"The Lobster" von Giorgos Lanthimos

Hummer statt Kummer

Der griechische Regisseur Giorgos Lanthimos lächelt beim 68. Filmfestival von Cannes in die Kamera.
Der griechische Regisseur Giorgos Lanthimos beim 68. Filmfestival von Cannes © AFP / Anne-Christine Poujoulat
Von Laf Überland · 30.04.2016
Die gerade auf DVD erschienene Komödie "The Lobster" veräppelt die Beziehungsdiktatur. Die Geschichte spielt in einer Gemeinde, die keine Singles zulässt. Wer keinen Partner findet, wird in ein Tier seiner Wahl verwandelt.
"Ich denke doch, Sie wissen, daß Masturbation auf den Zimmern oder sonstwo im Hotel nicht erlaubt ist?"
"Ja."
"Mir wurde aber zugetragen, Sie machen es dennoch weiterhin."
Wenn in der ersten Szene dieses Films ein Attentat auf einen Esel verübt wird, ist bereits klar, daß höchst seltsame Sachen passieren werden in den nächsten zwei Stunden, die man mit gesellschaftlich-angepaßtem gesundem Menschenverstand nicht erwartet: zum Beispiel auch Collin Farrell anstatt mit Macho-Gehabe hier mit einem Bäuchlein, fettem Schnauzbart und häßlicher Kassenbrille zu sehen – als frisch geschiedenen Architekten – mit antriebslos schlurfendem Gang - langweilig und fantasielos – und frisch von seiner Frau verlassen.

Ab ins Umerziehungshotel

Dummerweise nur darf man in dem Gemeinwesen, in dem "The Lobster" spielt, nicht Single sein. Alleinstehende werden in Umerziehungshotels gesteckt, wo sie 45 Tage Zeit haben, eine neue Beziehung einzugehen. Wer das nicht schafft, wird in ein Tier sein Wahl verwandelt.
"Wissen Sie schon, welches Tier Sie sein möchten, wenn Sie allein bleiben?"
"Ja, ein Hummer."
"Warum ein Hummer?"
"Weil Hummer lange leben, über hundert Jahre. Und sie sind ein Leben lang zeugungsfähig."
"The Lobster" ist ein urkomischer Film, der sich mit in immer neuen grotesken, aber beinharten Drehungen in eine extreme Liebesgeschichte windet: Giorgos Lanthimos heißt der Regisseur, der bislang mit genrebrechend-seltsamen Filmen bekannt wurde (Dogtooth und Alpen): Dies aber ist eindeutig sein bester: Und er funktioniert tatsächlich als nur leicht surreale Geschichte: nur einen Hauch neben unsere normale gesellschaftliche Realität geschoben:
Wenn sie in Zeitlupe und langen Regencapes nachts durch den Wald hetzen und versuchen, mit ihren Betäubungsgewehren die anderen, die vorsätzlichen Einzelgänger, zu verhaften:
"Er sah aus dem Fenster. Die bewusstlosen Körper der bewusstlosen Einzelägänger lagen auf dem nassen Boden. Gottseidank tragen sie diese wasserdichten Ponchos, dachte er."

Es geht um blutende Nasen und Butterkekse

Die beiden Männer, mit denen David, der Architekt, sich anfreundet, sind etwas dümmlich und nicht optimal ausgestattet – der eine hinkt, der andere lispelt. Aber die Macht im Anbahnungsritual liegt ja sowieso bei den Frauen:
"Sie haben sehr sehr schönes Haar!"
"Ich weiß!"
"Wie gefällt Ihnen meins?"
"Naja."
Na klar - spielt der Regisseur mit Plattitüden und Kino-Erwartungshaltungen (wie kleinen Schocks und Ekel) in dieser Parabel auf die modernen Mechanismen der Anpassungsbereitschaft.
Aber es geht auch um Nasenbluten, Lügen und sich Selbstbelügen, um Butterkekse, Hände im Toaster - und die absurde Problematik von – Treue!
"Eines Tages dachte er beim Golfspielen, es sei doch schwieriger, so zu tun, als hätte man Gefühle, wenn man keine hatte, als so zu tun, als hätte man keine Gefühle, wenn man welche hatte."
"The Lobster", der Film, ist zweigeteilt: Denn nachdem er in dem Umerziehungshotel vergeblich versucht hat, sich auf das Kuppeleispiel einzulassen, schlägt sein archaisch-anarchisches Gefühl durch – und er muß in den Wald flüchten, wo er sich in die kurzsichtige Frau Rachel Weisz verliebt.

Kamel und Nilpferd? Das geht nicht!

"Du brauchst keine Kaninchen von anderen Leuten anzunehmen. Wenn du mehr Kaninchen brauchst, sag es, und ich bringe dir mehr."
Aber natürlich sind die Rebellen im Wald nicht weniger repressiv und intolerant: Die Guerillachefin Léa Seydoux ist schön – und so grausam wie die böse Königin im Märchenwald... – ein Kontrollfreak: Denn die Erhebung gegen die Unterdrückung führt ja stets zu neuer Unterdrückung – und die wahre Schönheit liegt nur bei den einzelnen verwandelten Singles, die durch den irischen Wald spazieren – ein Flamingo, ein Pfau, ein Dromedar...
"Ein Wolf und ein Pinguin könnte nie zusammen leben. Genau so wenig wie ein Kamel und ein Nilpferd. Das wäre absurd. Bitte bedenken Sie das!"
Zwischen Bunuel, Kubrik, Kafka und den Dschungelshows deliriert der Film zum Ergötzen vollgestopft, aber mit toternsten Mienen, durch Absurdität und kleine cineastische Verweise: Und wenn der Film zu Ende ist (naja, beinahe, denn das Ende bleibt offen) stellen wir erstaunt fest, daß dieser schusselige, spießige, langweilige Architekt uns mitgenommen hat auf eine Odyssee durch die zeitgenössische Moral – und eine Metamorphose des Einzelnen: Denn seinen Charakter zu bewahren ist möglich... Naja, irgendwie....
"Manche Strafen sind schlimmer als andere. Den Daumen abgeschnitten zu bekommen ist schlimmer als den Kopf rasiert zu bekommen. Und ein heiß gekochtes Ei unter die Achsel gelegt zu bekommen ist schlimmer als gegen das Bein getreten zu werden."
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