Terrassen, Trauer und Träume

In seinem neuen Gedichtband hält der Berliner Lyriker Uwe Kolbe Zwiesprache mit Goethes "Römischen Elegien". Dabei sucht und findet er wie sein berühmter Vorgänger vor allem Gelegenheiten, den Geliebten seine Aufwartung zu machen. Sie führen und verführen ihn wie die Städte, von denen er sich mit Lust verzaubern lässt.
Uwe Kolbe hat sich seinen neuen Gedichtband bei dem berühmten Dichterkollegen Goethe zwei Worte geliehen: "Heimliche Feste". "Schalkhaft, munter und ernst begehen wir heimliche Feste, / Und das Schweigen geziemt allen Geweihten genau", heißt es in der IV. "Römischen Elegie". Bei der Elegien-Sammlung handelt es sich um den lyrischen Ertrag, den der aus Weimar Geflohene von seinem Italienaufenthalt (1786-1788) mitbrachte. Eingegangen sind in die Verse Erfahrungen mit dem antiken Mythos, der Stadt Rom, der befreiten Sexualität – für die der Name Faustina steht – und der erfüllten Liebe, die sich mit dem Namen Christiane verbindet.

Der Band gliedert sich in acht Abtteilungen und es hat den Anschein, als würde Kolbe auch noch in anderer Hinsicht an einer Zwiesprache mit dem Autor der "Römischen Elegien" gelegen sein. Goethe hat seine Verse durch das Wortspiel Roma/Amor erotisch aufgeladen. Die Stadt ist mythische Quelle und zugleich wird sie als Ort von Liebesamouren erwähnt. In dieser Hinsicht ist auch der Nachgeborene umtriebig und steht so im Dialog mit dem Dichterfürsten.

Allerdings umgeht Kolbe Rom. Dafür träumt er von Paris, ist unterwegs in der Südpfalz, durchstreift Heidelberg, besucht Sofia und landet schließlich gegen Ende des Bandes in Preußen. Das klingt nach Wanderschaft. Besonders eindringlich sind seine Verse allerdings dadurch, dass dem "fahrenden Gesellen" genügend Zeit bleibt, sich Verlockendem hinzugeben: Er sucht und findet Gelegenheiten, den Frauen schlechthin und den Geliebten im Besonderen seine Aufwartung zu machen. Ihrem Reiz spürt er nach. Sie führen und verführen ihn wie die Städte, von denen er sich mit Lust verzaubern lässt.

Kompositorisch liegt dem Band der Verlauf einer Reise als Thema zu Grunde, wobei die Gedichte von Lebens-, Liebes- und Schicksalsreise handeln. Erwartungsfroh ist der Beginn. "Sailor’s Home" ist die erste Abteilung mit zehn Gedichten überschrieben, in denen das Segelmotiv variiert wird. Das lyrische Ich setzt die Segel voller Hoffnung, aber diese Tonlage ist nicht zu halten. Bereits in "Sailor’s feeling old" schwingt Trauer in den Versen mit. Dieser Ton wird – beginnend mit dem Gedicht "Kleine Totenglocke" aus der zweiten Abteilung – eindringlicher und mit der Zunahme von Kälte und Abschieden elegischer. "In Nächten" wählt Kolbe als Titel für die fünfte Abteilung und mit "Im Norden" ist die sechste überschrieben. Zwischen dem Norden und der letzten "In Büchern, in Preußen" genannten Abteilung, hat Kolbe mit "Terrassen" einen Zyklus eingeschoben, der Zeit zur Besinnung lässt. Bevor die Reise endet, lädt die Terrasse zum Nachdenken und Träumen ein. Sie ist ein geeigneter Ort, um sich auf Reisen, die im Kopf gemacht werden, zurück und nach vorn zu bewegen – mit dem Vorteil, sich nicht von der Stelle bewegen zu müssen. Uwe Kolbe hat sich mit diesem Gedichtband – einige der Texte sind bereits 2005 in dem Band "Ortvoll" erschienen – erneut als Lyriker eindrucksvoll zu Wort gemeldet.

Rezensiert von Michael Opitz

Uwe Kolbe: Heimliche Feste. Gedichte.
Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2008, 104 Seiten. 16,80 Euro.