Tenebom: Festival fehlt Brückenfunktion zwischen Nahem Osten und Westen

Tuvia Tenenbom im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 02.11.2009
Der Theaterregisseur und Journalist Tuvia Tenebom vermisst beim ersten Doha-Tribeca-Filmfestival in Qatar, einem Ableger des gleichnamigen New Yorker Festivals, eine "Ost-West-Begegnung", "eine Versöhnungsgeste", "ein Zeichen für Internationalität".
Sigrid Brinkmann: In den Arabischen Emiraten werden Kunsthallen gebaut, in denen Museen aus Paris, London, Sankt Petersbug, Dresden und Berlin Teile ihrer Sammlungen ausstellen, Wagner-Opern werden aufgeführt und hochdotierte Literaturpreise geschaffen.

Dubai und Abu Dhabi machen seit ein paar Jahren mit eigenen Filmfestivals Beirut, Kairo und Tunis Konkurrenz, und nun versucht auch das kleine, aber reiche Emirat Qatar Filmschaffende an den Golf zu ziehen. Nun ist in der Hauptstadt Doha das erste internationale Doha-Tribeca-Filmfestival eröffnet worden – unterstützt von Amerikanern, die in New York das Tribeca-Festival managen.

Tribeca ist ein Bezirk im Süden Manhattans, dicht am World Trade Center gelegen und durch die Anschläge auf die Twin-Towers besonders in Mitleidenschaft gezogen worden. Für den Schauspieler Robert de Niro war das der Grund, 2002 das Tribeca-Festival ins Leben zu rufen. Und jetzt gibt einen Ableger im Nahen Osten.

Der New Yorker Theaterregisseur und Journalist Tuvia Tenenbom – hier auch bekannt durch seine Reportagen, die er für die Wochenzeitung "Die Zeit" schreibt – ist seit der Eröffnung des Doha-Tribeca-Filmfestivals in Qatar. Mit ihm habe ich vor der Sendung gesprochen.

Die Gründung eines neuen Festivals ist ein großes Ereignis. Wie wurde das von den Qataris gefeiert?

Tuvia Tenebom: Die katarische Regierung investiert enorme Geldsummen in das Festival, denn es scheint ihr sehr wichtig zu sein. In der ganzen Stadt hängen Fahnen des Doha-Tribeca-Festivals. Alle Reporter sind in der Businessclass auf Regierungskosten eingeflogen und in Fünf-Sterne-Hotels untergebracht worden, und zwischen den Filmvorführungen darf man sich dann noch massieren lassen. Was dieses Festival wirklich kostet, bleibt ein Geheimnis, ich hab’s nicht rausbekommen. Wie die Einwohner von Qatar das Ganze wahrnehmen, das ist eine andere Geschichte. Man müsste sie an den traditionellen Gewändern und an der Sprache erkennen, aber hier hört man nur englisch, französisch und ein paar andere Sprachen. (Übersetzung)

Brinkmann: Sind Schauspieler und Regisseure zur Eröffnung gekommen?

Tenenbom: Ein paar sind gekommen, andere sind weggeblieben. Es ist tatsächlich eine Veranstaltung für Journalisten. Heute Nacht tritt Robert de Niro auf, um den Abschluss im Museum der Islamischen Künste zu feiern. Prominenz kam nur zur Eröffnung und zum Abschied, so wie Mira Nair, die Regisseurin des amerikanischen Eröffnungsfilms "Amélia" über die Flugpionierin Amelia Erahart, aber es ist insgesamt schon eine seltsam geschlossene Veranstaltung. Im Pressebüro trifft man nur Leute aus New York. Die meisten Filme sind amerikanische Produktionen. Es gibt nur sieben arabische Filme im Programm, darunter ein Dokumentarfilm über Qatar, von einem Katari gedreht.

Brinkmann: Was ist dann der Sinn dieses Doha-Tribeca-Filfestivals? Ich hatte gedacht, es könnte vielleicht eine Brückenfunktion zwischen dem Nahen Osten und dem Westen erfüllen?

Tenenbom: Nein, diese Funktion erfüllt es nicht. An diesem Festival verdient vor allem Tribeca. Es werden ja nur ganz wenige arabische Filme gezeigt, und der Nahe Osten wird nur von zwei palästinensischen Filmen repräsentiert, zwei sehr Israel-kritische Filme. Es gibt dazu überhaupt keinen Gegenpart, aber gut: das trifft für die ganze Region zu, dass aus Israel gar nichts gezeigt werden darf. Eine Ost-West-Begegnung, eine Versöhnungsgeste, ein Zeichen für Internationalität? Nein. Ich wünschte, es wäre so, ich hatte darauf gehofft, aber ich kann nichts dergleichen finden.

Brinkmann: Wenn Sie, Tuvia Tenenbom, in Saudi-Arabien, in Jordanien oder in der Westbank als Journalist unterwegs sind, dann arbeiten Sie undercover, denn als Jude, der in Israel geboren wurde, wäre teilweise nicht einmal die Einreise möglich. Nach Qatar sind Sie zum ersten Mal ohne falsche Identität gereist. Wie fühlt sich das an?

Tenenbom: Am Anfang war es ganz seltsam für mich, als Tuvia einzureisen, aber den meisten Leuten, mit denen ich spreche, stelle ich mich doch als "Tobias" vor, denn als ich mit jemandem auf Arabisch sprach, mischte sich eine Frau im Kreis ein und sagte: "Moment mal, wie kommt es, dass Sie arabisch sprechen? Sie sehen überhaupt nicht aus wie ein Araber. Sie sind doch garantiert ein Israeli!" Ich habe sie gefragt, wie sie darauf komme, und sie fragte weiter: "Wo sind Sie denn geboren?" Darauf habe ich geantwortet: "Ich bin ein Landmann. (Lachen) Immer da, wo ich bin, ist mein Zuhause". Sie beharrte weiter darauf, dass ich Israeli sei, und es entstand eine eigenartige Spannung. Dann habe ich sie angeblickt und gesagt: "Schauen Sie mich an. Ich habe einen amerikanischen Pass. Der ist blau. Meine Haut ist weiß. Ich glaube, das sind die beiden Farben der israelischen Flagge. Also gut, erklären Sie mich zu einem Israeli". Dann haben alle gelacht, die Spannung ließ nach, und das war’s. Nach meinem Witz hat sich keiner mehr um meine Herkunft geschert. Aber über Juden kann man an einem solchen Ort natürlich überhaupt nicht reden. Ein Palästinenser sagte mir: "Die Ägypter sind jüdischer als die Juden. Die behandeln uns absolut brutal." Also: Brücken? Nein, die gibt’s nicht. Ich nenne mich weiter "Tobias" anstatt "Tuvia", das erspart mir Ärger.

Brinkmann: Das Emirat Qatar ist seit 1998 das Hauptquartier der amerikanischen Truppen im Nahen Osten. Der Fernsehsender Al Djazeera hat seine Zentrale in der Hauptstadt Doha. Wie empfinden Sie, der Sie ja immer den direkten, unbeobachteten Kontakt zu Einheimischen suchen, wenn Sie für Reportagen unterwegs sind, das allgemeine Klima in der Stadt – ab von den Begegnungen, die Sie uns eben geschickt haben?

Tenenbom: Ich bemühe mich um direkten Zugang zu Kataris, aber es ist ungeheuer schwer, sie zu finden. Die meisten sind ausgewandert. Arbeitskräfte von den Philippinen und aus Sri Lanka trifft man. Ich habe Leute angesprochen, die wie katarische Wächter gekleidet waren, aber die kamen aus Pakistan ... Die gebürtigen Kataris leben in eigenen, abgekapselten Gegenden, die die meisten nicht verlassen.

Brinkmann: Tuvia Tenenbom, glauben Sie, dass das Doha-Tribeca-Filmfestial, das jetzt eine Premiere erlebt hat und seinen Abschluss findet heute Nacht, eine Eintagsfliege bleibt oder wird es nächstes Jahr einen Fortsetzung geben?

Tenenbom: Sie werden es sicher fortführen. Die Leute aus Tribeca hier äußern sich nur ausweichend, wenn ich nach Verträgen und künftigen Plänen frage. Nein, darauf lassen sie sich nicht ein. Und die Kataris wollen sich in der Welt der Kunst einen Namen machen, in der Kinowelt Fuß fassen, denn das ist ein Riesengeschäft. Das Festival ist Öffentlichkeitsarbeit. Mehr Sinn kann man darin schwerlich sehen.