Terkessidis. Er plädiert für mehr Ruhe auf den Bühnen.
Theater könnten nach Überzeugung des Autors Mark Terkessidis stärker als bisher Orte der Debattenkultur werden - und damit eine alternative Öffentlichkeit darstellen. "Das Theater würde die Möglichkeit bieten, die Debatten nicht mit der panischen Intensität zu führen, die wir dieser Tage in der großen Öffentlichkeit haben", sagte Terkessidis. "Wir gehen ja von einer Krise in die nächste."
Es entspräche eher einem "muffigen Avantgarde-Begriff" zu denken, alles müsse nur aus Provokation bestehen - so denke etwa Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles. "Ein Ort der Unruhe kann man auch dann sein, wenn man Debatten mit Ruhe führt", zeigt sich Terkessidis überzeugt.
An Peymann kritisiert der Psychologe einen "Konservatismus, der wirklich erstaunlich" sei. Das habe dessen Reaktion auf die Berufung Chris Dercons zum künftigen Chef der Berliner Volksbühne gezeigt: Leute mit einer "linken Geschichte" glaubten, sie müssten "alles und jedes gegen den Neoliberalismus verteidigen, der als das Böse schlechthin gilt - dabei verteidigen sie nur konservativ die Strukturen, die schon da sind", sagt Terkessidis.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Reden wir also noch mal über Denkverbote, gesellschaftliche Debatten, Tabus! Wenn es einen Bereich gibt, der sich darum nicht scheren müsste, dann ist das doch eigentlich die Kunst, Kunst im weitesten Sinne, bildende Kunst, Theater, Literatur, diejenigen, die frei sind, outside the box zu denken, kritisch zu sein, sich vom Mainstream zu emanzipieren. Funktioniert das im deutschen Kulturbetrieb des Jahres 2016?
In Berlin nimmt sich ein Symposium des Berliner Theaterkombinats HAU und des Neuen Berliner Kunstvereins Fragen wie dieser an: Was ist Kritik? Das ist die Leitfrage und wir wollen diese Debatte hier führen mit dem Autor Mark Terkessidis. Er hat sich gerade erst zu Wort gemeldet mit einem Plädoyer für Veränderung der Theater. Herr Terkessidis, guten Morgen!
Mark Terkessidis: Guten Morgen!
Frenzel: Ein nationales Bürgertum besteht darauf, unter sich zu bleiben. Das haben Sie geschrieben über die Haltung vieler Theatermacher in Deutschland. Fällt das Theater heute aus als Ort kritischer Debatten?
Terkessidis: Nein, überhaupt nicht. Ich finde ja, dass die Theater sich schon in einem Veränderungsprozess befinden, den ich gerne unterstützen würde. Das heißt, es hat eine ganz erhebliche Öffnung gegeben weg vom sozusagen kanonischen Repertoire, was man im Stadt-/Staatstheater spielt, hin dazu, auch wirklich Diskurse am Theater abzubilden, neue Formen auszuprobieren, sich zu öffnen. Aber auf der anderen Seite gibt es auch ganz erhebliche verkrustete Strukturen gerade an diesem Stadt-/Staatstheater, das darauf besteht, eine bestimmte Klientel zu befriedigen und das Übliche zu tun. Und das ist das, was ich kritisiert habe.
Frenzel: Jetzt könnten ja gerade die Altmeister der Regie und des Theaters für sich in Anspruch nehmen: Wir sind doch die Letzten, die immer kritisch waren, kritisch gegenüber der Macht, gegenüber dem neoliberalen Diskurs, also die Castorfs, die Peymanns?
Terkessidis: Ja, das ist so ein gewisses Problem, dass man einfach denkt, wenn man einmal kritisch gewesen ist in seinem Leben, dass man das fortgesetzt dann auch später weiterhin ist.
Der Intendant als Diktator am Staatstheater
Frenzel: Und das ist nicht unbedingt so?
Terkessidis: Das ist überhaupt nicht so. Ich meine, an Peymann konnte man ja gerade sehen, dass der, als in Berlin darüber nachgedacht wurde, an die Volksbühne Chris Dercon zu holen, also, wie soll ich sagen, also, einen Konservatismus an den Tag gelegt hat, der wirklich erstaunlich ist. Und tatsächlich ist es so, dass gerade diese Leute, die eine linke Geschichte haben, heute glauben, sie müssten sozusagen alles und jedes gegen den Neoliberalismus verteidigen, der als das Böse schlechthin gilt. Dabei verteidigen sie aber eigentlich nur konservativ die Strukturen, die schon da sind.
Und wenn man sich das Stadttheater dieser Tage anguckt, dann ist das ein Betrieb, in dem man wirklich extrem unter sich bleibt, extrem lange Arbeitszeiten hat, in dem im Grunde ein Diktator, also der Intendant dieser Angelegenheit vorsteht, wo wie gesagt Arbeitsbedingungen herrschen, wo man sagen muss, das hat weder mit Demokratie was zu tun, noch muss man da Angst vorm Neoliberalismus haben, denn viel schlimmer kann es eigentlich nicht mehr werden!
Frenzel: Das große Thema ist ja auch sowieso gerade nicht Neoliberalismus, sondern zum Beispiel die Flüchtlingsfrage. Wie muss denn Kunst, wie muss Theater sein, damit es da gesellschaftlich relevant ist?
Terkessidis: Ja gut, das ist natürlich schwer zu sagen. Die Flüchtlingsfrage ... Das Problem ist irgendwie, dass, wenn man denn versuchen möchte, mit Leuten zu arbeiten, dann brauche ich sozusagen Strukturen, die Partizipation ermöglichen. Das ist aber nicht gewährleistet, wenn ich sozusagen die Leute eigentlich nicht reinlasse. Also, zum Beispiel ist es so, dass das Intendantenmodell, sagt ja, gut, es ist eine Person, die oben steht ...
In Belgien zum Beispiel hat man darüber nachgedacht, Theater durch Räte sozusagen verwalten zu lassen, wo man von vornherein sagt, ja, die Programmgestaltung ist so, dass eben verschiedene Gruppen, die in der Stadt leben, verschiedene Aspekte der Stadt und so weiter, auch nicht immer nur von Leuten, die direkt aus dem Theater kommen, sozusagen ins Theater hineingebracht werden. Dann brauche ich vielleicht auch ein anderes Personal, das eben nicht nur aus diesem Bürgertum stammt. Und ich muss eben Möglichkeiten haben, ein bisschen flexibler auf viele Dinge zu reagieren. Also, mit einer Woche, die Frau Grütters jetzt für Flüchtlinge eingeleitet hat, die dann heißt "Kultur öffnet Welten", damit ist es bestimmt nicht getan.
100 Prozent Subventionen für fünf Prozent der Bevölkerung
Frenzel: Ist nicht sowieso das Problem, dass eigentlich, egal wie man es macht, ob nun so hierarchisch organisiert, wie Sie es kritisieren, oder auch anders organisiert, eigentlich immer dieses berühmte linksliberale urbane Publikum erreicht wird? Also die, die sowieso nicht das Problem sind?
Terkessidis: Das weiß ich nicht. Das würde ich so nicht sagen. Momentan ist es so ... Das ist ja auch nicht immer linksliberal, das Publikum, das ins Theater geht, das ist auch ein sehr konservatives Publikum, das ins Theater geht. Das ist vor allen Dingen sehr schichtgebunden.
Und es ist so, dass einfach wir, um das mal ganz populistisch zu sagen ... Also, wir haben hier Institutionen im gesamten Kulturbereich, die werden vom im Großen und Ganzen fünf Prozent der Bevölkerung genutzt, aber die ganze Bevölkerung bezahlt dafür, denn das sind Institutionen, die in Deutschland fast 100 Prozent auf die eine oder andere Weise staatlich gefördert sind. Und da ist doch ein Ungleichgewicht. Da muss ich doch sagen, das muss man doch so ändern, dass dieses Stadttheater wie auch immer auch tatsächlich für die Stadt, für den urbanen Raum da ist.
Frenzel: Kann man denn da Brücken bauen? Ich bin noch mal bei den Menschen, die man erreicht, okay, fünf Prozent ist zu wenig, aber wen man da auch nicht erreicht. Wir haben ja gerade dieses gesellschaftliche Auseinanderdriften. Kann denn Theater, kann Kunst auch das Pegida-Deutschland erreichen?
Terkessidis: Gut, das weiß ich nicht. Das Pegida-Deutschland ... Erstens ist das Pegida-Deutschland natürlich eines, das sozusagen teilweise auch aus dem Bürgertum stammt, dann ist es natürlich erreichbar. Auf der anderen Seite ist das Pegida-Publikum auch immer ein rechtsextremes Publikum, in bestimmten Städten ist es ganz sicher so, und da ist die Frage, wer die überhaupt erreicht. Also, das weiß ich nicht, ob man die mit Kunst erreichen kann.
Ich finde, es sind aber auch die ganz großen Fragen. Also, es ist immer so ein bisschen so, wie verhält sich jetzt die Kunst zur Flüchtlingsfrage, wie verhält sich jetzt die Kunst zu Pegida und so weiter ... Ich glaube, dass es auch eine Reihe von kleinen Veränderungen ...
Debatten führen ohne panische Intensität
Frenzel: Lassen Sie mich die Frage so stellen: Wie wird das Theater zu einem Raum, wo man das Gefühl hat, da finden die gesellschaftlichen Debatten statt?
Terkessidis: Indem die Debatten im Theater aufgenommen werden. Das Theater kann ja sozusagen eine alternative Öffentlichkeit darstellen, das ist es ja zum Teil auch. Und das Theater würde die Möglichkeit bieten, die Debatten nicht mit der panischen Intensität zu führen, die wir dieser Tage in der großen Öffentlichkeit haben.
Das heißt, wir gehen ja sozusagen von einer Krise in die nächste, dass in Griechenland eine Krise war, haben wir heute schon wieder vergessen, weil die Flüchtlinge da sind. Und das Theater würde ja die Möglichkeit bieten, gerade weil es sozusagen auf einem stabileren auch finanziellen Fundament aufruht, sozusagen Debatten mit einer gewissen Ruhe zu führen. Und damit könnte es ein Ort werden für die alternative öffentliche Auseinandersetzung.
Frenzel: Theater als Ort der Ruhe. Ich meine, eigentlich ist doch Theater der Ort der Subversion, der Aufregung, des Aufbruchs?
Terkessidis: Ja, das ist eine bestimmte Auffassung von Theater. Also, wenn man ... Das ist so ein bisschen ein muffiger Avantgarde-Begriff, den dann eben Leute wie Peymann auch haben, wenn sie dann denken, dass das alles nur in Provokation besteht. Also, ein Ort der Unruhe kann man auch dann sein, wenn man Debatten mit Ruhe führt. Also, das glaube ich nicht. Aber dass alles auf Provokation und Subversion beruht, das halte ich für falsch.
Frenzel: Sagt Mark Terkessidis. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Terkessidis: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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