"The Sanctuary" von Brett Bailey

Ein Zoobesuch für Reiche

Blick auf einen Maschendrahtzahn mit Stacheldraht
Blick auf einen Maschendrahtzahn mit Stacheldraht © Friso Gentsch / dpa
Von Azadê Peşmen  · 07.06.2017
Die Zahl derjenigen, die sich auf den Weg über das Mittelmeer machen, ist hoch. Geflüchtete sind aber nicht nur Zahlen in UN-Statistiken, sie werden auch immer mehr zum Thema von Kunstwerken. Der Regisseur Brett Bailey hat sich des Themas angenommen und eine begehbare Installation dazu entwickelt.
Es ist dunkel. Ein zwei Meter hoher Maschendrahtzaun bildet die räumliche Grenze des Labyrinths, durch das die Besuchergruppe geführt wird. Fünf Personen. Sprechen ist verboten. Fotografieren und filmen auch. Es ist eng und die Musik, die Teil dieser Installation ist, verstärkt die bedrückende Stimmung. Die erste Station im Labyrinth: Ankunft. Auf einer großen Leinwand werden Postkarten-Motive aus Deutschland präsentiert: das Brandenburger Tor, eine Kleinstadtidylle, ein Schloss.

Vermeintliches Paradies Europa

Die grüne Lampe leuchtet, sie ist oben an dem Maschendrahtzaun befestigt und signalisiert weiterzugehen. Black Friday heißt die nächste Station. Beginn der Weihnachtseinkaufsaison. Ein Schaufenster, mit schwarzen Puppen, die bunte Ledertaschen präsentieren, zwischen roten Schildern, auf denen in weißer Schrift Sale geschrieben steht. Das Licht geht an und fällt auf eine junge Frau, die mit ihrem Rollstuhl im Schnee feststeckt. Links und rechts neben ihr Tüten mit ihren Habseligkeiten. Sie ist in weiß gekleidet, die Haare mit einem weißen Tuch bedeckt. Statt ihrer Hände sieht man Äste, die aus den Ärmeln hervorgucken. Sie blickt jeden einzelnen mit glasigen Augen eindringlich an.
Es ist Jamal, Maskenbildnerin aus Sindschar im Nordirak erfährt der Besucher durch einen Text, der an die Wand hinter ihr projiziert wird. Sie wurde vom IS brutal vergewaltigt und im syrischen Raqqa von ihrem Peiniger weiterverkauft, als der sich langweilte. Ihre Flucht hat sie nach Europa getrieben.

Ausgestellte Einzelschicksale

Das grüne Licht leuchtet auf. Die nächste Station heißt Quarantäne. Dort sitzt ein junger Mann, schwarze Haare, wasserblaue Augen und auch er schaut jeden einzelnen Besucher durchdringend an. Er sitzt auf einem Hochbett, in einer beengten Unterkunft, die aussieht wie ein Container. Darüber hängt das Schild des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.
In der Hand hält er ein Pendel, dass von rechts nach links schlägt. Yazan heißt der junge Mann, Musiker und Student, steht in weißer Schrift auf einem iPad. Seiner Mutter erzählt er, dass er für die Hamburger Symphonikern spielt. Sobald sie ihn bezahlen, schicke er ihr Geld. Yazan kommt aus Damaskus.
Vor seinem Bett liegt grauer Betonschutt, zwischen den Steinen und dem Staub liegen zwei Beine begraben.

Betroffenheit auf Zeit

Die Installation "The Sanctuary" erzählt die Geschichten einzelner Geflüchteter, am Schluss erfährt man als Besucher, dass es Künstler sind, von denen einige geflüchtet sind. Und nach einer Dreiviertelstunde Stunde in der dunklen Betroffenheitshalle steht man wieder draußen in der heilen Hamburger Welt und kann vergnüglich am Weißwein nippen. Aber egal ob es nun Künstler sind oder nicht- ausgestellt werden sie wie in einem Zoo. Um zu verstehen, aus welchen Gründen Menschen nach Europa fliehen und was sie durchmachen, muss man keine eingepferchten Menschen begaffen. Ein wenig Empathie und Menschenverstand tun es auch.
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