Terry Swartzberg

Der "Mister Stolperstein" aus München

Im Hof eines Hauses in München sind in den Boden Stolpersteine eingelassen - eine Verlegung auf öffentlichem Grund ist dort nicht möglich. Die in ganz Europa verteilten Gedenktafeln des Künstlers Gunter Demnig sollen an das Schicksal der Menschen erinnern, die im Nationalsozialismus vertrieben, deportiert und ermordet wurden.
Im Hof eines Hauses in München sind in den Boden Stolpersteine eingelassen - eine Verlegung auf öffentlichem Grund ist dort nicht möglich. © picture-alliance / dpa / Andreas Gebert
Von Michael Watzke · 28.05.2015
Zehntausende Stolpersteine erinnern hierzulande an Opfer der NS-Diktatur. Nur auf Münchens Straßen sind sie keine Selbstverständlichkeit. Um das zu ändern, hat in der bayerischen Metropole der gebürtige New Yorker Terry Swartzberg den Kampf mit den mächtigen Gegnern des Projekts aufgenommen.
"Wir sind in Sendling. Da haben sehr viele Juden gewohnt. Die waren eher kleine Leute. Unter anderem Ella Einstein. Sie wurde in Kaunas ermordet. Für sie, auf Wunsch ihrer Angehörigen, haben wir einen Stolperstein herstellen lassen."
Der Mann wiegt einen faustgroßen Betonwürfel in der rechten Hand. Einen Stolperstein. Terry Swartzberg ist in München der Mister Stolperstein - der aktivste Unterstützer jener Pflasterwürfel mit Messinggravur, die in anderen deutschen Städten längst selbstverständlich sind. Nur in München nicht. Was der gebürtige New Yorker Swartzberg nicht verstehen kann.
"Die Stolpersteine sind mittlerweile ein Begriff im Amerikanischen. Das ist so wie 'Angst'. Oder 'Kindergarten'. All' diese deutschen Begriffe, die Amerika übernommen hat. So wie 'Schlepp' aus dem Jiddischen gibt es jetzt 'Stolpersteine'."
Ein Kippa-Träger mit sonnigem Gemüt
Terry Swartzberg lächelt hinter seinen glasbaustein-dicken Brillengläsern. Der Vater von vier erwachsenen Kindern ist kein verbissener Kämpfer. Er hat das sonnige Gemüt eines Westküsten-Amerikaners, auch wenn er von der East Coast stammt. Als Journalist und Medienexperte lebt Terry seit 30 Jahren in München. Er liebt diese Stadt. Wenn er unterwegs ist, trägt er stets eine tellergroße Kappe auf dem inzwischen haarlos glänzenden Hinterkopf.
"Ich bin Kippa-Träger. Ich trage diese jüdische Kopfbedeckung jeden Tag, bei jedem Wetter. An jedem Ort in Deutschland und Europa. Und ich erlebe Deutschland als ein judenfreundliches, sicheres Land."
Es gebe hierzulande eine vorbildliche Erinnerungskultur, sagt Swartzberg, dessen Vorfahren polnische Juden waren, die nach Amerika auswanderten. Jedes Land habe dunkle Seiten, denen es sich stellen müsse. Deutschland habe in seiner Geschichte nun mal besonders dunkle Flecken.
"Deswegen finde ich wunderbar, dass Deutschland etwas Einmaliges geschafft hat: Wenn man bedenkt, dass es hier 72.000 Stolpersteine in 1000 Städten gibt. 200 kommen noch mal in Europa hinzu. Das ist etwas Wunderbares. Die Erinnerungskultur, die Deutschland entwickelt, ist mehr als eine Wiedergutmachung. Sie ist ein Beispiel, ein Vorbild für andere Länder."
Kampf gegen Münchens Stolperstein-Gegner
Umso seltsamer, gegen wen Terry in seiner Wahlheimat München für Stolpersteine kämpft: Seine Gegnerin ist Charlotte Knobloch. Die mächtige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde. Sie will keine Stolpersteine in München. Denn die Opfer des Holocaust würden auf diese Weise mit Füßen getreten, sagt sie. Terry Swartzberg findet, die Angehörigen der Opfer sollten selbst entscheiden.
"Sehr viele Menschen, die seit dem Zweiten Weltkrieg für die Erinnerung in Deutschland kämpfen – alte KZ-Überlebende – sterben aus. Und sie sterben mit dem Wunsch, dass die Stolpersteine nach München kommen. Al Koppel ist gestorben. Peter Jordan ist 91. Er hat seine Eltern in Kaunas verloren. Ernst Grube ist 83. Viele von diesen Menschen wollen einmal erleben, dass München die Stolpersteine genehmigt. Wenn sie sterben, ist da auch ein riesiger Verlust für die Glaubwürdigkeit von München."
Der Münchner Stadtrat wird noch in diesem Jahr über Terry Swartzbergs Stolperstein-Initiative entscheiden. Bei der letzten Entscheidung im Jahr 2004 folgten die Stadtoberen der Stolperstein-Gegnerin Charlotte Knobloch. Seitdem hat Terry, der in München der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom angehört, Unterstützer gesammelt: Über das Internet-Petitionsforum change.org kamen fast 100.000 Unterschriften zusammen.
"Wir machen es seit elf wirklich schweren Jahren gegen eine Übermacht. Charlotte Knobloch ist eine sehr respektierte Person in dieser Stadt, mit Recht, aber sie hat viel Macht in dieser Stadt. Vor allem der Oberbürgermeister und viele andere waren gegen uns und haben gesagt: Gegen sie könnt Ihr nicht ankommen. Wir haben immer gesagt: Wir wollen nicht gegen jemanden ankommen. Wir wollen nur unsere Sache sachlich und fair vorstellen. Und dann kann jeder entscheiden, ober er oder sie für oder gegen die Stolpersteine ist."
Auf der Suche nach dem Sonderweg
Einen ersten Erfolg hat Terry soeben gefeiert: Der ebenfalls jüdische CSU-Stadtrat Marian Offman schlug einen Stolperstein-Kompromiss vor: Nur die Angehörigen der Opfer des NS-Regimes sollen das Recht haben, einen Stolperstein für ihre Verwandten zu fordern. Und was dort eingraviert wird, entscheiden die demokratisch legitimierten Gremien der Stadt München. So könnte es zum Beispiel beim Stolperstein für Ella Einstein aus München-Sendling aussehen. Terry hält ihn schon in der Hand:
"Sie war Großhändlerin, relativ wohlhabend, hatte eine Großfamilie – und fast alle sind ermordet worden, 1941 in Kaunas. Bei der großen Ermordung der Münchner Juden. 1100 Opfer. Sie und ihr Mann waren dabei."
Terry Swartzberg wiegt den Stolperstein in den Händen, dann legt er ihn in eine Stofftasche zu zwei anderen. Die grauen Würfel beulen die Tasche aus. Sie haben zweifellos Gewicht.
"Ja, sie sind sehr schwer. Ich bin oft mit dem Fahrrad unterwegs zu Veranstaltungen, mit zwei oder drei Stolpersteinen im Gepäck. Das ist eine gute Sportart. Das macht stark."
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