Teure Atomruine

Von Barbara Schmidt-Mattern · 11.03.2013
Der Prototyp für einen Hochtemperatur-Reaktor in Hamm-Uentrop wurde einst als technische Meisterleistung gefeiert. Doch nach nur 423 Tagen wurde die Anlage wegen Störfällen abgeschaltet. Seit 25 Jahren muss der Reaktor-Friedhof nun bewacht werden - und das verschlingt Millionenbeträge.
"Danke! Tschüss – so jetzt können wir öffnen… gleichwohl wird beim Öffnen auch wieder ein Warnton erklingen …"

Der Chef persönlich greift zum Telefon – niemand kommt hier unbemerkt hinein in diesen piependen circa 40 Meter hohen Klotz, der von außen aussieht wie ein Möbellager.

"Das müssen wir quittieren, hier an diesem kleinen Pult …"

Günther Dietrich ist ein akkurater Typ. Der 62-jährige Ingenieur trägt Fliege und einen weißen Schutzhelm. Er steht in einem kleinen, nur von mattem Kunstlicht erleuchteten Vorraum, der ins Innere des Thorium-Hochtemperatur-Reaktors, kurz THTR, führt. Jede geöffnete Tür löst den Warnton aus:

"Diese Meldung ist dann auch für den Überwacher gelöscht. Also wir sind berechtigt, reinzugehen."

Ganze 423 Tage war der Reaktor mit voller Last in Betrieb, damals in den 80ern, bevor er nach nicht einmal drei Jahren schon wieder abgeschaltet wurde. Seit fast 25 Jahren beherbergt Hamm-Uentrop nun eine Art Reaktor-Friedhof. Gefährliche Strahlung aus dem Innern der Anlage sei, so versichert Günther Dietrich – undenkbar, praktisch jedenfalls:

"Theoretisch könnten Kontaminationen rausgetragen werden, die von der Größe her aber so sind, dass sie unbedenklich sind, denn all das, was radioaktiv belastet ist, ist sicher eingeschlossen."

Zwei Mann überwachen den stillgelegten Reaktor
Den Katastrophenschutz für den THTR haben sie in Hamm-Uentrop längst abgeschafft, und Schutzanzüge sind auch nicht mehr nötig. Ganze zwei Mann überwachen den stillgelegten Reaktor heute noch, einer von ihnen ist Andreas Reisch.

"Es gibt genug zu tun und zu planen. Die wiederkehrenden Prüfungen, die anstehen, Instandhaltungsmaßnahmen…"

Jeden Tag dreht Reisch seine Runde, er begutachtet Messstationen, Lüftungen und Fallrohre, dazu gelegentlich ein Anruf beim Dachdeckermeister, damit es in den Reaktor nicht hineinregnet. Langeweile kommt nicht auf, sagt der 52-Jährige. Andere Ingenieure überwachen Jahrzehnte lang Kettenreaktionen, Reisch hingegen hatte in den letzten dreißig Jahren viel Abwechslung, und da mischt sich jetzt Stolz in seine Stimme:

"Ja, auch das ist eine neue Herausforderung. Die Jahre, die wir die Inbetriebnahme durchgeführt haben, die Versuche, die gefahren wurden, das war ein Zeitabschnitt. Und jetzt sind wir in dem Status des sicheren Einschlusses. Also durchaus schon abwechslungsreich. Es gibt andere Leute, die haben nur eine Phase, nämlich nur den Betrieb."

Reisch ist ein Prototyp seiner Zunft: Nüchtern, präzise, eine manchmal etwas umständliche Ausdrucksweise. Einzig bei der Frage, ob er die Kernkraft weiterhin befürwortet, kommt die Antwort kurz, knapp und klar:

"Ja natürlich, sonst wär ich nicht hier."

Während es mit dem ruckelnden Lastenaufzug 21 Meter hoch zur Reaktorhalle geht, erzählt Andreas Reisch, wie das damals war im Frühjahr 1986, als erst die Katastrophe von Tschernobyl passierte und dann nur eine knappe Woche später ein so genannter Vorfall in Hamm-Uentrop. Seine Familie, seine Freunde – alle löcherten den Ingenieur damals:

"Genau diese Fragen: Wie gefährlich ist das, hast Du keine Angst? Du hast doch auch Kinder. Und diese üblichen Fragen, die wurden jedem gestellt…"

Manche wollten in der Anlage Vögel fliegen lassen
Genervt habe ihn das damals, sagt Andreas Reisch, während er aus dem Fahrstuhl in die düstere Reaktorhalle tritt, seine Taschenlampe anknipst und den Lichtkegel auf den so genannten sicheren Einschluss richtet: Alle kontaminierten Gebäudeteile des Atomkraftwerkes sind ummantelt von einem zylinderförmigen Behälter mit Unterdruck. Außenrum fünf Meter dicker Spannbeton. Rundherum verläuft in 21 Metern Höhe die begehbare Bühne. Hamm-Uentrop selbst ist derzeit eine Art Zwischenlager. Günther Dietrich, der zusammen mit Andreas Reisch mit dem Lastenaufzug hier hoch gefahren ist, mag solche Vergleiche nicht:

"Es ist kein Friedhof, sondern es ist eine Anlage, die überwacht werden muss und die irgendwann zurückgebaut wird. Die Kosten sind schwer kalkulierbar."

2030 könnte es losgehen, schätzt Dietrich. Trotz Stilllegung kostet der Reaktor bis heute viel Geld. Seit 1989 sind für Hamm-Uentrop schon 425 Millionen Euro geflossen, knapp zwei Drittel davon vom Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen. Trotz der Kostenexplosion bedauert Günther Dietrich bis heute, dass die öffentliche Stimmung gegen seinen Reaktor damals im Frühjahr 1986 kippte:

"Im Vergleich zu Tschernobyl und auch im Vergleich zur natürlichen Radioaktivität war das, was hier abgegeben wurde, im Faktor 1:500.000 weniger."

Doch Bund und Land waren sich parteiübergreifend einig: Am 1. September 1989 erfolgte der Stilllegungsbeschluss für Hamm-Uentrop. Dabei hatte die Politik diesen Prototyp des neuen Kugelhaufen-Reaktors zuvor fast zwei Jahrzehnte lang als Supermaschine gefeiert, die die heimische Kohlevergasung unterstützen sollte. Alles kam anders: 1991 mussten sie in Hamm-Uentrop den 184 Meter hohen Kühlturm sprengen. Ein Denkmal wäre schöner gewesen, sagt Günther Dietrich:

"Andere Ideen damals waren, das ganze als Freiflug-Vogliere zu nutzen. Nur auch dafür hat sich keiner gefunden, der die Kosten dafür tragen will, bis hin zu der Diskussion, die wir Anfang der 90er-Jahre hatten mit der Denkmalbehörde."

Auch die Brennelemente sind längst abtransportiert, hunderte von Castoren rollten dafür von Hamm-Uentrop ins Zwischenlager nach Ahaus.

Seinen Chef im Schlepptau will Andreas Reisch zum Ende seines Rundgangs noch die lufttechnische Anlage überprüfen…

"Hier ist’s ein bisschen lauter, was Sie hören, sind die Umluft und die Fortluft-Ventilatoren."

Zu Fukushima mag Andreas Reisch nicht viel sagen, aber selbst er hat sich vor zwei Jahren ein bisschen erschrocken angesichts der Flutwelle, die in das japanische Atomkraftwerk krachte:

"Und da sagt man, oh Gott! Da kann man sich als Ingenieur schon vorstellen, welcher Aufwand das ist…"

Ob Stromausfall oder Erdbeben, wie sie in Westfalen durchaus vorkommen, in Hamm-Uentrop sei man bis heute für alles gewappnet. Dem Ingenieur ist nichts zu schwer.
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