Teure Steinkohle

Der Kampf um Subventionen

"Die Kohle geht, der Kumpel bleibt" steht mit weißer Schrift auf einem schwarzen Banner während eines Demonstrationszuges in Bottrop am 1. Mai 2018
In Bottrop wird zum Jahresende die letzte deutsche Steinkohlezeche schließen. © picture-alliance / dpa / Marcel Kusch
Von Jörg Marksteiner · 18.12.2018
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Kohle in Deutschland knapp. Doch schon 1957 arbeitet fast jede zweite Zeche an der Ruhr nicht mehr kostendeckend. Jahrzehntelang wird der Steinkohleabbau mit Milliarden staatlich unterstützt. Jetzt schließt die letzte Zeche.
"Wenn die letzte Zeche die Tore schließt…" – Er hat dieses Lied oft gesungen. Vor vielen Tausend Bergleuten ist Bernd Feller mit seiner Band Virus D aufgetreten. Denn es war ihr Song, der zum Slogan wurde im Kampf gegen das Zechensterben: "Erst stirbt die Zeche, dann stirbt die Stadt."
"Wir bekamen 1987 eine Einladung zu einer Großdemonstration von 25.000 jungen Bergarbeitern. Heute unvorstellbar. Und da haben wir gesagt: Wenn wir jetzt schon kommen, dann machen wir einen Song für euch. Und so ist die Idee entstanden: Erst stirbt die Zeche, dann stirbt die Stadt."

Großdemonstrationen gegen das Zechensterben

"Eine Zukunft ohne Kohle, die gibt es nicht. Wir halten fest zusammen." – Es ist die Zeit der Großdemos, Fackelzüge und Menschenketten im Ruhrgebiet: Die damals noch 130.000 Bergleute fürchten Massenentlassungen. Die Bundesregierung will die lebensnotwendigen Kohle-Subventionen radikal kürzen.
"1997 war der große Bergarbeiterkampf, wo wir dann auch mit 30.000 Bergleuten waren. Und auch 10.000 Motorradfahrern, und um die Arbeitsplätze gekämpft haben."
Klaus Herzmanatus, letzter Betriebsrat auf der Zeche Hugo in Gelsenkirchen, erinnert sich:
"Man darf nicht vergessen, dass wir ab den 90er-Jahren auf Lohn verzichtet haben. Wir haben Nullrunden gefahren. Wir haben teilweise auf zehn Prozent an Lohn und Gehalt verzichtet, um halt Arbeitsplätze der Kollegen zu retten."

Bergbau - ein gefragter Arbeitgeber

Es ist ein langer Kampf, der schon sehr früh beginnt. Nach dem Krieg ist Kohle knapp und der Bedarf riesig. Bei der Bevölkerung genauso wie in den Fabriken. Kohle wird nicht verkauft, sondern verteilt: Der Bergbau ist zu dieser Zeit ein gefragter Arbeitgeber – trotz der harten und oft lebensgefährlichen Tätigkeit unter Tage.
1957 arbeiten mehr als 600.000 Menschen in den Bergwerken. Doch die Branche überschätzt die Nachfrage: Heizöl wird immer billiger. Die Bundesbahn rüstet von Dampfloks auf Diesel- und Elektroantrieb um. Die Halden mit unverkaufter Kohle wachsen. Schon 1957 arbeitet fast jede zweite Zeche an der Ruhr nicht mehr kostendeckend:
"Glückauf" – "Glückauf!"
"Sie arbeiten auf der Zeche Neumühl. Wie lange schon?"
"Seit 13 Jahren. Ich bin jetzt 37 Jahre."
"Man spricht davon, dass diese Zeche auslaufen soll. Was werden Sie dann tun?"
"Tja, ich habe mich jetzt damit abgefunden. Ich habe bereits heute Morgen gekündigt. Weil: Die Aussichten sind hier schlecht. Jetzt habe ich die Chance noch und kann die Chance noch wahrnehmen."

Konkurrenz aus den USA, Russland, Australien

In nur drei Jahren, bis 1960 verlassen 120.000 Mitarbeiter den Bergbau. Wer jung ist, findet im Wirtschaftswunderland leicht einen neuen Job. Die anderen legen Zwangspausen ein:
"Auch ich hatte im letzten Jahr 19 Feierschichten. Und die Überstunden, die mir entgangen sind: 1160 Mark eingebüßt."
Im September 1959 kommt es zum "Marsch nach Bonn", der ersten Massendemonstration von Bergarbeitern. Um die aufgebrachten Bergarbeiter an der Ruhr und an der Saar zu befrieden, vereinbaren Politik, Gewerkschaft, Zechenbetreiber und Stahlindustrie schließlich 1968 die Gründung der Ruhrkohle AG. Eine Einheitsgesellschaft – faktisch ein Rationalisierungskartell mit 200.000 Mitarbeitern. Vereinbart sind weitere Zechenschließungen. Der deutsche Bergbau soll sich gesundschrumpfen.
Doch an der Ruhr liegt die Kohle in über einem Kilometer Tiefe. Das macht die Förderung extrem teuer. Importkohle aus den USA, Russland, Kolumbien oder Australien kostet nur etwa die Hälfte. Nur dank milliardenschwerer Subventionen des Staates konnte der heimische Bergbau überleben.

"200 bis 300 Milliarden an Subventionen"

Wie viel insgesamt an Beihilfen, Prämien und durch Abnahmegarantien gezahlt wurde, weiß heute niemand ganz genau, sagt der Wirtschaftshistoriker Franz-Josef Brüggemeier.
"Ist eben auch sehr, sehr viel Geld in den Bergbau geflossen. Die Summen bewegen sich zwischen 200 und 300 Milliarden. Die Importkohle war eben deutlich preiswerter, und die ganze Subvention hieß ja, die Differenz zu bezahlen."
"Im Nachhinein würde man sagen: Wenn man vielleicht Mitte der 60er-Jahre den großen Schlussstrich gezogen hätte, hätte gesagt: Kohlenbergbau, das wird nie mehr was, wäre das ein Ende mit großem Schrecken gewesen. Aber vielleicht stünde NRW heute besser da."
Roland Döhrn, Wirtschaftsforscher beim RWI-Leibniz Institut in Essen.

Sozialverträgliche Kürzungen

Doch die Politik fürchtet die sozialen Folgen einer radikalen Subventionskürzung und die Proteste hunderttausender, streikbereiter Bergarbeiter.
"Kohle macht uns satt!!"
Auch in den 90ern sind die Demonstrationen und Kirchenbesetzungen zunächst erfolgreich. Die Subventionen werden nur moderat gekürzt. Doch das Ende ist nicht mehr abzuwenden. Die Stahlindustrie als wichtiger Abnehmer steckt selbst in der Krise, dazu macht die EU immer mehr Druck. Schließlich vereinbaren Politik, Ruhrkohle und Gewerkschaften im Winter 2007, den subventionierten deutschen Steinkohlenbergbau endgültig auslaufen zu lassen. Um die Branche mit damals noch 33.000 Mitarbeitern sozialverträglich auf Null runterzufahren, so rechnet man damals aus, sind genau elf Jahre und weitere 15 Milliarden Euro nötig. So kommt man auf das Jahr 2018. Mit Einverständnis der Bergleute.
"Da war die Mitbestimmungsseite mit eingebunden und keiner fiel ins Bergfreie! Wir waren abgefedert. Und das muss man ganz klar sagen: Das ist eine Errungenschaft der Gewerkschaft."
Es ist ein langer Sinkflug, der jetzt sozialverträglich endet. 3000 Bergleute sind Ende des Jahres noch übrig. Sie werden bis 2021 die letzten beiden Zechen in Ibbenbüren und Bottrop ausräumen und die Schächte verfüllen. Dann ist endgültig Schluss.
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