"The Girl King" von Mika Kaurismäki

"Kostümfilme waren nie mein Ding"

Der finnische Regisseur Mika Kaurismäki und die schwedische Schauspielerin Malin Buska bei der Präsentation von "The Girl King".
Der finnische Regisseur Mika Kaurismäki und die schwedische Schauspielerin Malin Buska bei der Präsentation von "The Girl King". © dpa/ picture-alliance/ Nacho Gallego
Regisseur Mika Kaurismäki im Gespräch mit Patrick Wellinski · 16.07.2016
Er hätte nie gedacht, dass er je einen Kostümfilm drehe, sagt Mika Kaurismäki. Jetzt hat der finnische Regisseur seinen ersten gedreht: Über Königin Kristina von Schweden, die maßgeblich zur Beilegung des Dreißigjährigen Krieges beigetragen hat.
Patrick Wellinski: Herr Kaurismäki, wann sind Sie eigentlich zum ersten Mal der historischen Figur der Königin Kristina begegnet - in der Schule?
Mika Kaurismäki: Ja, das war in der Schule. Ich hatte einen guten Lehrer, die viele Geschichten immer erzählt hat, auch viele Geschichten über Kristina. Damals war es das erste Mal, und es ist irgendwie in meinem Kopf stecken geblieben, diese Figur Kristina - und habe dann auch immer so Bücher gelesen oder Ausstellungen.
Viele Filme gibt es nicht über sie, aber Theaterstücke gab es. Ich habe mich schon interessiert für diese Figur. Das war nicht meine Idee, diesen Film zu machen. Ein Produzent hat mich gefragt in Rio 99 und gefragt, ob ich Interesse hätte, einen Film über die Königin Kristina zu machen. Dann habe ich gesagt ja. Er wusste nicht, dass ich ziemlich viel über sie wusste. Es ist eine sehr interessante Figur und war immer in meinem Hinterkopf.
Wellinski: Was macht denn aus ihrem Leben so einen richtigen Kinostoff, was war denn das Spezielle an ihr?
Kaurismäki: Sie hat mehr Stoff als nur für einen Film. Das war auch die Schwierigkeit, als wir angefangen haben, dann das Drehbuch zu schreiben. Man konnte nicht alles erzählen in einem Film. Das erste Drehbuch, was sie mir gegeben haben damals, das war ein riesenhistorischer Film mit vielen Kriegsszenen. Ein typischer, einfach unmöglich zu realisieren. Ich habe dann gesagt, nein, das ist … Das hat mich auch nicht so interessiert, einen Riesenkostümfilm zu machen, sondern ich wollte eher einen intimen Film machen über die Kristina.
Es ist ein historischer Film, aber gleichzeitig ist es für mich ein moderner Film, weil die Figur sehr modern ist. Sie ist wie eine junge Frau heutzutage, die überlegt, was sie mit ihrem Leben tun soll. Ich habe es immer vor mir gesehen, eine moderne junge Frau, nicht eine historische.

"Königin Kristina war clever und konnte sich durchsetzen"

Wellinski: Ist denn ihre moderne Einstellung zum Leben, aber auch zur Politik auch ihr großes politisches Problem letztendlich, weil sie sich gegen diese männerdominierte Politik, die Intrigen an ihrem Hof gar nicht wirklich durchsetzen konnte, eben weil sie so modern war?
Kaurismäki: Ja, genau, aber wenn man jetzt guckt, was in der Welt und in Europa los ist - wir haben auch religiöse Kriege immer noch, die jungen Leute sind unsicher, was jetzt passieren wird in der Welt. Die Zukunft ist unsicher, und sie überlegen, welche Entscheidung soll ich jetzt machen, und sie war ziemlich alleine da in dem Hof. Damals hatte sie sehr viel Macht. Sie war die Königin, aber sie war auch clever und konnte sich durchsetzen und konnte den Dreißigjährigen Krieg beenden, was eigentlich der Anfang der europäischen Union war, eigentlich der erste Schritt damals. Bis heute noch, und auch, dass die Kunst … also lieber Kultur und Kunst als Krieg. Das ist auch genauso heute.
Sie hat die schwedische Akademie zum Beispiel inspiriert schon damals und viele Sachen, die heute noch sehr aktuell sind, und wir kämpfen immer noch an derselben Sache - Demokratie, Gleichberechtigung und so Sachen.
Wellinski: Sie arbeiten im Film die Beziehung zu René Descartes und ihr ziemlich stark aus. Welche Rolle hatte er und seine Philosophie auf sie als Königin, aber auch sie als junge moderne Frau?
Kaurismäki: Ich glaube, René Descartes war sehr wichtig für sie im Leben. Man kann sagen, wahrscheinlich ohne ihn hätte sie den Mut nicht gehabt und die Kraft nicht gehabt, zu tun, was sie getan hat, also auch zum Katholizismus zu gehen, und diese Idee von Freiheit, das kam viel von ihm.
Sie hat sehr früh angefangen eine Korrespondenz mit René Descartes und hat ihn dann eingeladen nach Stockholm. Er ist sozusagen auch eine Vaterfigur gewesen. Sie hat immer nach einem Vater …, weil ihr richtiger Vater, der Gustav Adolf, ist gestorben, als sie sechs Jahre alt war, und danach hat sie immer nach einem Vatermodell gesucht. Axel von Oxenstierna war dann eine Zeit lang der Vater, aber René Descartes, glaube ich, war der spirituelle Vater für sie.

"Ebba Sparre war die große Liebe Kristinas"

Wellinski: Es gibt unterschiedliche Ansichten von Historikern, was die Sexualität von Kristina anbetrifft. Es gibt die Variante bisexuell, lesbisch oder weder noch. Sie legen sich ja relativ klar fest. War das für Sie wichtig, dass Sie sich festlegen oder wie kam die Entscheidung zustande, weil Sie zeigen ja ihr lesbisches Begehren durchaus sehr deutlich?
Kaurismäki: Das ist natürlich ein wichtiger Teil des Lebens und musste auch im Film sein. Aber ich wollte nicht nur dieses Thema lesbisch oder nicht lesbisch, sondern es ist eine Liebesgeschichte, weil Ebba Sparre war die große Liebe Kristinas.
Aber man weiß es nicht ganz genau. Sie hat ja auch lange mit Männern gelebt. Die letzten 20, 30 Jahre hat sie mit einem Mann gelebt, und man weiß nicht … wahrscheinlich war sie an allem interessiert. Ich habe das mehr als Liebesgeschichte … ob das ein Mann oder eine Frau ist, das ist eigentlich egal, aber es ist klar, dass sie auch … ich glaube, sie war bi. Weiß man nicht.
Wellinski: Das ist Ihr erster größerer Kostümfilm. Das ist ja ein Genre, da wollen immer ganz viele Regisseure ran, aber trauen sich nicht sofort. Haben Sie auch gezögert oder wollten Sie immer einen Kostümfilm machen, und das war jetzt endlich die Chance?
Kaurismäki: Eigentlich nicht. Die Kostümfilme waren nie mein Ding sozusagen. Ich bin kein großer Fan von Kostümfilmen. Es gibt natürlich sehr schöne historische Kostümfilme, aber ich habe nie gedacht, dass ich so einen Film machen würde.
Die Kristina, was in Ihrem Kopf vorging, das hat mich interessiert. Es ist ein historischer Film und Kostümfilm, ja, aber ich habe es mehr als eine moderne Geschichte gesehen. Ich glaube, das war der Grund, dass ich den gemacht habe. Die Kostüme waren eigentlich nur sozusagen das Setting. Das war eine große Last beim Film. Es war eine kurze Drehzeit, und dann, wenn man bedenkt, jeder Kostüm- und Haarwechsel bei Frauen dauert mindestens zwei Stunden - diese Kostüme haben mindestens vier Stunden pro Tag Drehzeit gekostet, aber gut, wir haben schöne Kostüme.
Wir haben keine Tradition in Finnland mit Kostümfilmen oder historischen Filmen überhaupt. Das gibt es kaum, weil wir haben nicht so viel Geld, die Budgets sind klein immer. Auch für diesen Film mussten wir alle Kostüme selbst herstellen. Der größte Teil der Produktion waren die Kostüme.
Wellinski: Das ist ja bei einem Kostümfilm häufig die Frage, wie lasse ich den aussehen. Es gibt zwei Schulen: Die einen setzen auf Ausstattung, alles künstlich erleuchtet oder man geht den realistischen Weg eher, mit Kerzenlicht zu arbeiten. Ich hatte das Gefühl, Sie gehen eher diesen Weg. War das eine bewusste Entscheidung, dass Sie den Look des Films so haben aussehen lassen wollen?
Kaurismäki: Ja, Kerzenlicht ist authentisch. Damals gab es kein anderes Licht außer Außenlicht oder Kerzen. Das Schloss und überhaupt die Schlösser damals waren sehr dunkel. Sie waren keine Residenzschlösser, sondern sie waren eigentlich für Verteidigung, für Krieg gedacht. Es gab ganz wenig Fenster und sehr dunkle Räume. Das ist auch ein Kontrast, die Wärme, nicht nur für die Farbe, auch für die Geschichte. Sie mochte das Kerzenlicht. Es war kalt damals in diesen Schlössern, dass Kerzen auch als Heizung benutzt wurden. Es gab viel Rauch damals. Man musste alle zwei Jahre die Wände streichen wegen so vieler Kerzen.
Internationaler Cast passt zu internationaler Besetzung des Hofes
Wellinski: Malin Buska spielt die Königin Kristina. Was hat sie, dass sie so eine wunderbare Kristina ist, warum ist sie die perfekte Königin Kristina für Sie gewesen?
Kaurismäki: Ja, schon, also das war eine der wichtigsten Entscheidungen, weil die Geschichte geht … die Kamera ist die ganze Zeit auf sie. Die Besetzung war sehr wichtig. Ich habe auch lange gesucht, aber dann habe ich einen Film gesehen, einen kleinen schwedischen Film, "Happy End", wo sie zum ersten Mal eine Rolle gehabt hat. Sie hat kaum Filme gemacht, nur einen Film vor diesem Film. Sie hat "Happy End" gemacht, und es war die zweite weibliche Hauptrolle, es war nicht die Hauptrolle, aber als ich den Film gesehen habe, dann habe ich gleich gedacht, das ist interessant, und ich wollte sie treffen.
Als ich sie dann in Stockholm getroffen habe, war mir sofort klar, dass sie die Kristina ist. Sie wusste auch sehr viel über Kristina. Das hat mich auch überrascht, dass sie so viel wusste, weil ihre Mutter und Großmutter waren große Kristinafans, und sie ist mit diesen Geschichten von Kristina … und ihr zweiter Name von ihr ist auch Kristina, nach Königin Kristina. Die wollten ihr eigentlich Kristina als ersten Namen geben, aber dann haben sie gemeint, Malina Kristina Buska, nach der Königin.
Wellinski: Der Rest Ihrer Besetzung ist ja sehr international. Also Martina Gedeck spielt da mit, aber es gibt finnische Schauspieler, schwedische Schauspieler. Mögen Sie das eigentlich oder ist das jetzt etwas gewesen, ich hätte jetzt lieber so einen schwedischen Cast gehabt oder ist Ihnen das einfach egal als Regisseur, wer gecastet ist außer in der Hauptrolle, was Sie ja gerade erzählt haben, was Ihnen sehr wichtig war, weil es letztendlich die Figur ist, die immer fast im Screen ist?
Kaurismäki: Ja, das ist natürlich auch … das war eine Koproduktion, deshalb musste man auch international besetzen, aber der Hof war auch international damals. Es waren viele Franzosen im Hof oder Deutsche. Die Maria Eleonora, die Mutter von Kristina, damals Deutschland, deswegen wollte ich auch eine deutsche Schauspielerin. Martina Gedeck wollte die Rolle haben. Oder Chanut aus Frankreich. Es waren Italiener, es waren … es war sehr international. Viele haben gefragt, warum habe ich das nicht auf Schwedisch gedreht, aber sie haben nicht schwedisch gesprochen damals. Sie haben Französisch gesprochen. Wenn man authentisch sein wollte, müsste man eigentlich alles in Französisch drehen, aber wir dachten dann, Englisch ist jetzt heutzutage die Hofsprache sozusagen, Mit dieser internationalen Besetzung war es die einzige Sprache, die möglich war. Wie gesagt, auf Schwedisch wäre es auch falsch gewesen.
Wellinski: Herr Kaurismäki, vielen Dank für den Film, für Ihre Zeit, und ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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