The Waterboys: "Where The Action Is"

Wenn der Folkrocker den Soul auspackt

07:25 Minuten
Der Gitarrist und andere Bandmitglieder auf der Bühne in wilder Bewegung.
The Waterboys sind nach wie vor nicht zu bremsen. © Imago / Fraser Band
Von Andreas Dewald  · 27.05.2019
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Die Waterboys um den schottischen Sänger und Songwriter Mike Scott waren bislang für ihre Mischung aus Rock und Irish Folk bekannt. Doch auf dem neuen Album lässt Mike Scott seine Liebe zum Northern Soul heraus und bekennt: Ich tanze gerne!
Als Tänzer konnte man sich Mike Scott von den Waterboys bisher kaum vorstellen. Aber jetzt, nach vierzig Jahren Folkrock, hat er seine Liebe zur Soulmusik neu entdeckt. Und auf dem aktuellen Album der Waterboys "Where The Action Is" gleich in mehreren Songs ausgelebt. Für das Titelstück hat Mike Scott Robert Parkers Northern-Soul-Klassiker "Let‘s Go Baby" aus den 1960er Jahren aufgefrischt.

Lange verdeckte Reminiszenzen

"Ich liebe Northern-Soul! Das habe ich schon in den 1970er Jahren getan, als ich ein Teenager war. Ich hörte diese Songs in der Disco, im Radio, in der Hitparade. 'Heaven Must Have Sent You' von The Elgins oder 'The Night' von Frankie Valli - das waren tolle Platten. Ich lief damals auch in Northern-Soul-Klamotten rum, in weiten Hosen mit Schlag und hoher Taille und engen T-Shirts in grellen Farben. Es war eine große Inspiration für mich, ohne dass ich es bemerkte. Mir ist erst vor Kurzem klar geworden, dass im Northern-Soul die weniger bekannte, aber großartige schwarze amerikanische Musik der 1960er-Jahre konserviert ist."
Es sind Mike Scotts Experimente mit den Beats und Grooves schwarzer Musik, die dem Sound der Waterboys auf "Where The Action Is" eine neue Sinnlichkeit und Dringlichkeit verleihen. Zwar klingt vieles da vertraut, wird jedoch mit solcher Glut und Leidenschaft vorgetragen, dass es einfach erfrischend zeitgemäß wirkt. Zumal Scott auch die aktuelle politische Situation in seine Songtexte einbezieht, zum Beispiel, wenn er im Titelsong auf Donald Trump und seine Politik anspielt.

Aus Erinnerungen geformt

In dem Song "Ladbroke Grove Symphony" allerdings hält er Rückschau und erinnert sich auf bewegende Weise an die Zeit, als es so richtig losging mit den Waterboys:
"Es war eine spaßige Zeit. Ich lebte das erste Mal alleine. Nachdem ich bei meiner Familie ausgezogen war, hatte ich bei Freunden gewohnt. Da musste ich immer auf die Toilette gehen, wenn ich in Ruhe Songs schreiben wollte. Und plötzlich lebte ich 1982 allein in Notting Hill in der Ladbroke-Gegend. Es war unglaublich aufregend! Ich liebte es, dort spazieren zu gehen, die Menschen aus verschiedenen Kulturen zu sehen und ihre Musik auf der Straße zu hören."
In den Punk-Rock-Tagen hat Mike Scott auch Mick Jones, den Gitarristen von The Clash, kennengelernt. Ihm hat er auf "Where The Action Is" die emphatische Reminiszenz "London Mick" gewidmet. Einen dieser Waterboys-Songs, in denen Mike Scott die mythische Kraft des Rock‘n‘Roll beschwört. Mit solchem Aplomb, dass man fast wieder daran glauben könnte.
"Ich habe Mick Jones von The Clash oft getroffen", sagt Mike Scott, "und wir kamen immer sehr gut klar. Wir haben lustige Sachen zusammen gemacht, so im Spinal-Tap-Stil, im Electric-Cinema-Kino in der Portobello Road in London. Und ich wusste, da ist eine Geschichte, da ist ein Song. Ich habe auch schon 'The Return of Jimi Hendrix' und 'Has Anybody Seen Hank?' über Hank Williams geschrieben. Ich schreibe gerne Songs über Musiker. Sie sind interessante Charaktere für mich."

Etwas Nostalgie

"Where The Action Is" ist kein Waterboys-Album, auf dem Mike Scott in Nostalgie schwelgt. Der Titel trifft es tatsächlich. Die Songs strahlen voller Mitgefühl, Menschlichkeit, Selbstironie und Lebensweisheit.
Und selbst in den großen epischen Balladen kann man hier bissige Kommentare zu gesellschaftlichen Realitäten finden. Eine Zeile wie "For we‘re deep in the heart/ Of the enemy‘s design" in "In My Time On Earth" lässt sich wohl nur als Warnung vor der weltweit drohenden Gefahr des Rechtspopulismus lesen.
Wirkt dieses ergreifende Schlüsselstück nicht sogar wie Mike Scotts ureigene Version von "My Way"?
"Nein, nein! In 'My Way' blickt jemand, der wohl bald sterben wird, auf sein Leben zurück und sagt: Ich habe es auf meine eigene Weise gelebt. Darum geht es meinem Song überhaupt nicht! Ich schaue auf die Welt, wie sie heute ist! In den Strophen geht es um die kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Welt heute. Und im Refrain sage ich: Die spirituelle Wahrheit steckt in allen Legenden aus allen Zeiten. Auf der einen Seite beschäftige ich mich also mit den Problemen in der Welt. Auf der anderen sage ich: Haltet ein, wir sind alle eins, alles wird gut!"
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