The Big Moon: "Walking Like We Do"

Zwanghaft optimistische Apokalyptikerinnen

05:55 Minuten
Gruppenbild der vierköpfigen Frauenband The Big Moon
Es-wird-schon-alles-gut-werden-Mantra statt Thunbergsche Panikmache: The Big Moon. © Pooneh Ghana
Von Jutta Petermann · 10.01.2020
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Mit ihrem neuen Album "Walking Like We Do" wollen The Big Moon im Angesicht des Brexit positive Botschaften senden. Das Problem: Konsequent sind sie dabei nicht. Da helfen auch keine originellen Melodien.
Die britische Frauenrockband The Big Moon hat ihr zweites Album "Walking Like We Do" betitelt. Das Quartett aus London bewegt sich damit in der allerersten Liga der Popreferenzen was die Vokabel "to walk" angeht und das Thema Instabilität.
Nancy Sinatras Stiefel etwa waren bekanntermaßen nicht fürs Verweilen bei einem untreuen Mann gemacht, sondern fürs Weiterziehen - Lou Reed spazierte auf der wilden Seite des Lebens - Johnny Cash versprach gradlinig durchs Leben zu gehen und seiner Frau treu zu bleiben und die Bangles sahen bei ihrem Versuch auf wackligen Untergrund die Balance halten zu wollen aus, als liefen sie wie die Ägypter.
Aber was hat das alles mit der Politik des EU-abtrünnigen Inselreichs zu tun und wohin führt es die Band und ihren Independent-Rock-Sound? "Wir haben uns über gewisse Politiker amüsiert, haben sie für einen Witz gehalten. Wir haben zum Beispiel über Trump gelacht und uns über unser Glück gefreut. Ich denke, wir haben etwas zu lange gelacht."

Wachrütteln mit Songs

Bittere Einsichten zu luftigem Indie-Poprock – das Treffen mit The Big Moon Schlagzeugerin Fern Ford und Gitarristin und Sängerin Juliette Jackson findet einen Monat vor der Wahl zum britischen Unterhaus statt. Die beiden Frauen haben die Spielchen der Politikerkaste und die Brexit-Hängepartie schon länger satt.
Die Mann-Frau-Problematisierungssongs des Debüts "Love in the 4th Dimension" sind deshalb diesmal nur im Hintergrund. Hauptsongschreiberin Jackson will mit "Walking Like We Do" explizit wachrütteln.
"Im Text heißt es, wir wissen nicht wohin wir gehen, aber wir gehen wie gewohnt", sagt sie. "Es reflektiert das politische Chaos überall um uns herum im Moment und das Gefühl, dass wir am Abgrund stehen. Die Aussage des Albums ist: Musik kann dich mit einer anderen Haltung gehen lassen. Es geht darum, Glauben zu fassen und stark zu sein im Bezug auf die Zukunft, die erst einmal sinnlos scheint."
Nur weil die Blätter herunterfallen, seien die Bäume nicht gleich tot, textet Juliette Jackson in den Versen von "A Hundred Ways to Land" weiter.

Inkonsequente Haltung

Ein tröstliches, aber doch überraschendes Bild – der gerade erst wachgerüttelte Hörer, fällt gleich wieder in sich zusammen – so schlimm ist es ja anscheinend doch nicht. Das von seinen melodiösen und souverän bis manchmal etwas routiniert abwechslungsreich gebauten Poprocksongs her eigentlich hörenswerte Album hat einen entscheidenden konzeptionellen Fehler.
Die Haltung ist inkonsequent. Durchgängig. Als würde ein Horrorfilm-Regisseur persönlich ins Kino kommen zum Händchenhalten und immer beruhigend flüstern, das ist doch nur ein Film.
Dabei liefern die Londonerinnen im Laufe des Interviews etliche Beispiele für durchsichtige Manöver toxisch agierender Politiker. Von Torys etwa erzählen sie, die mit offensichtlich gefälschten Videos ihre Gegner der Labourpartei dumm aussehen lassen wollen oder von einem Fracking-Verbot in England, das aber nur während des Wahlkampfes gilt. Selbstsucht und Machtgier, wohin sie schauen – auch ihr Song "Dog Eat Dog" erzählt davon.
"Ich las darüber wie hoch das Budget von Theresa May war für ihre Garderobe während der Wahlkampagne. Es war enorm, abertausende Pfund. Ich las das, an dem Tag, an dem der Wohnblock Grenfell Tower in London abbrannte. Der Betrag, den man hätte aufbringen müssen, um das Gebäude brandsicher zu machen, wären nur zwei Pfund gewesen. Es ist so schrecklich, manchmal fühlt es sich so an, als seien Politikerinnen und Politiker vollkommene Aliens."
Kein Grund eigentlich, das nicht einfach auch mal so stehen zu lassen.

Optimistische Sackgasse

Das neue Album "Walking Like We Do" punktet zwar mit originellen Melodien, mit mehr Raum für die Texte und mit klareren Sounds. Führt aber leider in eine Sackgasse mit seinem Es-wird-schon-alles-gut-werden-Mantra. Man muss der Hörerschaft schon etwas zumuten, um seinen Standpunkt klar zu machen.
Doch Juliette Jackson und ihre Mitstreiterinnen scheuen die Thunbergsche Lust an der Panikmache – inhaltlich und klanglich. Auch mit dem endzeitlichen Szenario des Songs "Your Light" wollen sie eigentlich niemanden auf die Zehen treten.
"Jede Generation denkt vermutlich, sie sei die letzte. Meine Großeltern haben die Kriege erlebt, meine Eltern die Kuba-Krise. Jeder denkt, die Welt geht unter und sie sind die letzten, kurz jedenfalls und so ist dieser Song im Endeffekt positiv gemeint, denn vielleicht ..."
Vielleicht.
Wer wachrütteln will, muss den Mut haben den Träumenden aufzuschrecken – The Big Moon aber sind fast schon zwanghaft positivistisch gepolte Apokalyptikerinnen. "Walking Like We Do" führt daher nicht zur Erweckung.
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