The Specials: "Protest Songs 1924-2012"

Ein analytischer Blick aufs Hier und Jetzt

06:37 Minuten
Lynval Golding in einer schwarz-weiß gestreiften Jacke und einer Gitarre. Im Hintergrund sind verschiedene Protestplakate zu erkennen.
Gitarrist und Sänger Lynval Golding von "The Specials". Die Band wurde mit politischen Popsongs bekannt. © picture alliance / Photoshot
Von Klaus Walter · 30.09.2021
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Mit ihrem neuen Album bleiben The Specials ihrer Tradition politischer Songs treu und interpretieren Protestsongs neu. Das wirkt keinesfalls nostalgisch, sondern wie ein aktueller Kommentar zur Gegenwart.
"Lasst uns marschieren auf der Straße der Freiheit!" Mit dieser Aufforderung beginnen die Specials ihr neues Album "Protest Songs 1924–2012". Das Original von "Freedom Highway" entstand 1965 für den Freiheitsmarsch der Bürgerrechtsbewegung von Selma im US-Bundesstaat Alabama nach Montgomery.
Geschrieben wurde der Song von Pops Staples, für seine Familienband The Staple Singers. Die schwarze Gospelgruppe war eine treibende Kraft der Bewegung für die Gleichberechtigung schwarzer Menschen.

Paranoia und Protest

Über ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung ist "Freedom Highway" plötzlich wieder Musik zur Zeit. Horace Panther, Bassist und Gründungsmitglied der Specials sagt: "2020 hat alles verändert mit der Black Lives Matter Bewegung und dem zivilen Ungehorsam, es wurde zum Jahr von Paranoia und Protest."
Die erste große Welle dieser Bewegung sei schon 2014 durch die USA gezogen. "Also haben wir beschlossen, ein Cover-Album zu machen mit Protestsongs, aber eben nicht die Naheliegenden. Okay, wir haben ‚Get up stand up‘ aufgenommen, das ist ziemlich naheliegend."
Ja, der "Steht auf und wehrt Euch"-Evergreen von Bob Marley ist eine nahe liegende Wahl. Aber: Was die Specials draus machen, ist alles andere als naheliegend.
Zurückgenommen, fast schon introvertiert singt Lynval Golding dieses "Get up stand up", gerade so, als hätte er Zweifel an den hehren Worten der Aufstandsikone Bob Marley.

Neuer Kontext für alte Lieder

Die Specials wissen, dass sie einen Aufruf zur Rebellion aus dem Jamaika der Siebziger nicht einfach übertragen können ins Großbritannien von heute. Aber was sagen uns diese alten Lieder über die Gegenwart?
"They can recontextualize them." Sie können etwas rekontextualisieren, meint Horace Panther. Die Specials stellen alte Lieder in einen neuen Zusammenhang und geben ihnen eine neue Qualität. So haben sie vor 40 Jahren alte Ska- und Reggaesongs aus der Karibik in die britische Gegenwart geholt, so stellen sie heute alte Lieder in neue Kontexte.
"Everybody knows", ein mystisch aufgeladener Song von Leonard Cohen aus dem Jahr 1988. 33 Jahre später nimmt Terry Hall, die weiße Stimme der Specials, den Text beim Wort. Im Kontext von Protest und Paranoia bekommt die wolkige Lyrik von Cohen einen geradezu konkreten Realitätsbezug:
"Jeder weiß, die große Seuche kommt.
Jeder weiß, sie verbreitet sich schnell."
Aus der düsteren Prophezeiung des Leonard Cohen wird bei den Specials: die Paranoia von Corona.
"Jeder weiß, das Schiff hat ein Leck.
Jeder weiß, der Kapitän hat gelogen."

Keine nostalgische Reise verbitterter alter Männer

Aus der düsteren Prophezeiung des Leonard Cohen wird bei den Specials das Mittelmeer als Massengrab für Geflüchtete. Die Staple Singers, Leonard Cohen oder auch die Talking Heads werden gecovert, sogar die Mothers Of Invention mit Frank Zappa, dem Bürgerschreck aus den Sechzigern.
"Ich habe in meiner Plattensammlung 'Freak Out' von den Mothers of Invention entdeckt, da gibts den Song 'Trouble everyday' über die Riots in Watts 1965, der könnte auch von letzter Woche sein, denn es geht um Aufstände, Polizisten, zivilen Ungehorsam", sagt Horace Panther.
Auf ihrem neuen Album greifen die Specials zurück auf antike Spielarten der populären Musik: Rockabilly, Skiffle, Boogie Woogie, Gospel, Walzer. Dabei bleiben die Specials, was sie immer waren: eine politische Band mit analytischem Blick aufs Hier und Jetzt.
Deshalb ist "Protest Songs 1924-2012" mehr als eine nostalgische Reise von drei verbitterten alten Männern in die Vergangenheit. Ja, doch, Musik zur Zeit, von den Specials.

Das Album Protest Songs 1924 – 2012 von The Specials erscheint bei Universal.

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