Terror

Vom Wilden Westen in den Nahen Osten

Von Hartwig Tegeler |
Der Dschihadisten inszenieren den Heiligen Krieg wie einen Hollywood-Streifen, der moderne Terror kann seinen popkulturellen Hintergrund nicht verleugnen, meint der Kinokritiker Hartwig Tegeler. Doch nicht nur die Ästhetik ähnele dem Film - auch die Moral.
Der Mann hat ein Anliegen: Er will Rache! Weil jemandem, der ihm nahesteht, Unaussprechliches angetan wurde in einer Welt, in der es keine Ehre, keine Gerechtigkeit mehr gibt. Sein Credo: In dieser Welt bist du, was du sein möchtest. Und dies sagt Denzel Washington auch noch: Ändere deine Welt!
Dann metzelt er in "The Equalizer" - ein Beispiel von vielen - standardmäßig die Bösewichte nieder und wischt, ohne mit der Wimper zu zucken, das Hirn vom Vorschlaghammer.
Nun kommt das, was der Held in diesem Film über den Zustand der Welt von sich gibt, kein bisschen religiös daher; nichts ist mit irgendeinem Koranvers legitimiert. Aber der Held in Antoine Fuquas Thriller scheint trotzdem wie ein geistiger Bruder eines IS-Kämpfers.
Denn was unterscheidet die Selbstlegitimation des blutigen Rächers im Film - ob Westerner oder urbaner Actionheld - von der des IS-Kämpfers, der meint, dass der Islamische Staat in der gottlosen Welt sie alle töten müsse, die Gottlosen. Wer immer nach der Tagesagenda da nun gerade auch zugehört.
Aufs Ununterscheidbare vermengt
In dem, was uns der Islamische Staat in seiner Bilder-Propaganda-Maschine übers Internet präsentiert, vermengen sich fiktive Bilder aus Film und Kino und blutige Realität aufs Ununterscheidbare. Nimmt man Hollywood-Dramaturgie ernst, dann hat der IS-Kämpfer nach den Gesetzen des Actionkinos, das uns in allen möglichen Aufgüssen immer wieder präsentiert wird, alle Zutaten nicht etwa des Schurken, sondern des "Guten": Gnadenlosigkeit, Mut, Konsequenz, hemmungslose Bereitschaft, den Gegner in unendlicher Zahl auszulöschen. Fundamentalismus pur, im Beipack die "reine Lehre".
Was natürlich hineinführt in die alte Debatte: Werden die, die gewalttätige mediale Bilder in sich aufsaugen, in der Realität dann zu Gewalttätern? Ja, das liegt nahe, sagte der eine Medienwissenschaftler. Was für ein Schwachsinn!, sagte der andere. Eine Annäherung fand höchstens statt in dem Argument: Wenn das Umfeld desjenigen, der die Bilder rezipiert, gewalttätig, sozial aussichtslos und/oder bildungsfern ist, dann können Bilder zum Brandbeschleuniger werden.
Die Dschihadisten, die aus Deutschland oder einem anderen westlichen Land in ihren Heiligen Krieg ziehen, tun dies mit entsprechendem popkulturellen Hintergrund.
Und da der Terrorismus, wie der US-Politikforscher Max Abrahams sagt, "definitionsgemäß Kommunikationsstrategie" ist, läuft in der Propaganda-Strategie des Islamischen Staats einiges zusammen: Omnipotenz-Wahn verbunden mit dem Schwärmen für Gewalt, Folter und Mord. Legitimiert mit Koranversen. Doch im Hintergrund läuft auch ein Film, der sich bewusst, unbewusst jeder Menge von Versatzstücken aus dem Action-Kino mit Stallone, Schwarzenegger, Bruce Willis oder - wie zuletzt - Denzel Washington bedient: treten, hauen, stechen, ballern und auch dem einen oder anderen den Kopf abschlagen. Wenn's der Säuberung der Welt dient. "Säuberung" - auch so ein Begriff. Aus einem anderen totalitären Zusammenhang.
Die Realität verkneift sich den Ritt in den Sonnenuntergang
Beim ideologischen Feldzug des Islamischen Staates vor allem übers Internet fällt solche Art von Fiktion gewissermaßen über die Realität her und scheint dabei Impulsgeber für die hier im Westen unzufriedenen jungen Männer, die aufbrechen nach Syrien oder in den Irak. Vom Wilden Westen in den Nahen Osten. Um dann - auch das Leben des IS-Kämpfers ist trotz aller Koranverse kein Ponyhof - wieder in der Realität zu landen.
Denn der "islamische Held" aus dem Westen, der die Welt nach seinem Bilde zu formen sucht, wird in der Realität nicht selten enttäuscht, weil von den Glaubenskrieger-Brüdern vor Ort getäuscht. Gerade westliche IS-Aspiranten, so berichten Heimkehrer, geraten in die Rivalitätskämpfe unterschiedlicher Gruppen oder werden als Kanonenfutter genutzt.
Die Realität in Syrien oder im Irak verkneift sich offensichtlich den Ritt in den Sonnenuntergang oder andere Formen von Happy End. Das Leben und das Sterben auch von Glaubenskriegern halten sich an kein Filmdrehbuch.
Hartwig Tegeler, geboren 1956 in Nordenham-Hoffe an der Unterweser, begann nach einem Studium der Germanistik und Politologie in Hamburg seine journalistische Arbeit bei einem Privatsender und arbeitet seit 1990 als Freier Hörfunk-Autor und -Regisseur in der ARD, schreibt Filmkritiken, Features und Reportagen.