Teurer blauer Dunst

Von Anna Stellmann und Michael Fischer |
Der Schmuggel und der Verkauf von Schwarzmarktzigaretten gehört zu den lukrativsten Geschäften krimineller Banden in Europa. Die Mitarbeiter beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung OLAF versuchen, der straff organisierten Tabak-Mafia beizukommen.
Vor dem Laden mit der rot-weißen Aufschrift "Rumänische Wurst- und Käsespezialitäten" brutzeln fette Würste auf einem Grill. Aus einem Lautsprecher hinter der Ladentheke klingt ein rumänischer Schlager, plötzlich übertönt von der Sirene eines Polizeiautos. Davon unbekümmert schlendert eine Gruppe von Marokkanern in weißen Hemden und schwarzen Hosen an der heruntergekommenen Ladenreihe vor dem Eingang zum ehemaligen Brüsseler Schlachthof vorbei.

Hier findet jeden Freitag, Samstag und Sonntag ein großer Markt statt, auf dem es fast alles zu kaufen gibt, was begeht und billig ist. Auch preiswerte Zigaretten sollen hier zu haben sein. Marlboro und L&Ms für 22 Euro die Stange. Die Zigaretten kommen aus Russland, die Verkäuferin aus Polen. Das Geschäft geht gut, denn heute ist sie fast alleine hier. Am Wochenende ist die Konkurrenz dagegen groß, 30 bis 35 Händler versuchen dann ihr Glück.

Auch vor einem anderen Wurststand bietet ein junger Mann in weißen Turnschuhen und roter Baseballmütze Zigaretten an, Markenprodukte. Statt der üblichen 4,70 Euro kosten sie hier nur 2,50 Euro das Paket. In der Stange sind sie noch billiger.

Ein Mann im weißen Hemd und Sonnenbrille beobachtet die Szene. Die Politiker müssten verhaftet werden, schimpft er, nicht die Zigarettenschmuggler. Sie würden ständig die Steuern auf Zigaretten erhöhen, sodass arme Leute es sich nicht mehr leisten könnten zu rauchen. Der Zigarettenschwarzmarkt sei fest in russischer Hand, fährt der Mann fort. Die Russen seien gefährlich. Vor kurzem hätten sie auf offener Straße einen Konkurrenten niedergestochen.

In Belgien ist der Verkauf geschmuggelter Zigaretten allerdings nur ein Nebenerwerbszweig. Vor allem ist das Königreich, das den Rekord für Länder ohne Regierung hält, Transitland für Schmuggelzigaretten. Sie kommen aus dem Nahen Osten, aus Russland, aus Vietnam und aus China. Bestimmungsländer sind Belgiens große Nachbarstaaten England, Frankreich und Deutschland, wo hohe Steuern für Zigaretten erhoben werden. Eine verzollte Schachtel kann in Großbritannien zwischen sieben und acht Euro kosten, in Deutschland etwas über fünf - eine am Zoll vorbei geschmuggelte dagegen zwischen zwei und vier Euro.

Vier U-Bahn-Stationen entfernt vom Brüsseler Südbahnhof residiert in einem dunkel verglasten Hochhaus das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung. Im weiträumigen Büro auf der zwölften Etage sitzen die Mitarbeiter der Spezialeinheit Zigarettenschmuggel. Sie versuchen, den weltweit agierenden Händlern auf die Spur zu kommen. Computer und Telefon sind ihre wichtigsten Waffen gegen das organisierte Verbrechen.

"Hallo, hier ist Sigi von OLAF, Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung. Hi. Du, ja ich hab Informationen über einen Container, der soll auf einem Containerschiff sein, der übermorgen in den Hafen einläuft. Ja? Soll ich dir Containernummer vielleicht per E-Mail geben, das ist vielleicht besser, dann haben wir keinen Schreibfehler…"

Der aus Süddeutschland stammende Fahnder Siegfried Wittwer hat gerade per Mail von einem griechischen Kollegen erfahren, dass ein Container voller gefälschter Zigaretten von China kommend auf dem Weg nach Antwerpen ist. Nun gibt er die heiße Spur per Telefon an seinen belgischen Kollegen weiter.

Allein der deutsche Staat verliert durch den Zigarettenschwarzmarkt Schätzungen zufolge jährlich Steuereinnahmen von rund einer Milliarde Euro, die EU-Staaten zusammen sogar etwa zehn Milliarden Euro. Diesen Steuerverlust minimieren zu helfen, ist eine Aufgabe von OLAF. Informationen sind dabei das wichtigste, sagt Siegfried Wittwer:

"Wenn zum Beispiel heute in Athen ein Schmuggelcontainer voll mit Zigaretten aufgegriffen wird, wird dieser Aufgriff dem OLAF mitgeteilt. Und das erfolgt von allen 27 Mitgliedsländern, sodass OLAF den Überblick hat: Wo kommen jetzt vermehrt Container rein, welche Zigarettenmarken werden geschmuggelt, sind das Originalzigaretten oder sind das gefälschte Zigaretten, wie sind die Geldströme? Und durch diesen Fluss an Informationen, der hier in unserer Unit gebündelt wird, können wir natürlich dann mit den Informationen, die wir von den Zigarettenherstellern bekommen, ein internationales Lagebild formen."

Trotz der Hilfestellung durch die EU-Antibetrugsbehörde OLAF und Europol waren die Fahndungserfolge von Polizei und Zoll lange Zeit eher schwach. Erst seitdem die Zigarettenhersteller per Vertrag in die Pflicht genommen wurden, Abnehmer und Vertrieb ihrer Produkte genauer zu überwachen und diese Informationen an die nationalen und europäischen Ermittlungsbehörden weiterzugeben, hat sich die Erfolgsquote verbessert.

Philip Morris International, British American Tobacco, Japan Tobacco International und International Tobacco Limited verpflichteten sich in den letzten Jahren vertraglich, über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren mehr als zwei Milliarden Euro in ein System zur Prävention von Zigarettenschmuggel und -fälschung zu investieren. Zusätzliche Zahlungen werden fällig, wenn geschmuggelte Zigaretten aus der Produktion einer der vier Konzerne von den Zollbehörden aufgegriffen werden. Das soll die Tabakfirmen stärker dazu animieren, Abnehmer und Vertrieb ihrer Produkte genauer zu überwachen. Ihre Informationen helfen den Zollbeamten, den Weg der Zigaretten bis zur Produktionsstätte zurückzuverfolgen, sagt Siegfried Wittwer:

"Die Zigarettenproduzenten haben natürlich den Überblick weltweit und können hören, wo gibt es Probleme, wo tauchen besonders viele Schmuggelzigaretten auf, wo gibt's Schwierigkeiten mit der illegalen Herstellung. Und diese Informationen fließen dann zu uns, dass man sozusagen einen größeren Überblick bekommt und dann auch die Warenströme besser versteht. Wir sehen in den Sicherstellungszahlen insbesondere Seecontainerbewegungen, dass wir da bessere Informationen haben und damit auch die Aufgriffszahlen entsprechend nach oben gehen."

Allerdings ist Schmuggelzigarette nicht gleich Schmuggelzigarette. Da gibt es zum einen die sogenannte Steuerhehlerei im kleinen Stil – Engländer kaufen billig Zigaretten in Belgien oder Luxemburg und verkaufen sie zu Hause an Kollegen und Freunde weiter. Das ist illegal, aber im EU-Binnenmarkt schwer zu kontrollieren.

Dann gibt es Dealer, die große Mengen von Zigaretten in einem EU-Mitgliedstaat steuerfrei für den Export direkt bei den Zigarettenfirmen kaufen, sie exportieren und anschließend am Zoll vorbei wieder reimportieren. Oder Zigaretten aus ausländischer Lizenz-Produktion werden in die EU geschmuggelt. Daneben tauchen auf dem Schwarzmarkt inzwischen auch große Mengen gefälschter Zigaretten aus China auf. In diesem Fall handelt es sich nicht nur um Steuerbetrug, sondern auch um Markenfälschung. Um das Risiko der Grenzkontrollen zu umgehen, produzieren diese Firmen ihre Ware neuerdings direkt in der EU. Über 50 illegale Zigarettenfabriken wurden in den letzten Jahren hochgenommen.

"Tag, Peter, ich habe gerade einen Anruf von OLAF bekommen. Es ist ein 40-Fuß-Container auf dem Weg von China nach Antwerpen. Die Zigaretten sollen hinter Schuhen versteckt sein. Könnt ihr euch darum kümmern?"

In der 13. Etage des brandneuen Hochhauses am Rande der Antwerpener sitzen drei Männer und zwei Frauen zum Teil in blauen Uniformen um einen großen Schreibtisch herum und lauschen den Anweisungen von Leo Leysen. Der schlanke, grauhaarige Mann im dunklen Anzug ist der Chef der belgischen Zollfahndung. Leysen hat einen Tipp von der europäischen Anti-Betrugseinheit OLAF bekommen. In einem chinesischen Container mit Bestimmung Nordrhein-Westfalen sollen hinter einer Tarnladung von Schuhen große Mengen Zigaretten geladen sein. Um den Verdacht zu erhärten, bittet Leo Leysen seine Mitarbeiter, den Container kontrollieren zu lassen.

"Ja, wir haben genug Leute, um den Container zu kontrollieren. Ich werde mal gucken, wann er kommt." - "Ich habe auch die Containernummer bekommen…"

Solche Bitten um Kooperation gehen täglich ein. Jährlich konfiszieren die Antwerpener Fahnder 200 bis 300 Millionen Zigaretten. Das sei zwar viel, aber noch immer nur die Spitze des Eisbergs, sagt Leysen. Die Situation habe sich jedoch ein wenig verbessert, seitdem die Kooperationsverträge zwischen der EU-Kommission, den Mitgliedstaaten und den vier wichtigsten Zigarettenherstellern in Kraft traten:

"Wir haben festgestellt, dass das System funktioniert. Die Zigarettenhersteller werden nun finanziell verantwortlich gemacht für jede geschmuggelte Zigarette aus ihrer Produktion, die von uns aufgegriffen wird. Sie zahlen eine Art Strafe dafür, dass es ihnen nicht gelungen ist, ihren eigenen Verteilungs- und Verkaufsprozess zu kontrollieren. Also, seit sie finanziell haftbar gemacht werden können, ist in der Tat festzustellen, dass Zigaretten aus ihrer Herstellung weniger oft geschmuggelt werden."

Dafür gibt es neue Marken wie Jin Ling, die in ihren gelben Schachteln mit der Bergziege als Logo auf den ersten Blick an eine Camel erinnert. Ihr Name klingt chinesisch. Das Produkt Zigarette wird aber von der Baltischen Tabakfabrik BTF in der russischen Enklave Kaliningrad an der Ostsee hergestellt. Die Zigarette landet fast ausschließlich als Schmuggelgut auf dem deutschen Markt.

Die medienscheue Firma aus Kaliningrad steht für einen neuen Trend: "Cheap White Brands" nennt der Brüsseler Fahnder Siegfried Wittwer solche billigen Marken, die sich dank niedriger Preise ohne jedes Marketing auf dem Schwarzmarkt gut verkaufen lassen. Die Zigaretten kommen auf dem Landweg über Polen im PKW-Kofferraum oder lastzugweise hinter Tarnladungen versteckt und über den Seeweg in die EU. Antwerpen, der zweitgrößte Hafen Europas im zentral gelegenen Belgien, ist einer der wichtigsten Umschlagplätze für Schmuggelwaren aller Art.

"Wie bei Drogen kann man mit Zigarettenschmuggel sehr viel Geld verdienen. Drogenhändler werden jedoch hart bestraft, wenn sie überführt werden; manchmal mit lebenslangen Haftstrafen. Bei Steuerhinterziehung wie im Fall von Zigarettenschmuggel sind die Strafen viel geringer. In Belgien ist die traurige Wirklichkeit, dass auf Zigarettenschmuggel überhaupt keine Haftstrafen verhängt werden."

Die Möglichkeiten für die Schmuggler, abzusahnen, sind gewaltig, sagt der Chef der belgischen Zollfahndung Leo Leysen. Allein ein LKW voller ins Land geschmuggelter Markenzigaretten kann bis zu einer halben Million Euro Gewinn abwerfen. Die Gefahr, entdeckt zu werden, ist seit den Kooperationsabkommen mit den Zigarettenkonzernen zwar gestiegen, aber noch immer vergleichsweise niedrig, zumal in einem Hafen wie Antwerpen, wo jährlich 4,2 Millionen Standardcontainer abgefertigt werden. Die Gefahr, bestraft zu werden, geht gegen Null.

Inzwischen ist der von der EU-Antibetrugsbehörde OLAF angekündigte Container ausfindig gemacht und per LKW zur Röntgenkontrollstelle des Zolls im Antwerpener Hafen gebracht worden. Vor dem langen dunklen Gebäude steht eine lange Schlange von Sattelschleppern, sie alle haben Container geladen. Einer nach dem anderen fahren die LKW in das Gebäude auf ein Förderband. Die Fahrer steigen aus und warten hinter einer dicken Betonmauer, bis ihr Fahrzeug geröntgt geworden ist.

Ein Stockwerk höher werden die Bilder ausgewertet. In einem weiträumigen Büro sitzen mehrere Männer und eine Frau in blauen Uniformen an Computern. Einer analysiert gerade die Röntgenaufnahmen des von OLAF angekündigten Containers. In diesem Fall Fehlanzeige: Nur Schuhe, keine Zigaretten.