Terror in Paris

Wir können uns nicht nur an Worte klammern

Kerzen vor dem Restraurant "Le Petit Cambodge" in Paris, wo sich einer der Anschläge in der französischen Haupstadt ereignete.
Kerzen vor dem Restraurant "Le Petit Cambodge" in Paris, wo sich einer der Anschläge in der französischen Haupstadt ereignete. © picture alliance / dpa / Ria Novosti / Galina Azule
Von Ursula Welter · 15.11.2015
Frankreichs Präsident Holland spricht vom "Krieg" gegen eine "dschihadistische Armee". Doch der oberste Befehlshaber der Armee kann dieser nur mit begrenzten Mitteln entgegen treten. Schon jetzt wisse Frankreich nicht, wie es einen Weltklimagipfel schützen soll, kommentiert Ursula Welter.
"Je suis Charlie", hieß es nach den Januar-Attentaten. "Fluctuat nec mergitur" steht nach der November-Schlächterei auf einem Banner am Platz der Republik. "Das Schiff schwankt, aber es wird nicht untergehen" - der lateinische Wahlspruch der Stadt Paris.
In der äußersten Not klammern sich Menschen an Worte. Worte, die dem Sinnlosen Sinn geben sollen, die Zusammenhalt schaffen sollen und Stärke. Worte sind die Antwort der zivilisierten Welt auf die Barbarei. Aber werden Worte genügen?
Der französische Staatspräsident hat von einer "dschihadistischen Armee" gesprochen, die Frankreich angegriffen habe. Und Frankreich will diesen Angriff abwehren.
Schon lange hat unser Nachbarland auf Syrien gedeutet. Erst zögerten die USA, dann zögerte die französische Diplomatie selbst, dann kamen die Luftangriffe, die sich zum heillosen Chaos in dem von Bürgerkrieg malträtierten Land addierten, ohne den islamistischen Terror zu stoppen. Ein Terror, der Drachenköpfe hat und überall zuschlägt.
Opfer sind überall zu beklagen
Die Opfer liegen ja nicht nur im Konzertsaal von Paris, auf den Café-Terrassen und vor dem Fußballstadion. Sie liegen am Strand von Tunesien, werden in jüdischen Museen in Belgien erschossen, sterben am Himmel über dem Sinai, haben im Irak ihr Leben verloren, weil sie Christen sind. Die Opfer der "dschihadistischen Armee" sind überall zu beklagen.
Nach den Januar-Attentaten hatte die Französische Republik nach innen gesehen: Das Scheitern der Einwanderungspolitik; die Erkenntnis, dass es Franzosen waren, die gemordet hatten; die Einsicht, dass die Werte der Republik leere Worthülsen sind für junge Männer, die radikalen Imamen auf den Leim gehen und in den Irak und nach Syrien ziehen, Kanonenfutter für den Dschihad – all das war ein Schock.
Jetzt, nach der neuen Terror-Serie, ist der nationale Notstand ausgerufen. Der Blick richtet sich nach außen. "Wir befinden uns im Krieg", sagt der Staatspräsident und: Man werde die Herausforderung annehmen. "Wir werden sie zerstören", sagt der Premier. Die Qualität ist anders als im Januar nach Charlie Hebdo und dem Anschlag auf den Supermarkt für koschere Lebensmittel, als die Laizitätspflicht beschworen und Erziehungsprogramme verabschiedet wurden.
Noch lähmt die Trauer die Menschen. Noch suchen Familien verzweifelt nach Antworten, sind ihre Angehörigen und Freunde nicht identifiziert. Noch ringen Opfer in den Krankenhäusern um ihr Leben.
Schulterschluss der politischen Kräfte
Die Staatsspitze sucht den Schulterschluss aller politischen Kräfte im Land. Morgen wird sich der Präsident vor dem Kongress in Versailles erklären. Eine herausragende Geste. Francois Hollande ist qua Verfassung der oberste Befehlshaber der Armee. Und das Arsenal, das er im Inland den hochorganisierten Soldaten des sogenannten "Islamischen Staates" entgegensetzen kann, ist begrenzt. Schon jetzt weiß Frankreich nicht, wie es einen Weltklimagipfel schützen soll, der 80 Prozent der Sicherheitskräfte binden wird, Kräfte, die zum Schutz der eigenen Bevölkerung benötigt würden.
Morgen beim Kongress in Versailles wird Frankreich seinen Nachbarn unbequeme Wahrheiten sagen. Es wird die Solidaritätspflicht einfordern im Krieg gegen den sogenannten "Islamischen Staat". Dass Deutschland mit den Nachbarn weint, ist gut und hilft unseren Freunden. Aber vielleicht ist es nicht genug.
Das Ausmaß der Folgen der verheerenden Anschläge vom vergangenen Freitag erahnen wir noch nicht. "Fluctuat nec mergitur", "Je suis Charlie" – wie gerne möchten wir uns an Worte klammern, damit nicht Waffengewalt das Handeln diktiert. Aber so ist die Welt nicht mehr, nicht nach diesem 13. November 2015.