Tendenz zunehmend - Was tun gegen Übergewicht und seine Folgen?
Die Deutschen sollen den Gürtel enger schnallen: "Fast jeder zweite ist zu dick", warnt Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Rund 37 Millionen Erwachsene und bereits zwei Millionen Jugendliche bringen zu viel auf die Waage - das ist europäische Spitze.
Einer jüngsten Studie des Robert-Koch-Instituts zufolge sind bereits 15 Prozent der Kinder zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig, sechs Prozent sogar adipös, also fettleibig.
Nun soll Schluss sein mit Hüftspeck und XXL-Figur: Mit einem "nationalen Aktionsplan" will die Bundesregierung die Pfunde schmelzen lassen, sein Motto "Fit statt fett". Bis zum Jahr 2020 sollen 20 Prozent weniger Menschen übergewichtig sein, als heute.
Prof. Dr. Wieland Kiess unterstützt diese Initiative, gerade auch im Hinblick auf die wachsende Zahl übergewichtiger Jugendlicher. Der Direktor der Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche in Leipzig beobachtet in den letzten Jahren eine stetige Zunahme von Altersdiabetes bereits bei Kindern. "Wir haben derzeit um die 250 gemeldete Fälle, die Dunkelziffer dürfte aber bis zu 20 mal so hoch liegen." Der ehemalige Präsident der deutschen Diabetes Gesellschaft, die derzeit in Hamburg einen internationalen Kongress veranstaltet, warnt vor den enormen Kosten, die das Übergewicht verursacht:
"Der bundesdeutsche Gesundheitsetat liegt zwischen 100 und 120 Milliarden Euro, das ist fast so viel wie der gesamte Bundeshaushalt. Wir wissen, welches die Hauptmortalitätsgründe sind: Herzerkrankungen, Arteriosklerose, Typ-2-Diabetes. Neueste Schätzungen, die auch auf dem Kongress bestätigt worden sind, gehen von zehn Millionen Typ-2-Diabetikern in Deutschland aus. Das bedeutet dass ein Viertel bis ein Drittel des Gesundheitsetats für die Folgekosten von Übergewicht drauf gehen."
Der Mediziner sieht einen eindeutigen Zusammenhang von sozialer Herkunft, Bildungsgrad und Übergewicht.
"Wir wissen mittlerweile sehr viel, woher Übergewicht kommt: Zum einen ist es genetisch bedingt, dann liegt es an mangelnder Bewegung und an mangelnder Bildung, am mangelnden Einkommen. Natürlich kann jeder sich gesund ernähren, natürlich kann jeder Sport treiben. Das können auch Menschen, die nicht so viel Geld haben. Aber wer arm und ungebildet ist, hat andere Probleme. Ich zitiere gern eine US-amerikanische Studie, die untersucht hat, wer wie oft joggt. Dabei kam heraus, dass 33 Prozent der Jogger promoviert sind. Unter den weniger Gebildeten finden sich nur sechs bis sieben Prozent."
Insofern unterstützt Wieland Kiess den Aktionsplan des Bundesverbraucherministers, er fordert aber weiterreichende Maßnahmen: zum Beispiel Werbeeinschränkungen für Süßigkeiten und Alkohol. Er plädiert aber auch für eine aufsuchende Hilfe von sozial schwachen Familien und städtebauliche Maßnahmen, wie den Bau von mehr Kinderspielplätzen.
Auch Sylvia Baeck kennt die Probleme des Übergewichts nur zu gut. Sie hat vor über 20 Jahren die Berliner Beratungsstelle "Dick und Dünn e.V" gegründet, mittlerweile die größte ihrer Art in Deutschland. Rund 50 Prozent ihrer Klienten sind übergewichtig, viele leiden unter Ess-Sucht, fressen im wortwörtlichen Sinne alles in sich hinein. Sie kann mit dem Aktionsplan "fit statt fett" nichts anfangen:
"Der Titel ärgert mich geradezu! Weil er voraussetzt, dass übergewichtige Menschen nicht fit sind. Das stimmt nicht. Er ärgert mich aber auch, weil er übergewichtige Menschen noch mehr diskriminiert, als sie es eh schon sind in unserer Gesellschaft. Wenn ich ein Programm für Übergewichtige starten will, dann muss ich sie positiv bestätigen, ihr Selbstbewusstsein stärken, dass sie ihren Körper auch in seiner Fülle annehmen können. Dass sie Spaß an Bewegung bekommen. Wir müssen sie motivieren, ihr Leben zu ändern."
In ihren Beratungen arbeitet sie sowohl mit Erwachsenen, aber auch mit Jugendlichen und deren Eltern, "Sie haben eine Vorbildfunktion, auch im Essverhalten. Wir müssen aber auch sehen, wie ist die soziale Realität, Arbeitslosigkeit spielt eine große Rolle. Dann sitzen sie nur noch vor der Glotze. Da geht nichts mehr." Aus ihrer langjährigen Tätigkeit, für die sie im vergangenen Jahr die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland erhalten hat, weiß Sie, dass kurzfristige Programme nur wenig bringen. "Solche Crash-Programme greifen nicht. Es ist doch die Frage, wie man langfristig etwas in den Köpfen ändert. Alle reden gerade von Diäten und mehr Bewegung, so einfach ist es nicht. Es ist verdammt schwer, auf lange Sicht etwas zu ändern."
Ihr Appell: "Auch Menschen, die ein paar Pfunde zu viel haben, müssen existieren dürfen."
"Was tun gegen das Übergewicht und seine Folgen?" Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9:07 Uhr bis 11 Uhr gemeinsam mit Sylvia Baeck und Prof. Dr. Wieland Kiess. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen über Sylvia Baeck unter www.dick-und-duenn.de
Nun soll Schluss sein mit Hüftspeck und XXL-Figur: Mit einem "nationalen Aktionsplan" will die Bundesregierung die Pfunde schmelzen lassen, sein Motto "Fit statt fett". Bis zum Jahr 2020 sollen 20 Prozent weniger Menschen übergewichtig sein, als heute.
Prof. Dr. Wieland Kiess unterstützt diese Initiative, gerade auch im Hinblick auf die wachsende Zahl übergewichtiger Jugendlicher. Der Direktor der Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche in Leipzig beobachtet in den letzten Jahren eine stetige Zunahme von Altersdiabetes bereits bei Kindern. "Wir haben derzeit um die 250 gemeldete Fälle, die Dunkelziffer dürfte aber bis zu 20 mal so hoch liegen." Der ehemalige Präsident der deutschen Diabetes Gesellschaft, die derzeit in Hamburg einen internationalen Kongress veranstaltet, warnt vor den enormen Kosten, die das Übergewicht verursacht:
"Der bundesdeutsche Gesundheitsetat liegt zwischen 100 und 120 Milliarden Euro, das ist fast so viel wie der gesamte Bundeshaushalt. Wir wissen, welches die Hauptmortalitätsgründe sind: Herzerkrankungen, Arteriosklerose, Typ-2-Diabetes. Neueste Schätzungen, die auch auf dem Kongress bestätigt worden sind, gehen von zehn Millionen Typ-2-Diabetikern in Deutschland aus. Das bedeutet dass ein Viertel bis ein Drittel des Gesundheitsetats für die Folgekosten von Übergewicht drauf gehen."
Der Mediziner sieht einen eindeutigen Zusammenhang von sozialer Herkunft, Bildungsgrad und Übergewicht.
"Wir wissen mittlerweile sehr viel, woher Übergewicht kommt: Zum einen ist es genetisch bedingt, dann liegt es an mangelnder Bewegung und an mangelnder Bildung, am mangelnden Einkommen. Natürlich kann jeder sich gesund ernähren, natürlich kann jeder Sport treiben. Das können auch Menschen, die nicht so viel Geld haben. Aber wer arm und ungebildet ist, hat andere Probleme. Ich zitiere gern eine US-amerikanische Studie, die untersucht hat, wer wie oft joggt. Dabei kam heraus, dass 33 Prozent der Jogger promoviert sind. Unter den weniger Gebildeten finden sich nur sechs bis sieben Prozent."
Insofern unterstützt Wieland Kiess den Aktionsplan des Bundesverbraucherministers, er fordert aber weiterreichende Maßnahmen: zum Beispiel Werbeeinschränkungen für Süßigkeiten und Alkohol. Er plädiert aber auch für eine aufsuchende Hilfe von sozial schwachen Familien und städtebauliche Maßnahmen, wie den Bau von mehr Kinderspielplätzen.
Auch Sylvia Baeck kennt die Probleme des Übergewichts nur zu gut. Sie hat vor über 20 Jahren die Berliner Beratungsstelle "Dick und Dünn e.V" gegründet, mittlerweile die größte ihrer Art in Deutschland. Rund 50 Prozent ihrer Klienten sind übergewichtig, viele leiden unter Ess-Sucht, fressen im wortwörtlichen Sinne alles in sich hinein. Sie kann mit dem Aktionsplan "fit statt fett" nichts anfangen:
"Der Titel ärgert mich geradezu! Weil er voraussetzt, dass übergewichtige Menschen nicht fit sind. Das stimmt nicht. Er ärgert mich aber auch, weil er übergewichtige Menschen noch mehr diskriminiert, als sie es eh schon sind in unserer Gesellschaft. Wenn ich ein Programm für Übergewichtige starten will, dann muss ich sie positiv bestätigen, ihr Selbstbewusstsein stärken, dass sie ihren Körper auch in seiner Fülle annehmen können. Dass sie Spaß an Bewegung bekommen. Wir müssen sie motivieren, ihr Leben zu ändern."
In ihren Beratungen arbeitet sie sowohl mit Erwachsenen, aber auch mit Jugendlichen und deren Eltern, "Sie haben eine Vorbildfunktion, auch im Essverhalten. Wir müssen aber auch sehen, wie ist die soziale Realität, Arbeitslosigkeit spielt eine große Rolle. Dann sitzen sie nur noch vor der Glotze. Da geht nichts mehr." Aus ihrer langjährigen Tätigkeit, für die sie im vergangenen Jahr die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland erhalten hat, weiß Sie, dass kurzfristige Programme nur wenig bringen. "Solche Crash-Programme greifen nicht. Es ist doch die Frage, wie man langfristig etwas in den Köpfen ändert. Alle reden gerade von Diäten und mehr Bewegung, so einfach ist es nicht. Es ist verdammt schwer, auf lange Sicht etwas zu ändern."
Ihr Appell: "Auch Menschen, die ein paar Pfunde zu viel haben, müssen existieren dürfen."
"Was tun gegen das Übergewicht und seine Folgen?" Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9:07 Uhr bis 11 Uhr gemeinsam mit Sylvia Baeck und Prof. Dr. Wieland Kiess. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen über Sylvia Baeck unter www.dick-und-duenn.de