"The Last Judgement Sculpture" von Anthony Caro

42 Tonnen Entsetzen

06:13 Minuten
Skulptur "Das jüngste Gericht" von Anthony Caro
Die spröde Oberfläche erinnert an Knochen und verkohltes Holz: "The Last Judgement Sculpture" von Anthony Caro © Barford Sculptures Ltd, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / David von Becker
Von Simone Reber · 22.12.2019
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In seiner Skulptur "The Last Judgement Sculpture" verarbeitete Anthony Caro sein Entsetzen über die Gräuel des Bosnienkrieges. Das 42-Tonnen-Werk wird jetzt in der Berliner Gemäldegalerie gezeigt und bringt die Statik des Hauses an die Grenzen.
"Sobald wir durch den Glockenturm gehen, sehen wir ein nächstes Tor, das Tor des Todes. Ein sehr geschickter Kniff des Künstlers seine Installation mit einem Tor zu beginnen, weil wir so alle zu Teilnehmenden werden, also mehr als Betrachter sind", sagt Sylvia Weber, die Leiterin der Sammlung Würth, die zusammen mit der Berliner Gemäldegalerie die Skulptur "The Last Judgement Sculpture" des britischen Künstlers Anthony Caro präsentiert.

Inspiriert von Mythologie und Dante

Wie in einem Kirchenschiff reiht Anthony Caro an den Längsseiten des Innenraums Szenen aus der Mythologie. Charon ist da zu sehen, der Fährmann, der die Seelen über den Totenfluss geleitet oder, wie Weber erläutert: "Theresias, der blinde Seher, in der göttlichen Komödie von Dante wird er als Zauberer beschrieben, der sein Geschlecht zu wechseln vermag. Hier blickt er finster aus der Ecke hervor und wir können einen relativ kräftigen Oberkörper sehen, allerdings auch Brüste."
Anthony Caro, der aus einer jüdischen Familie stammte, fühlte sich durch die Kriege in Bosnien und dem Kosovo an den Holocaust erinnert. Sein Entsetzen über die Gräuel, die in den 1990er-Jahren in Europa begangen wurden, findet Ausdruck in der spröden, braungrauen Oberfläche, die an poröse Knochen und verkohltes Holz erinnert.
Für sein Jüngstes Gericht verwendete der Künstler erstmals Steingut und Schamott. Um den Charakter des Materials kennen zu lernen, arbeitete er mit dem Keramiker Hans Spinner in Südfrankreich zusammen, so Sylvia Weber: "Es gibt ihm vielleicht die Möglichkeit, eine kleine erzählerische Komponente in das Werk einzubringen. Das Ensemble ist ja nach so einer Art Guckkastenprinzip aufgebaut, was ihm auch sehr wichtig war und er hat auch die klaren Werke abgegrenzt, aber dann eben zu einem Ensemble zusammen gefügt, und darüber konnte er eben diese Symbolik auf diesem kleinen Raum wiedergeben."

Vor Fertigstellung verkauft

Hans Spinner hatte schon Plastiken für Picasso und Eduardo Chillida realisiert. Das verglühte Material hält die Betrachter mit seiner stumpfen, toten Anmutung auf Abstand. Für den Künstler bot es die Möglichkeit, die Schädel und fragmentierten Körper mit eigenen Händen zu formen. Der Kunstsammler Reinhold Würth sah die Arbeit als Modell im Atelier des Künstlers und kaufte sie noch während der Entstehung, um zu ermöglichen, dass sie für die Biennale in Venedig fertig gestellt werden konnte. Im März 1999 endete der Krieg im Kosovo, im Juni wurde das Jüngste Gericht in Venedig gezeigt.
"Das war einer der Gründe, warum Reinhold Würth und Anthony Caro sich so nahe kamen, dass Reinhold Würth das unterstützt hat, dass 'The Last Judgement Sculpture' in Venedig auf der Biennale unmittelbar nach dem Balkankrieg eben gezeigt werden konnte. Anthony Caro sagte immer, das ist ein Fest für die Kunst und gerade mal ein paar Seemeilen weiter gibt es Krieg, wie schrecklich und wir schauen weg", erläutert Sylvia Weber.

Noch ist die Menschheit nicht verloren

Die Vision von einer letzten Instanz, die nach dem Tod noch Ungerechtigkeit sühnt, existiert religionsübergreifend vom Zoroastrismus bis zum Islam. In der biblischen Version werden die Toten von vier Posaunen vor den Weltrichter gerufen, erklärt Kuratorin Sarah Schönewald: "Abschließend der Hoffnungsschimmer schlechthin: das Himmelstor, umgeben von den vier Posaunen des Jüngsten Gerichts. Wie wir erkennen können, ist das Himmelstor noch einen Spalt breit geöffnet und so können wir davon ausgehen, dass zumindest für Caro die Menschheit noch nicht verloren ist."
Der Künstler hat mehrfach Malerei in Bildhauerei übersetzt. Hier knüpft er an Picassos Guernica an, aber auch an die sandig schwarzen informellen Schlachtfelder von Antoni Tàpies. Die Berliner Gemäldegalerie verweist auf die Darstellungen des Jüngsten Gerichts in ihrer eigenen Sammlung. Schade ist allerdings, dass diese Gemälde nicht in unmittelbarer Nähe zu Caros Installation gehängt wurden, so dass keine Interaktion entsteht.
Auch bleiben leise Zweifel an dem Werk selbst. Zwar ist Anthony Caros Arbeit angesichts des neuen Krieges, des Krieges der Menschheit gegen die Erde, brisanter denn je. Aber "The Last Judgement Sculpture" formuliert das Grauen bloß aus und bebildert die Mythen. Der Künstler geht in die Vollen statt zu reduzieren und lässt kaum Raum für das Unerklärliche – die Vernichtung der Welt vor den Augen aller.

Anthony Caro
"The Last Judgement Sculpture" der Sammlung Würth
20.12.2019 bis 12.07.2020
Gemäldegalerie Berlin

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