Teure Idylle

Das Geschäft für Luxusmakler in Bayern boomt

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Luftaufnahme des winterlich verschneiten Rottach-Egern mit Blick auf den Tegernsee und den Ort Bad Wiessee im Bildhintergrund.
See und Berge fest im Blick: Für Immobilien werden beispielsweise hier am Tegernsee auch bis zu zweistellige Millionenbeträge fällig. © picture alliance / Chris Wallberg
Von Burkhard Schäfers · 01.02.2021
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Architekten-Villa am Tegernsee oder Landhaus mit Blick auf den Starnberger See: Die Preise für Immobilien im Alpenraum steigen seit Jahren. Die Coronakrise scheint das noch zu befeuern. Viele Einheimische haben keine Chance.
Zwei Zimmer, gut 60 Quadratmeter, Baujahr 1950 – für knapp 900.000 Euro. Das ist eines der raren Immobilienangebote in der Gemeinde Tegernsee, die weniger als eine Million kosten. Ansonsten: Zwei Millionen für ein Einfamilienhaus, achteinhalb Millionen für die Landhaus-Villa und so weiter.
Johannes Hagn ist Erster Bürgermeister von Tegernsee. Er sagt: "Die Folgen dieser Preisentwicklung liegen auf der Hand. Ich bin CSU-Ortsvorsitzender, ich habe allein bei mir im Ortsvorstand zwei junge Leute, die Wohnungen suchen, zum Kauf oder zur Miete. Die haben schlechterdings keine Chance. Ein guter Bekannter von mir sucht auch verzweifelt ein Haus zu kaufen hier im Tegernseer Tal. Aber bei den momentanen Preisen kann man das schlicht und ergreifend vergessen."
Fürs Video-Interview sitzt er an seinem Schreibtisch im Rathaus und ruft am PC ein Immobilienportal auf: "2007 waren hier circa hundert Objekte zu verkaufen, ausschließlich Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften – Reihenhäuser gibt es hier sowieso kaum. Momentan sind es 14 oder 15 – mit Preisen, die raufgehen in zweistellige Millionenbeträge. Das Problem ist die Unsicherheit durch die Finanzkrise. Die Pandemie verschärft das, weil die Leute Angst haben, dass das Geld nichts mehr wert ist. Man geht also mit Sicherheit verstärkt ins Betongeld."

Ein Trend, der junge Leute vertreibt

Der Tegernsee, 50 Kilometer südlich von München, steht beispielhaft für einen Trend, der weite Teile von Oberbayern erfasst hat: Seit einiger Zeit verteuern sich Häuser und Wohnungen Jahr für Jahr um zehn Prozent und mehr, sagt der Bürgermeister: "Das führt dann dazu, dass wir junge Leute verlieren, die wir zum einen brauchen natürlich in der Politik. Und zum anderen brauchen wir die Leute auch für die Dienstleistungen vor Ort, sei es der Bäcker oder sei es die Feuerwehr."
Ein Grund für die galoppierenden Preise ist der Arbeitsmarkt: Weil Unternehmen in München und Umgebung gut bezahlte Jobs anbieten, gibt es einen großen Zuzug. Zudem gelten die oberbayerischen Seen und Berge vielen als Sehnsuchtsort. Wer an einem sonnigen Tag am Ufer von Tegernsee entlang spaziert – mit Blick über das Wasser auf den schneebedeckten Wallberg – mag rasch auf den Gedanken kommen, wie idyllisch es sich hier wohnen lässt.
Bürgermeister Hagn sagt: "Das Lieschen Müller – keine Ahnung wo die herkommen, ich sag jetzt keinen Ort – das glaubt, sich hier am Tegernsee eine Einzimmerwohnung leisten zu müssen. Und die dann leer stehen zu lassen, damit man sagen kann, ich habe eine Wohnung am Tegernsee."

Zahlreiche Zweitwohnsitze für Betuchte

In der Gemeinde Tegernsee am Ostufer leben etwas mehr als 4000 Menschen. Wobei eine interessante Frage ist, wie viele wirklich dauerhaft hier leben. Mehr als jede siebte Wohnung sei ein Zweitwohnsitz, sagt Hagn. Und: "Es ist noch zu billig, sich hier am Tegernsee eine Ein-, Zwei- oder Dreizimmerwohnung nebenher zu leisten."
Ein geräumiges Haus aus Holz und Stein mit vielen Fenstern auf einer Anhöhe.
Vermutlich auch nicht gerade wenig wert: das Haus von Nationaltorhüter Manuel Neuer in Tegernsee im Jahr 2017.© IMAGO / Spöttel
Deshalb hat die Kommune die Zweitwohnsitzsteuer auf zwanzig Prozent der Kaltmiete erhöht – deutlich mehr als der Bundesschnitt. "Wir nutzen die Einnahmen, um Wohnraum zu sichern", so der Bürgermeister. "Wir kaufen über Vorkaufsrechtssatzungen wo möglich, ansonsten zu normalen Marktkonditionen Mehrfamilienhäuser und stellen die dann unserer Bevölkerung zur Verfügung. Wir sind als Kommune in der Lage, Preise zu verlangen, die nicht unbedingt die absolute Wirtschaftlichkeit darstellen, weil wir per se kein Geld damit verdienen wollen."
50 Kilometer nordwestlich liegt der Starnberger See – hier haben die Menschen mit das höchste Durchschnittseinkommen in ganz Deutschland. Die Dichte an Segeljachten ist hoch, das Wasser blau. Und am Blick aufs Alpenpanorama, gekrönt von der Zugspitze, können sich manche gar nicht satt sehen.

Suche nach einem Rückzugsort am Starnberger See

Florian Raffelt arbeitet als Immobilienmakler am Starnberger See: "Wir gehören natürlich schon zu den begünstigsten Regionen, die Nachfrage ist kontinuierlich hoch. Der Platz ist begrenzt, und wenn jemand die Wahl hat zwischen einem Ort im Speckgürtel Münchens oder dem Starnberger See, und sich das leisten kann, dann geht er natürlich gerne hier raus."
Seit sechs Jahren beobachtet der Makler einen linearen Preisanstieg bei Häusern und Wohnungen im Münchner Umland. Nicht einmal gebremst durch Corona – im Gegenteil, zeigt eine aktuelle Auswertung des Immobilienverbands Deutschland. Zwischen Frühjahr und Herbst verteuerten sich Eigentumswohnungen in Starnberg um sechs Prozent, Doppelhaushälften um viereinhalb Prozent.
Zwar sei offen, wie sich die Krise in manchen Branchen auf Jobs und Einkommen auswirke, sagt Raffelt. Aber: "Wir merken, wenn wir mit Kaufinteressenten sprechen, dass der Wunsch nach einer schönen Immobilie, nach einem Rückzugsort oder einem Refugium, sehr an Bedeutung zugenommen hat."

Weniger Angebote wegen Corona

Gerade bietet sein Büro "Starnberger See Immobilien" ein renovierungsbedürftiges Einfamilienhaus aus den 70er-Jahren an – für knapp 1,4 Millionen Euro. Mit Garten, großen Fenstern, der Möglichkeit, ein Heimbüro einzurichten: "Wenn Sie es mal vergleichen mit innerstädtischen Situationen, wo Familien in einer kleinen, kompakten Wohnung, vielleicht ohne Balkon irgendwo in der Innenstadt leben. Dass das, was man halt so schmerzlich vermisst momentan, in der eigenen Immobilie abgewickelt werden kann, ohne dass man allzu große Zugeständnisse macht."
Während die Nachfrage im Münchner Umland hochbleibt, ging die Zahl der Angebote im vergangenen Jahr spürbar zurück, heißt es beim Immobilienverband. Offenbar zögern manche, während Corona zu verkaufen.

Riss durch die Gesellschaft

Die Preise dürften also weiter steigen, befürchtet Natascha Kohnen, Abgeordnete der SPD im bayerischen Landtag: "Die oberen 10.000 haben kein Problem, sich Wohnraum zu leisten. Aber die Problematik des bezahlbaren Wohnens ist schon in der Mittelschicht angekommen, bei ganz normalen Familien mit ganz normalem Einkommen. Bei denen geht es jetzt wirklich nass rein."
Kohnen hat ihren Wahlkreis in Oberbayern und beschäftigt sich seit Langem mit dem Thema Wohnen: "Die Kinder alteingesessener Familien müssen weg aus ihrer Heimat, das zerreißt eigentlich eine Gesellschaft. Und wenn man an die Tourismusgebiete denkt, dann hat man natürlich Angestellte wie Köche, Gastronomie, Hotellerie, die können sich überhaupt nichts mehr leisten. Das heißt, dort werden auch Fachkräfte gesucht, und das Problem ist, es ist kein Wohnraum da, um diese Fachkräfte unterzubringen."
Um bezahlbare Mieten zu sichern, setzen Kommunen wie Starnberg und Tegernsee auf gemeindeeigene Wohnungen und Genossenschaften. Oder sie vergeben in Modellprojekten vergünstigte Immobilien an Einheimische.
Blick vom Jochberg auf den den Starnberger See im Bayrischen Voralpenland. 
Mit das höchste Durchschnittseinkommen in ganz Deutschland gibt es am Starnberger See. Da werden Modelle benötigt, damit auch Menschen mit weniger Geld noch Wohnraum finden. © IMAGO / Fotostand / Wagner
Aber das reicht nicht: So gibt es laut Immobilienverband Deutschland für ein Starnberger Einheimischen-Modell dreimal mehr Bewerbungen als Häuser.
Denn Neubauten sind selten. Was auch daran liegt, dass manche Orte kaum neues Bauland ausweisen, erklärt Bürgermeister Hagn vom Tegernsee: "Wenn wir dem Druck nachgeben würden, den vor allem Immobilienfirmen auf uns ausüben, dann haben wir irgendwann italienische Verhältnisse wie im Tessin. Da schaut man auf die italienische Seite rüber von der Schweiz, und bis zum höchsten Berggipfel ist alles zugebaut. Das können wir nicht wollen. Weil das würde ja dazu führen, dass wir das, was uns ausmacht, verlieren, und das ist die Natur."

Forderung nach Vorkaufsrecht für Gemeinden

SPD-Politikerin Kohnen fordert, der Staat müsse den Immobilienmarkt stärker regulieren, etwa mit mehr Vorkaufsrechten für Gemeinden. Oder einer zusätzlichen Grundsteuer für unbebaute Grundstücke.
Kohnen sagt: "Auf Bundesebene halte ich für eines der ganz wichtigen Gesetze die Bodenwertzuwachssteuer. Das heißt, wenn Boden, ohne dass man etwas dazu tut, mehr wert wird, dann greift derjenige, der das besitzt, einfach ab. Das kann nicht sein, weil Boden gehört jedem. Aber es ist inzwischen ein reines Spekulationsding geworden."
Bürgermeister Hagn von der CSU lehnt den Vorschlag der Bodenwertzuwachssteuer ab: "Weil ich schon ein bisschen ein Problem habe, wenn sich jemand was geschaffen hat, dann kann ich nicht hingehen und ihm das wegnehmen, bloß weil er das Glück gehabt hat, viel zu kriegen. Sondern es geht eher darum, dass man sagt, man hat keine gleichmäßige Gerechtigkeit. Und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, diese Gerechtigkeit, hat ja auch dazu geführt, dass wir die neue Zweitwohnungssteuer haben."

Gegensteuern mit höherer Zweitwohnsteuer

Die will Hagn für Tegernsee weiter erhöhen. Die Zahl der Zweitwohnungen zu verringern - darin ist er sich zumindest mit Kohnen einig. Die SPD-Politikerin erzählt: "Sie gehen durch Tourismusorte wie beispielsweise Marquartstein und Sie treffen auf einen Ort, der zur Hälfte im Dunkeln ist während der Woche. Weil die Reichen kommen und sich dort Zweitwohnungen leisten, die eigenen Leute nicht mehr unterkommen. Dann können Sie sich vorstellen, wie das auf einen Ort wirkt."
Wegen bleibend niedriger Zinsen ist es attraktiv, in Immobilien zu investieren. Makler Raffelt glaubt nicht, dass die Preise in Oberbayern demnächst stagnieren: "Eine Blase sehen wir nicht. Die Nachfrage ist sehr stabil, die ist auch sehr solide. Nachdem unser Portfolio hier so begrenzt ist, gehen wir in der Branche alle davon aus, dass sich die Situation weiter positiv entwickelt. Ein Plateau, das dann irgendwo stehenbleibt, sehen wir heute noch nicht."
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