Terror-Texte

Vorgestellt von Reinhard Kreissl · 21.05.2006
Über die Symptome des islamistischen Terrors werden wir fast täglich durch die Medien informiert. Der Islam-Experte Gilles Kepel hat in seinem Buch "Al-Qaida - Texte des Terrors" zentrale Botschaften der ideologischen Führer zusammengetragen und gibt einen Einblick in die Denkstrukturen der Terroristen.
Gilles Kepel ist ausgewiesener Experte für den Islam. Das hebt ihn wohltuend ab von jenen Fachleuten, die bei aufbrechenden aktuellen Problemen die Studios der Fernsehstationen bevölkern und ihr Publikum oft mit Binsenweisheiten meinen aufklären zu müssen.

Kepel und seine Kollegen haben sich der schwierigen Aufgabe gestellt, aus dem Umfeld des diffusen Phänomens Al-Qaida Dokumente zusammenzustellen, und diese zu kommentieren. Als Leitorientierung dienen ihnen dabei die Namen der prominenten Vertreter, allen voran Osama Bin Laden. Darüber hinaus finden sich Kapitel über drei weitere Figuren. Behandelt werden Leben und Schriften von Abdullah Azzam, der als Imam des Dschihads bezeichnet wird, von Ayman al-Zawahiri, einem der Kämpfer aus der ersten Generation und von Abu Mus’ab al-Zaraquawi, dessen Name aktuell mit einer Vielzahl von Aktionen im Irak in Verbindung gebracht wird. Jedes dieser Kapitel wird von einem einzelnen Autor verantwortet. Dem Band ist ein Sach- und Personenregister beigefügt. Der Herausgeber selbst ist mit einer kurzen allgemeinen Einführung in dem Buch vertreten.

Kepel weist in seiner Einleitung auf die Schwierigkeiten eines solchen Unterfanges hin.

"Anstatt eine a priori Definition von Al-Qaida zu geben, die von einer Auflistung von Symptomen ausgeht – Attentate, Morde, Geiselnahmen mit medialer Inszenierung –, wird in dem vorliegenden Buch versucht, Material zusammenzutragen, das uns erlaubt, von innen heraus diesen flüchtigen Gegenstand zu rekonstruieren, jenseits der Erscheinungsformen, die zwar die Aufmerksamkeit darauf lenken, aber dadurch seine Identität eher verhüllen. .... Typisch für alle diese Schriften, die im Internet zirkulieren – und in ihrer Gesamtheit das Netz ergeben, das die Substanz von Al-Qaida darstellt –, ist, dass wir sie nicht mit Bestimmtheit einem Autor zuordnen können. In einer Welt ohne Urheberrecht ist es nicht sicher, dass wirklich Bin Laden, Zawahiri oder Zarqawi all das verfasst haben, was ihnen zugeschrieben wird, bei Azzam ist die Wahrscheinlichkeit noch am größten, er hat die allgemeine Verbreitung des Internets nicht mehr erlebt; der Großteil seiner Texte wurde auf Papier gedruckt und erst später ins Internet gestellt."

Die Autoren verfolgen einen hermeneutischen Ansatz. Sie wollen verstehen. Dabei werden schnell die Grenzen eines solchen Unterfangens deutlich. Sind die jedem Kapitel vorangestellten Kurzbiographien der jeweiligen Figuren noch halbwegs nachvollziehbar, so verliert der westlich geprägte Geist an den Originaldokumenten oft seinen Halt. Die Sprache der Pamphlete und Texte ist uns fremd. Das liegt vermutlich nicht nur daran, dass es sich hier um die Übersetzung einer Übersetzung handelt. Die in Arabisch verfassten Originale wurden ins Französische und für die hier vorliegende Ausgabe aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Vielmehr ist der orientalische Stil, das Dahinmäandern der Sprache zwischen historischen Verweisen, aktuellen Bezügen und religiösen Floskeln sperrig. Es sind Texte aus Tausendundeiner Nacht des Terrors. Die Autoren haben versucht, durch eine sehr ausführliche Kommentierung in Fußnoten Verbindungen herzustellen, sie erläutern apokryphe Stellen und es entsteht bei peinlich genauer Lektüre allmählich der Schatten einer Vorstellung, wie alles mit allem zusammenhängen könnte. Aber letztlich sind die Originaldokumente nur ein schmückender Beleg für das, was sich der externe Beobachter schon immer über die Funktionsweise des Dschihads gedacht hat.

Einzelne Passagen, etwa aus der Rede Bin Ladens an die Amerikaner, die zwei Tage vor der Präsidentschaftswahl am 30. Oktober 2004 verbreitete wurde, zeigen vertraute politische Motive. Der Appell an die Freiheit, die Begründung des Terrors mit den illegitimen Angriffen auf die arabische Bevölkerung.

"Weil wir frei sind, haben wir gekämpft und weil wir nicht solche Männer sind, die in der Unterdrückung einschlafen. Im Gegenteil, wir wollen unserem Land die Freiheit zurückgeben, und weil ihr unsere Freiheit zunichte macht, verfahren wir genauso mit eurer Freiheit. Nur ein dummer Verbrecher kann mit der Sicherheit der anderen Scherz treiben und hoffen, dass er in Sicherheit bleibt; vernünftige Menschen hingegen beeilen sich, wenn Katastrophen geschehen, nach den Ursachen zu suchen."

In anderen Texten aber verliert sich das Verständnis oft in den unbekannten lokalhistorischen Bezügen.

Was bleibt ist der Versuch, ein komplexes Phänomen mit den uns zur Verfügung stehenden begrifflichen Mitteln verständlich zu machen. Dabei zeigen sich dann Parallelen zu traditionellen westlichen Bewegungen: Die zentralen Akteure rekrutieren sich oft aus der gesellschaftlichen Oberschicht und werden nach ihrem Tod zu Märtyrern stilisiert. Es herrscht innerhalb der Bewegung oft ein erbitterter Streit über die reine politische – oder hier: theologische – Lehre. Dieser Streit wird über die Deutung kanonisierter Schriften ausgetragen. Man warnt sich gegenseitig vor Verweichlichung und Verwestlichung. Und in den Biographien der Aktivisten zeigt sich immer wieder die reaktive Radikalisierung: Wer im Gefängnis saß, kehrt als harter Kämpfer zurück.

Aber am Ende fällt die luziferische Transfiguration der Medien, die uns böse Männer mit Bärten in afghanischen Höhlen als Bedrohung unserer westlichen Kultur verkaufen wollen, dank der akribischen Dokumentation von Kepel und seinem Team doch zusammen. Was bleibt ist eher das Gefühl, hier einem absurden Schauspiel beizuwohnen. Wenn man den 11. September kurz und knapp als den Gegenschlag des Proletariats der Dritten Welt deuten würde, käme man der Wahrheit vermutlich näher, als durch jede noch so ausgefeilte hermeneutische Analyse der verstümmelten Theologie dieser Texte. Immer wieder fällt bei der Lektüre die Parallele des Pathos auf. Die Beschwörung der westlichen Werte wirkt aus dem Mund des amerikanischen Präsidenten, der damit seine Feldzüge begründen möchte, ebenso bizarr, wie die Koranzitate der Paten des Terrors. Die Konfliktparteien sind sich vermutlich ähnlicher, als ihnen lieb ist und das lässt nicht auf ein baldiges Ende des Konflikts hoffen.

Gilles Kepel und Jean-Pierre Milelli, Hrsg.: Al-Qaida - Texte des Terrors
Aus dem Französischen von Bertold Galli, Enrico Heinemann, Ursel Schäfer und Thorsten Schmidt
Piper Verlag, München 2006
"Al-Qaida - Texte des Terrors" (Coverausschnitt)
"Al-Qaida - Texte des Terrors" (Coverausschnitt)© Piper Verlag,