Terézia Mora: "Auf dem Seil"

Grandioser Abschluss der Kopp-Trilogie

06:17 Minuten
Das Cover von "Auf dem Seil" von Terézia Mora auf einem orangefarbenen Hintergrund.
Ein faszinierend-schillernder Schlusspunkt der Kopp-Trilogie: Terézia Mora überzeugt unsere Kritikerin mit "Auf dem Seil". © Cover: Luchterhand Verlag/ Montage: Deutschlandradio
Von Maike Albath · 07.09.2019
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Darius Kopp ist wieder da! Terézia Mora hat ihren kauzigen Romanhelden zum Abschluss der Trilogie nach Sizilien geschickt. Dort trifft er zu seinem eigenen Erschrecken auf Familienmitglieder - und beginnt, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Ausgerechnet Italien und dann auch noch Sizilien! In keinem anderen Land hätte man sich Terézia Moras urdeutschen, übergewichtigen, dauerschwitzenden Computer-Nerd Darius Kopp weniger vorstellen können als dort, zwischen goethianischen Olivenhainen, Zitronenbäumen, Tempeln und Amphitheatern. Darius Kopp, geschlagener Held von Moras weit ausgreifender Roman-Trilogie, die mit "Der einzige Mann auf dem Kontinent" vor zehn Jahren ihren Auftakt nahm und mit dem buchpreisgekrönten Mittelteil "Das Ungeheuer" (2013) weiterging, hat es tatsächlich auf die größte Insel Europas geschafft.
Der seit über einem Jahr von Ungarn über Albanien bis nach Griechenland tingelnde junge Witwer hat aber auch einen konkreten Grund: Er will die Asche seiner Frau Flora, einer Ungarin, die unter Depressionen litt und sich das Leben nahm, auf dem Ätna zerstreuen. Das gelingt ihm schließlich, und nun sitzt er dort, auf dem Vulkan, und ist der Welt abhandengekommen. Seine bürgerliche Existenz als IT-Manager und Besitzer einer Eigentumswohnung hat er hinter sich gelassen, auf Mails antwortet er nicht, niemand weiß, wo er ist.

Moras Roman ähnelt tatsächlich einem Seiltanz

Eher zufällig schlitterte er in eine Liebschaft mit einer sizilianischen Hotelwirtin und einen Job als Fahrer für Ätna-Touren hinein. Eines Tages erkennt er unter den Touristen zu seinem Schrecken seine Schwester und etliche Monate später, als Kopp längst in Catania als Pizzabäcker jobbt, steht seine Nichte Lorelei vor ihm und erwartet Gastfreundschaft.
"Auf dem Seil" heißt der dritte Band der Trias – und tatsächlich ähnelt diese grandiose Schlusskadenz in vielem einem Seiltanz. Dass der Ätna ein Schauplatz sein musste, wo in der Antike der Eingang zum Hades vermutet wurde und sich Empedokles in den Krater stürzte, leuchtet absolut ein. Außerdem ist die süditalienische Peripherie ähnlich zerstört wie die ostdeutsche Provinz.

Witzige Umdeutung des Bildungsromans

Terézia Mora stellt ihrem Helden mit der 17-jährigen Lore nach Wilhelm-Meister-Manier eine Mischung aus Mignon und Marianne zur Seite: Das Mädchen will etwas von ihm. Sie fordert Kopp heraus und erzwingt eine Beziehung, etwas, das der knapp 50-jährige Witwer kaum gewohnt ist. Zwar hat ihn Sizilien mit seiner Sonne, dem gleißenden Licht und der Meeresluft schon verändert, aber kaum wieder in Berlin, droht er, in sein altes, misstrauisches Ich zurückzufallen. Während Kopp mühselig die Fäden seiner einstigen Existenz zusammenklaubt und beginnt, sich dem Leben zu stellen, schält sich nach und nach ein anderer Mann hervor.
Dass "Auf dem Seil" ein faszinierend-schillernder Schlusspunkt ist, hat viele Gründe. Die witzige Umdeutung des Bildungsromans, die Stadtprospekte aus einem Underground-Blickwinkel, das vielfältige Figurenensemble mit dem heiteren Pizzabäcker Metin-Matteo oder dem loyalen Rollstuhlfahrer Rolf, die Virtuosität der Handlungsführung und schließlich vor allem die perspektivische Gestaltung. Im Inneren der Hauptfigur changieren die Sprechhaltungen, ein Ich blitzt auf und plötzlich auch ein Du, hinter dem sich die abwesende Flora verbirgt. Terézia Mora stellt ihre Könnerschaft eindrucksvoll unter Beweis.

Terézia Mora: "Auf dem Seil"
Luchterhand Literaturverlag, München 2019
360 Seiten, 24 Euro

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