"The List" von Banu Cennetoğlu

Todesursachen, Namen und Orte

Der Tagesspiegel vom 9. November 2017 mit der Sonderbeilage "Die Liste", erstellt von Banu Cennetoglu
Der Tagesspiegel vom 9. November 2017 mit der Sonderbeilage "Die Liste", erstellt von Banu Cennetoglu © Deutschlandradio / Malte Kollenberg
Rüdiger Schaper im Gespräch mit Dieter Kassel · 09.11.2017
Am Jahrestag des Mauerfalls 1989 und der Pogromnacht 1938 veröffentlicht der Berliner Tagesspiegel eine "Liste". Darin sind 33.293 Tote verzeichnet, die seit 1993 auf der Flucht in oder nach Europa ihr Leben verloren. Viele bleiben namenlos.
Am heutigen Donnerstag, dem 9. November, liegt dem Berliner Tagesspiegel eine 48-seitige Sonderausgabe – die so genannte Liste – bei. Darin dokumentiert die Künstlerin Banu Cennetoğlu die Namen, Herkunft und Todesursache von 33.293 Geflüchteten und registrierten Asylsuchenden, die an den Grenzen oder innerhalb Europas zu Tode kamen.
Ein Großteil der Toten ist auf dieser Liste allerdings nur mit "N.N." eingetragen, weil den Leichen kein Name zugeordnet werden konnte. Es sind Männer, Frauen, Kinder, Babys.
"The List" wurde von der 1970 geborenen Künstlerin, Banu Cennetoğlu, zusammengestellt. Sie selbst hält diese Dokumentation jedoch ausdrücklich für "kein Kunstwerk", wie sie dem Tagesspiegel sagte.

"Eine außergewöhnliche Anstrengung"

Der Journalist Rüdiger Schaper vom Feuilleton des Tagesspiegels bezeichnete die Arbeit als "eine außergewöhnliche Anstrengung". Auszüge aus dem Register der Toten würden ab dem Wochenende auch im Berliner Stadtraum auf Litfaßsäulen aushängen:
"Das ist wie ein Versuch, Menschen, die ums Leben gekommen sind, einen Namen, eine Würde, ein Vorleben zu geben und sie aus dieser schrecklichen Anonymität der Nachrichten herauszuholen", sagte Schaper im Deutschlandfunk Kultur – auch wenn es oft nicht gelinge, diesen Toten ein verlorenes Leben zuzuordnen.

"Wie verzweifelt, das alles ist, an das wir uns gewöhnt haben"

"Wir leben offenbar damit, dass Menschen anonym verschwinden, ertrinken, ums Leben kommen", ergänzte Schaper, "und niemand – kein Gott und keine Zeitung und keine Künstlerin – kann ihnen nicht einmal einen Namen geben. Das ist auch das, was mir diese Liste heute Morgen noch mal klarmacht, wie dramatisch, wie verzweifelt, das alles ist, an das wir uns gewöhnt haben."
Banu Cennetoğlu habe die Arbeit aus Hunderten Quellen – "Organisationen, Privatpersonen, Medien" zusammengetragen. Vollständig ist die Liste, die in Zusammenarbeit von Tagesspiegel und dem Herbstsalon des Berliner Maxim Gorki Theaters entstand, aber wohl nicht. (huc)
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