Künstlerin Teresa Burga

Scharfe Kritikerin der sozialen Ausgrenzung

06:01 Minuten
Teresa Burga steht vor zwei ihrer Bilder.
Immer wieder zeigt Teresa Burga die Ausbeutung Indigener in ihrer peruanischen Heimat. © imago-images / Zuma Press / Hugo Perez
Von Anette Schneider · 05.08.2022
Audio herunterladen
Teresa Burga wurde lange vom Kunstbetrieb ignoriert, erst im hohen Alter erfuhr sie Anerkennung. Das Museum Weserburg in Bremen zeigt das Früh- und Spätwerk einer Künstlerin, deren Arbeiten die neokolonialen Strukturen in Peru enthüllen.
Auf den weiß und lila leuchtenden Wänden bei der Ausstellung Teresa Burga. Die Seiltänzerin im Museum Weserburg in Bremen sieht man Bilder in gleißendem Grün, Blau, Rot und Gelb: aufeinanderprallende Farbflächen, abstrakte Muster, Gitter und dazwischen Figuren. Eine verführerische Farbenpracht, die es in sich hat.

Isolation von Indigenen und Frauen

Der Stil der Bilder sei scheinbar naiv, sagt Museumsdirektorin Janneke de Vries. "Wenn man aber genauer hinguckt, ist Teresa Burga schon eine sehr genaue Seziererin gesellschaftlicher Verhältnisse." Einige frühe Arbeiten aus den 60er-Jahren, hauptsächlich aber Werke aus den letzten zehn Jahren geben einen faszinierenden Eindruck von der Zeichnerin Teresa Burga, und sie zeigen: Die Künstlerin blickte stets kritisch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ihres Landes. Mehr noch: In den letzten Jahren wurde sie immer unversöhnlicher.
Drastisch zeigt sie in leuchtenden Farben die verheerenden sozialen Folgen kolonialer Strukturen und neoliberaler Politik: verelendete Indigene, die auf städtischen Brachflächen Gemüse ernten, eine obdachlose Frau auf einer Matratze unter freiem Himmel, Marktfrauen, die auf vier Quadratmetern zwischen Billigklamotten ihr Leben verbringen müssen. Soziale Aus- und Abgrenzung, die Isolation von Indigenen und - im Land des Machismo - von Frauen, sind wiederkehrende Themen.
"Es gibt eine einzige Abbildung bei über 70 Zeichnungen, wo Mann und Frau mal gemeinsam in einem Bild erscheinen. Also man sieht ganz klar: Die Männer nehmen am öffentlichen Leben teil. Die Frau sitzt vor der eigenen Tür. Von dort aus hat sie den Blick auf das, was im öffentlichen Raum passiert", sagt de Vries.

Burgas Arbeiten enthüllen neokoloniale Strukturen

Teresa Burga wurde 1935 geboren, studierte in Lima, Chicago und Paris, entwarf ab den 70er-Jahren Installationen und Objekte und gilt seit ihrer späten Entdeckung in ihrer Heimat als Pionierin einer neuen kritischen peruanischen Kunst. Der internationale Kunstbetrieb, der noch immer alles an westlichen Kunstmaßstäben bemisst, nennt sie eine "Popart- und Konzeptkünstlerin".
Dabei geht es Teresa Burga immer um Kritik an den sozialen Widersprüchen in ihrer Heimat. Sie entwickelt dafür ein ganzes Spektrum raffinierter formal-ästhetischer Ausdrucksweisen: Ihre strahlenden Farben und vereinfachten Formen etwa sind nicht der Pop-Art geschuldet, sondern beschwören die Errungenschaften indigener Webkulturen herauf. In einer Installation greift sie das Zählsystem der Inkas auf. In einer anderen setzt sie auf die idealen Umrisse einer weißen Frau die kleine, eher gedrungene Körperform indigener Frauen. Ihre Arbeiten enthüllen und unterminieren die neokolonialen Strukturen und erinnern permanent daran, wem das Land eigentlich gehört.

30 Jahre Arbeit in der Zollbehörde

Bis vor wenigen Jahren habe das aber weder den nationalen noch den internationalen Kunstmarkt interessiert, sagt de Vries. "Sie hat aber nie aufgehört zu arbeiten. Um das möglich zu machen, hat sie sich einen Brotjob besorgt und in der Zollbehörde gearbeitet. 30 Jahre lang hat sie Arbeitsabläufe in der Behörde effizient gemacht, sich gefragt, wie man Dinge besser machen kann." In ihrer Kunst bedeutet dieses "besser machen", es radikal anders zu machen: So liegen in der faszinierend-abgründigen Ausstellung verteilt bunte Module mit Abbildungen und Symbolen von Kindern, Pfeilen, Autos und Häusern - Bauklötze für die Gestaltung einer neuen Gesellschaft.
Angesichts der Tatsache, dass seit 2019 eine zehn Kilometer lange Mauer in Lima die Bezirke der Reichen von denen der Armen trennt, rumort es auch in ihren Zeichnungen immer lauter: Auf einer Gartenparty wird die versammelte High Society durch einen im Hintergrund brennenden Riesenbaum bedroht. Eine 2020 entstandene, jetzt erstmals präsentierte Serie zeigt menschenleere, verfallene Straßenzüge.

Indigene Landarbeiter sind die neue Kraft

"Natürlich ist das nicht nur ein Bild aus ihrem direkten Umfeld, sondern das ist übertragbar auf größere gesellschaftliche Zustände", so de Vries. Wer Teresa Burga als Pop-Art- und Konzeptkünstlerin vereinnahmt, verharmlost sie und entpolitisiert sie. Auf Dauer wird das nicht funktionieren. Denn in einer anderen erstmals ausgestellten Serie, sieht man, dass die neue gesellschaftliche Kraft bereit steht: indigene Landarbeiter.
Noch müssen sie sich, um Überleben zu können, in ihren bunten Festtagstrachten unseren voyeuristischen Augen präsentieren. Doch sie tun dies mit grimassenhaftem Grinsen und knirschenden Zähnen. Ihre Geduld scheint zu Ende. Diese "brennende Ungeduld" verdichtet Teresa Burga in einem starken Sinnbild: Auf den glühenden Farben der indigenen Webarbeiten lauert ein zähnefletschender Alligator - zum Sprung bereit!
Teresa Burga. Die Seiltänzerin
Museum Weserburg Bremen
bis 6. November 2022
Mehr zum Thema