The Beauty and the Beast
Bratislava ist eine der jüngsten Hauptstädte Europas und hat den alten Mief des Ostblocks abgeschüttelt. Heute ist "Blava", wie die Slowaken ihre Hauptstadt nennen, eine dynamische Metropole mit der Aura einer früheren Königsstadt, die Gegensätze ganz selbstverständlich vereint.
Ibrahim Maiga singt sein Lied "Timbuktu":
"Es ist egal, ob Du arm bist oder reich. Es ist egal, ob Du schön bist oder hässlich. Ob Du glaubst oder nicht…"
Ibrahim Maiga singt über seine Heimat Mali und über seine Stadt: Bratislava.
"Es ist egal, ob Du mächtig bist oder nicht. Oder ob Du schwarz bist oder weiß. Wir sind alle gleich, das Leben ist kurz. Also lasst es uns alle zusammen versuchen."
Ibrahim Maiga - kurz: Ibi - ist einer der bekanntesten Bewohner Bratislavas. Der imposante Ein-Meter-90-Mann zieht alle Blicke auf sich, wenn er durch die barocke Innenstadt schlendert – nicht nur wegen seiner fast schwarzen Hautfarbe oder der orange leuchtenden Hose, die er heute trägt, sondern weil Ibi Ibi ist: ein slowakischer Superstar – Sänger, Schauspieler, Komiker, TV-Entertainer.
"Das passiert oft, dass Leute sagen: Hey, da kommt dieser schwarze Typ, der ist total berühmt. Und dann sagen die anderen: Das ist kein "schwarzer Typ", das ist unser Ibi. - Das ist so schön! Ich brauche keine Nationalität, ich brauche einfach nur das Gefühl, dass mich so viele Menschen in ihr Herz geschlossen haben. Sie lieben mich. Nicht wegen meiner Musik oder meiner TV-Shows – sondern um meiner selbst willen."
Ibrahim Maiga steht für das Bratislava von heute – für die Renaissance der bunten Vielfalt in einer Stadt, die das sozialistische Einheitsgrau abgestreift hat. In den 80er Jahren verschlug es den Sohn eines malischen Diplomaten quasi zufällig als Student in die Donau-Stadt. Ein Regisseur entdeckte das junge Talent und bot ihm eine Filmrolle an, und die Komödie wurde zu einem riesigen Erfolg:
"Mein großes Vorbild als Komiker war immer Eddy Murphy. Und ich wollte damals einfach herausfinden, ob ich so etwas auch kann. Der Film kam gleich gut an. Irgendwie ist das einfach alles passiert und sollte wohl so sein. Ich war der erste Schwarze, der überhaupt in einem tschechoslowakischen Film mitgespielt hat."
Anfang der 90er Jahre war das. Seitdem hat sich Bratislava rasant gewandelt. Die kleine Schwester Wiens - im Dreiländereck Slowakei, Österreich, Ungarn gelegen – ist eine der jüngsten Hauptstädte Europas, in vielerlei Hinsicht: Die Slowakei wurde erst 1993 mit der Trennung von Tschechien eigenständig. Bratislava hat sich seitdem zur boomenden Metropole entwickelt, ein Magnet für junge Leute, für Künstler und tausende Studenten aus dem ganzen Land. Nach "k. und k." und Kommunismus kommt jetzt Multikulti. Und daran, meint Ibi, müsse die Stadt weiter arbeiten…
"Wenn ich meine Freunde treffe, meine echten Freunde, wenn ich auf der Bühne bin und sehe, wie glücklich sie sind, dann fühle ich mich hier zu Hause. Aber wenn ich intolerante Leute treffe auf der Straße – und solche Leute gibt es überall auf der Welt – dann fühle ich mich nicht zu Hause. – Die Slowakei ist noch ein junges Land und hat da noch eine Menge zu tun."
Und es wird eine Menge getan: Die ganze Stadt – eine Baustelle. Selbst das Wahrzeichen, die Burg mit ihren vier gedrungenen Türmen, ist bis auf weiteres geschlossen - wegen Sanierungsarbeiten.
Doch der Ausblick vom Burgberg ist eine grandiose Entschädigung: die in der Sonne gleißende Donau; die Altstadt mit dem Martinsdom, in dem 19 ungarische Königinnen und Könige gekrönt wurden, die barocken Palais, Renaissancegiebel und kupferspahn-grünen Turmspitzen. Und auf der anderen Seite, auf dem rechten Donau-Ufer, der schier unfassliche Kontrast: Petrzalka, die größte Plattenbausiedlung Europas. Eine Wand grauer Betonkolosse. – The Beauty and the Beast – Bratislava ist beides.
Hier oben auf dem Burgberg hat die Parlamentsabgeordnete Magda Vasaryova ihr Büro. Wenn die frühere Schauspielerin und Diplomatin den Blick über ihre Stadt schweifen lässt, mischen sich Stolz und Zorn. Der Stolz auf die große Geschichte und der Zorn darüber, dass Bratislava noch immer im Schatten Wiens und Budapests steht:
"Also die Romantiker und Kommunisten haben nur Folklore unterstützt. Also slowakische Kultur war Dörferkultur, Dorfleutekultur. - Wir müssen zurück zu unserer Stadtkultur. Das ist nicht wahr, dass die Slowaken Dorfleute waren. Wo die größten Städte im Mittelalter oder dann im 17., 18. Jahrhundert waren, wo die größten Städte im Ungarischen Königreich waren? Hier, in heutiger Slowakei. - So eine Vorstellung, die wir tief in unserer Seele haben, dass richtige Slowaken nur Leute ohne Ausbildung, nur sehr arm und Arbeitende auf den Feldern waren, das ist nicht wahr. Das ist ganz falsch."
Magda Vasaryova, der man die Schönheit der großen Theaterdiva noch ansieht, entstammt einer Familie von Karpatendeutschen. Heute eine winzige Minderheit. Doch bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Deutschen in Pressburg, wie Bratislava damals hieß, die größte Bevölkerungsgruppe.
In Magda Vasaryovas Lieblingscafe am Hauptplatz herrscht immer Hochbetrieb. Das "Mayer" ist eines der traditionsreichsten Kaffeehäuser Bratislavas, gegründet im Jahr 1873 von k.u.k. Hofkonditor Julius Mayer. Drinnen lockt die opulenteste Kuchentheke der Stadt, draußen unter Sonnenschirmen der Blick auf das Alte Rathaus und den ältesten Brunnen der Stadt, den Rolandsbrunnen aus dem Jahr 1572. Man spricht Deutsch: Das Cafe Mayer ist fest in der Hand deutscher und österreichischer Touristen.
Palatschinken und heiße Schokolade in allen nur erdenklichen Variationen: weiß, braun, schwarz, dickflüssig, fast schon Pudding und doch zum Trinken. Wer abnehmen will, sollte Bratislava meiden. Im prächtigen Jugendstilcafe Maximilian, ebenfalls am Hauptplatz, plätschert im Winter sogar ein Schokoladenspringbrunnen… - Während Magda Vasaryova also an ihren zusätzlichen Pfunden arbeitet, sitzt Michal Hvorecky ein paar Straßenecken weiter am Rande der Altstadt auf dem Mäuerchen eines Springbrunnens. Der junge Schriftsteller ist eher ein Genießer spröder Materie.
"Also wir befinden uns auf dem Hviezdoslav-Platz, direkt bei dem Denkmal von Hviezdoslav - Pavol Orságh Hviezdoslav ist der Name dieses slowakischen Dichters, ab und zu sagt man, das ist der slowakische Goethe, was eigentlich überhaupt nicht stimmt, aber es war ein sehr bedeutender Dichter dieses Landes, sehr typisch für seine Generation, weil damals war das, was wir heute Slowakei nennen, ein Teil des Königreichs Ungarn. Damals gab’s keine slowakischen Universitäten, deshalb ist er der große slowakische Aufklärer in Ungarn. Er war 18 oder so – da hat er sich entschieden, auf Slowakisch zu schreiben."
Da thront er also auf seinem monumentalen Granitsockel, der überlebensgroße Dichter, der das Slowakische mit seiner Kunst, seinen kaum übersetzbaren Wortschöpfungen zur Literatursprache gemacht hat. Nachdenklich sieht er aus, ein wenig besorgt blickt er auf das prächtige Nationaltheater am anderen Ende des lang gezogenen Platzes. Und das zurecht, meint der junge Literat und Hviezdoslav-Verehrer:
"Leider nehmen die Slowaken die eigene Literatur zu wenig wahr, auch die ältere, das ist anders als zum Beispiel in Tschechien. Und in dem Sinne ist es immer gut, wenn man irgendwie Literatur präsentiert in der Stadt."
Das historische Zentrum Bratislavas ist überschaubar und gemütlich. Fast schon zu schmuck, um noch wirklich lebendig zu sein. Die Plätze mit den herausgeputzten Barockfassaden, mit Brunnen, Bänken und Cafes, der Dom, die Burg oder das strahlende Primatialpalais – all das ist die Schokoladenseite der kleinen großen Stadt. Wer die andere Seite kennen lernen will, der muss über die Donau nach Petrzalka.
Die junge Journalistin Lydia Kokavcova wohnt hier im Panelak, so heißen die monströsen Plattenbauten hier - und sie denkt gar nicht daran wegzuziehen.
"Hier in Petrzalka leben 123.000 Leute. Das ist die größte Neubausiedlung von Zentraleuropa auf jeden Fall. Und man hat immer gesagt – nein, das ist so eine schmutzige Ecke und so weiter. Aber wenn ich hier ein Treffen haben möchte oder mit jemandem essen möchte, dann ist es wirklich ein guter Platz."
Aus Lydias Zwei-Zimmer-Wohnung im sechsten Stock überblickt man fast den ganzen Stadtteil. Eine Landschaft stummer Betonbauten – Monotonie ist kein Ausdruck dafür. Wer das Menschenbild im real existierenden Sozialismus verstehen will, der ist in Petrzalka richtig. Tausende Fenster in flachen, hunderte Meter langen, dunkelgrau aufragenden Fassaden. Und zwischendrin – fast schalkhaft - bunte Tupfer in Pastellfarben: sanierte Wohnblocks in ocker, gelb oder hellblau. Irgendwie hat die Tristesse eine eigene Ästhetik. In Petrzalka mischen sich Ostalgie und neue Lebenslust. - Das also, ist das wahre Bratislava?
"Auf jeden Fall sind diese Stadtteile ziemlich beliebt. Erstens weil es nicht so teuer ist wie irgendwo ein schöneres Haus außerhalb der Stadt zu haben, zweitens: Man geht sich nicht auf die Nerven, jeder macht was er will, sozusagen, aber bei uns im Haus jeder respektiert die Regeln."
Leben und leben lassen – das ist die Devise. Und daran halten sich selbst diejenigen, von denen man es am wenigsten erwartet:
"Auch bei uns im Haus, da hab´ ich merkwürdige Leute getroffen, und dann hab ich so ein Papier bei uns an der Tür gesehen: "Wir bitten die Drogensüchtigen, die Spritzen wegzuräumen, weil wir die Tür um 22 Uhr verschließen müssen." Ja, das ist zwar so lächerlich, aber wirklich war das dann so, dass die Drogensüchtigen dann die Spritzen abgeräumt haben oder was - auf jeden Fall, die Spritzen gab ´s nicht mehr hier…"
….und so kurios es klingt: Auch das ist Bratislava. Lydia Kokavcova öffnet das schwere hölzerne Schiebefenster in ihrer Küche, die noch mit dem Originalinventar der 70er Jahre eingerichtet ist. Die praktischen Klappmöbel aus Pressspahn, der braune Teppich – muffig, aber irgendwie kultig.
"Die Jungen haben angefangen, Petrzalka einen höheren Status zu geben: "Ich wohne in Petrzalka, Leute, jo? Passt auf!" Das heißt, ich bin ja an alles gewohnt, und ich kann mit allem klarkommen… Das hab'ich schon öfter gehört, so: "Wo wohnst du?" - "Ich bin aus Petrzalka!"
Und das, meint die sportliche junge Frau im roten Che Guevara-T-Shirt, sei tatsächlich das echte Bratislava. Denn Petrzalka ist keine Armensiedlung: Hier wohnt die Mittelschicht. Auf den Parkplätzen vor den Häusern stehen keine alten Skodas, sondern BMWs, Peugeots und VWs. Junge Familien leben hier - und gut verdienende Singles, wie Lydia Kokavcova.
"se Stadt ist sehr tolerant zu der Sprache, zu jedem, also egal was er macht, wo er arbeitet, was er tut. Das heißt, dass sich hier die Fremden, die Touristen sehr wohl fühlen - wie die Einheimischen: die Rentner aus Österreich, die immer wieder und jeden Tag hier her kommen, um den Kuchen im Cafe Mayer zu essen und sich an die k. und k.-Zeiten zu erinnern, und genauso gut fühlen sich hier die Jugendbanden hier in Petrzalka oder die anderen Leute irgendwo aus den anderen Ecken der Slowakei…"
"Es ist egal, ob Du arm bist oder reich. Es ist egal, ob Du schön bist oder hässlich. Ob Du glaubst oder nicht…"
Ibrahim Maiga singt über seine Heimat Mali und über seine Stadt: Bratislava.
"Es ist egal, ob Du mächtig bist oder nicht. Oder ob Du schwarz bist oder weiß. Wir sind alle gleich, das Leben ist kurz. Also lasst es uns alle zusammen versuchen."
Ibrahim Maiga - kurz: Ibi - ist einer der bekanntesten Bewohner Bratislavas. Der imposante Ein-Meter-90-Mann zieht alle Blicke auf sich, wenn er durch die barocke Innenstadt schlendert – nicht nur wegen seiner fast schwarzen Hautfarbe oder der orange leuchtenden Hose, die er heute trägt, sondern weil Ibi Ibi ist: ein slowakischer Superstar – Sänger, Schauspieler, Komiker, TV-Entertainer.
"Das passiert oft, dass Leute sagen: Hey, da kommt dieser schwarze Typ, der ist total berühmt. Und dann sagen die anderen: Das ist kein "schwarzer Typ", das ist unser Ibi. - Das ist so schön! Ich brauche keine Nationalität, ich brauche einfach nur das Gefühl, dass mich so viele Menschen in ihr Herz geschlossen haben. Sie lieben mich. Nicht wegen meiner Musik oder meiner TV-Shows – sondern um meiner selbst willen."
Ibrahim Maiga steht für das Bratislava von heute – für die Renaissance der bunten Vielfalt in einer Stadt, die das sozialistische Einheitsgrau abgestreift hat. In den 80er Jahren verschlug es den Sohn eines malischen Diplomaten quasi zufällig als Student in die Donau-Stadt. Ein Regisseur entdeckte das junge Talent und bot ihm eine Filmrolle an, und die Komödie wurde zu einem riesigen Erfolg:
"Mein großes Vorbild als Komiker war immer Eddy Murphy. Und ich wollte damals einfach herausfinden, ob ich so etwas auch kann. Der Film kam gleich gut an. Irgendwie ist das einfach alles passiert und sollte wohl so sein. Ich war der erste Schwarze, der überhaupt in einem tschechoslowakischen Film mitgespielt hat."
Anfang der 90er Jahre war das. Seitdem hat sich Bratislava rasant gewandelt. Die kleine Schwester Wiens - im Dreiländereck Slowakei, Österreich, Ungarn gelegen – ist eine der jüngsten Hauptstädte Europas, in vielerlei Hinsicht: Die Slowakei wurde erst 1993 mit der Trennung von Tschechien eigenständig. Bratislava hat sich seitdem zur boomenden Metropole entwickelt, ein Magnet für junge Leute, für Künstler und tausende Studenten aus dem ganzen Land. Nach "k. und k." und Kommunismus kommt jetzt Multikulti. Und daran, meint Ibi, müsse die Stadt weiter arbeiten…
"Wenn ich meine Freunde treffe, meine echten Freunde, wenn ich auf der Bühne bin und sehe, wie glücklich sie sind, dann fühle ich mich hier zu Hause. Aber wenn ich intolerante Leute treffe auf der Straße – und solche Leute gibt es überall auf der Welt – dann fühle ich mich nicht zu Hause. – Die Slowakei ist noch ein junges Land und hat da noch eine Menge zu tun."
Und es wird eine Menge getan: Die ganze Stadt – eine Baustelle. Selbst das Wahrzeichen, die Burg mit ihren vier gedrungenen Türmen, ist bis auf weiteres geschlossen - wegen Sanierungsarbeiten.
Doch der Ausblick vom Burgberg ist eine grandiose Entschädigung: die in der Sonne gleißende Donau; die Altstadt mit dem Martinsdom, in dem 19 ungarische Königinnen und Könige gekrönt wurden, die barocken Palais, Renaissancegiebel und kupferspahn-grünen Turmspitzen. Und auf der anderen Seite, auf dem rechten Donau-Ufer, der schier unfassliche Kontrast: Petrzalka, die größte Plattenbausiedlung Europas. Eine Wand grauer Betonkolosse. – The Beauty and the Beast – Bratislava ist beides.
Hier oben auf dem Burgberg hat die Parlamentsabgeordnete Magda Vasaryova ihr Büro. Wenn die frühere Schauspielerin und Diplomatin den Blick über ihre Stadt schweifen lässt, mischen sich Stolz und Zorn. Der Stolz auf die große Geschichte und der Zorn darüber, dass Bratislava noch immer im Schatten Wiens und Budapests steht:
"Also die Romantiker und Kommunisten haben nur Folklore unterstützt. Also slowakische Kultur war Dörferkultur, Dorfleutekultur. - Wir müssen zurück zu unserer Stadtkultur. Das ist nicht wahr, dass die Slowaken Dorfleute waren. Wo die größten Städte im Mittelalter oder dann im 17., 18. Jahrhundert waren, wo die größten Städte im Ungarischen Königreich waren? Hier, in heutiger Slowakei. - So eine Vorstellung, die wir tief in unserer Seele haben, dass richtige Slowaken nur Leute ohne Ausbildung, nur sehr arm und Arbeitende auf den Feldern waren, das ist nicht wahr. Das ist ganz falsch."
Magda Vasaryova, der man die Schönheit der großen Theaterdiva noch ansieht, entstammt einer Familie von Karpatendeutschen. Heute eine winzige Minderheit. Doch bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Deutschen in Pressburg, wie Bratislava damals hieß, die größte Bevölkerungsgruppe.
In Magda Vasaryovas Lieblingscafe am Hauptplatz herrscht immer Hochbetrieb. Das "Mayer" ist eines der traditionsreichsten Kaffeehäuser Bratislavas, gegründet im Jahr 1873 von k.u.k. Hofkonditor Julius Mayer. Drinnen lockt die opulenteste Kuchentheke der Stadt, draußen unter Sonnenschirmen der Blick auf das Alte Rathaus und den ältesten Brunnen der Stadt, den Rolandsbrunnen aus dem Jahr 1572. Man spricht Deutsch: Das Cafe Mayer ist fest in der Hand deutscher und österreichischer Touristen.
Palatschinken und heiße Schokolade in allen nur erdenklichen Variationen: weiß, braun, schwarz, dickflüssig, fast schon Pudding und doch zum Trinken. Wer abnehmen will, sollte Bratislava meiden. Im prächtigen Jugendstilcafe Maximilian, ebenfalls am Hauptplatz, plätschert im Winter sogar ein Schokoladenspringbrunnen… - Während Magda Vasaryova also an ihren zusätzlichen Pfunden arbeitet, sitzt Michal Hvorecky ein paar Straßenecken weiter am Rande der Altstadt auf dem Mäuerchen eines Springbrunnens. Der junge Schriftsteller ist eher ein Genießer spröder Materie.
"Also wir befinden uns auf dem Hviezdoslav-Platz, direkt bei dem Denkmal von Hviezdoslav - Pavol Orságh Hviezdoslav ist der Name dieses slowakischen Dichters, ab und zu sagt man, das ist der slowakische Goethe, was eigentlich überhaupt nicht stimmt, aber es war ein sehr bedeutender Dichter dieses Landes, sehr typisch für seine Generation, weil damals war das, was wir heute Slowakei nennen, ein Teil des Königreichs Ungarn. Damals gab’s keine slowakischen Universitäten, deshalb ist er der große slowakische Aufklärer in Ungarn. Er war 18 oder so – da hat er sich entschieden, auf Slowakisch zu schreiben."
Da thront er also auf seinem monumentalen Granitsockel, der überlebensgroße Dichter, der das Slowakische mit seiner Kunst, seinen kaum übersetzbaren Wortschöpfungen zur Literatursprache gemacht hat. Nachdenklich sieht er aus, ein wenig besorgt blickt er auf das prächtige Nationaltheater am anderen Ende des lang gezogenen Platzes. Und das zurecht, meint der junge Literat und Hviezdoslav-Verehrer:
"Leider nehmen die Slowaken die eigene Literatur zu wenig wahr, auch die ältere, das ist anders als zum Beispiel in Tschechien. Und in dem Sinne ist es immer gut, wenn man irgendwie Literatur präsentiert in der Stadt."
Das historische Zentrum Bratislavas ist überschaubar und gemütlich. Fast schon zu schmuck, um noch wirklich lebendig zu sein. Die Plätze mit den herausgeputzten Barockfassaden, mit Brunnen, Bänken und Cafes, der Dom, die Burg oder das strahlende Primatialpalais – all das ist die Schokoladenseite der kleinen großen Stadt. Wer die andere Seite kennen lernen will, der muss über die Donau nach Petrzalka.
Die junge Journalistin Lydia Kokavcova wohnt hier im Panelak, so heißen die monströsen Plattenbauten hier - und sie denkt gar nicht daran wegzuziehen.
"Hier in Petrzalka leben 123.000 Leute. Das ist die größte Neubausiedlung von Zentraleuropa auf jeden Fall. Und man hat immer gesagt – nein, das ist so eine schmutzige Ecke und so weiter. Aber wenn ich hier ein Treffen haben möchte oder mit jemandem essen möchte, dann ist es wirklich ein guter Platz."
Aus Lydias Zwei-Zimmer-Wohnung im sechsten Stock überblickt man fast den ganzen Stadtteil. Eine Landschaft stummer Betonbauten – Monotonie ist kein Ausdruck dafür. Wer das Menschenbild im real existierenden Sozialismus verstehen will, der ist in Petrzalka richtig. Tausende Fenster in flachen, hunderte Meter langen, dunkelgrau aufragenden Fassaden. Und zwischendrin – fast schalkhaft - bunte Tupfer in Pastellfarben: sanierte Wohnblocks in ocker, gelb oder hellblau. Irgendwie hat die Tristesse eine eigene Ästhetik. In Petrzalka mischen sich Ostalgie und neue Lebenslust. - Das also, ist das wahre Bratislava?
"Auf jeden Fall sind diese Stadtteile ziemlich beliebt. Erstens weil es nicht so teuer ist wie irgendwo ein schöneres Haus außerhalb der Stadt zu haben, zweitens: Man geht sich nicht auf die Nerven, jeder macht was er will, sozusagen, aber bei uns im Haus jeder respektiert die Regeln."
Leben und leben lassen – das ist die Devise. Und daran halten sich selbst diejenigen, von denen man es am wenigsten erwartet:
"Auch bei uns im Haus, da hab´ ich merkwürdige Leute getroffen, und dann hab ich so ein Papier bei uns an der Tür gesehen: "Wir bitten die Drogensüchtigen, die Spritzen wegzuräumen, weil wir die Tür um 22 Uhr verschließen müssen." Ja, das ist zwar so lächerlich, aber wirklich war das dann so, dass die Drogensüchtigen dann die Spritzen abgeräumt haben oder was - auf jeden Fall, die Spritzen gab ´s nicht mehr hier…"
….und so kurios es klingt: Auch das ist Bratislava. Lydia Kokavcova öffnet das schwere hölzerne Schiebefenster in ihrer Küche, die noch mit dem Originalinventar der 70er Jahre eingerichtet ist. Die praktischen Klappmöbel aus Pressspahn, der braune Teppich – muffig, aber irgendwie kultig.
"Die Jungen haben angefangen, Petrzalka einen höheren Status zu geben: "Ich wohne in Petrzalka, Leute, jo? Passt auf!" Das heißt, ich bin ja an alles gewohnt, und ich kann mit allem klarkommen… Das hab'ich schon öfter gehört, so: "Wo wohnst du?" - "Ich bin aus Petrzalka!"
Und das, meint die sportliche junge Frau im roten Che Guevara-T-Shirt, sei tatsächlich das echte Bratislava. Denn Petrzalka ist keine Armensiedlung: Hier wohnt die Mittelschicht. Auf den Parkplätzen vor den Häusern stehen keine alten Skodas, sondern BMWs, Peugeots und VWs. Junge Familien leben hier - und gut verdienende Singles, wie Lydia Kokavcova.
"se Stadt ist sehr tolerant zu der Sprache, zu jedem, also egal was er macht, wo er arbeitet, was er tut. Das heißt, dass sich hier die Fremden, die Touristen sehr wohl fühlen - wie die Einheimischen: die Rentner aus Österreich, die immer wieder und jeden Tag hier her kommen, um den Kuchen im Cafe Mayer zu essen und sich an die k. und k.-Zeiten zu erinnern, und genauso gut fühlen sich hier die Jugendbanden hier in Petrzalka oder die anderen Leute irgendwo aus den anderen Ecken der Slowakei…"