Minister Ben-Gvir auf dem Tempelberg

Provokation mit Signalwirkung

10:40 Minuten
Die Klagemauer und die goldene Kuppe des Felsendoms in Jerusalem.
In Jerusalem gilt der Tempelberg als heiliger Ort, wird aber immer wieder zum Anlass für eine Eskalation im Nahost-Konflikt. © picture alliance / Goldmann
Joseph Croitoru im Gespräch mit Vladimir Balzer · 03.01.2023
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Mit seinem Besuch auf dem Tempelberg in Jerusalem habe der neue israelische Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir vor allem die Interessen seiner radikalen Anhänger aus der Siedlerbewegung bedient, sagt der Nahost-Kenner Joseph Croitoru.
Israels neuer Minister für Nationale Sicherheit, der rechtsextreme Siedlerführer Itamar Ben-Gvir, hat als eine der ersten Amtshandlungen den Tempelberg in Jerusalem besucht. Diese Geste hat große symbolische Bedeutung und Spannungen in der ganzen Region ausgelöst.
Die islamistische Palästinenserorganisation Hamas drohte Israel mit "explosiver Gewalt" – und das vielleicht schon in den kommenden Tagen: Man werde "nicht tatenlos zusehen", wenn jemand das Heiligtum der Al-Aksa-Moschee verletze, erklärte sie in libanesischen Medien.

Symbolfigur der radikalen Siedlerbewegung

"Er setzt damit ein Zeichen, dass er zumindest rhetorisch gesehen, seine Versprechen aus dem Wahlkampf in die Tat umsetzt", sagt der Historiker und Journalist Joseph Croitoru zu dem Auftritt des Sicherheitsministers.
Ben-Gvir sei eine Symbolfigur der militanten israelischen Siedlerbewegung, sagt Croitoru. Sie wollten zum Tempelberg pilgern und dort unbedingt beten. "Dieser Besuch hat aus meiner Sicht vor allem eine Signalwirkung gegenüber seinen eigenen Wählern."

Der Tempelberg ist für Juden, Muslime und Christen ein wichtiger heiliger Ort. An Besuchen nationalistischer Israelis sowie an jüdischen Forderungen nach Gebetsrechten auf dem Tempelberg entzündete sich wiederholt teils gewalttätiger Protest von Palästinensern. Als der damalige Oppositionsführer und spätere israelische Ministerpräsident Ariel Scharon im Jahr 2000 demonstrativ den Tempelberg besuchte, löste er damit die Zweite Intifada aus.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte unmittelbar vor seiner Wahl am 1. November betont, er werde den Status quo an der von Muslimen und Juden beanspruchten heiligen Stätte nicht antasten. Bisher gilt, dass die Stätte Nicht-Muslimen für Besuche offensteht, das Recht auf Gebet bleibt jedoch Muslimen vorbehalten.

"Es sind Wähler aus dem national-religiösen Lager, die ihm folgen und die ihn auch bejubeln", so Croitoru. Es sei keineswegs Ben-Gvirs erster Besuch auf dem Tempelberg. "Das hat bei ihm fast schon eine längere Tradition." Jedes Mal wenn der Siedlerführer auf den Berg gegangen sei, habe er provoziert, fromme Sprüche von sich gegeben und nationalistische Lieder gesungen.
Der Siedler-Aktivist Itamar Ben-Gvir mit einer Gruppe radikaler Anhänger im Mai 2022 in unmittelbarer Nähe der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem.
Schon als Abgeordneter war der israelische Sicherheitminister Itamar Ben-Gvir mehrfach auf dem Tempelberg, um die Provokation zu suchen, sagt der Historiker Joseph Croitoru. © picture alliance / AA / Mostafa Alkharouf
"Er ist in Israel als ein Krawallmacher bezogen auf den Tempelberg sehr gut bekannt", so der Nahost-Kenner. Deshalb werde Ben-Gvir von einer bestimmten Wählerschaft unterstützt, die sich wünsche, dass der Tempelberg unter voller Souveränität des israelischen Staates stehe.

"Amalgam aus Religion und Politik"

Das inoffizielle Gebetverbot für religiöse Juden auf dem Tempelberg sei bereits in den vergangenen Jahren aufgeweicht worden, sagt Croitoru. Die israelische Polizei, die mit der Wahrung der Ordnung dort befasst sei, habe jüdischen Pilgern bereits erlaubt, am Rande des Moscheenareals leise zu beten. Das sei für die Muslime eine große Provokation, weil sie das als Sakrileg betrachteten.
"Es ist auf beiden Seiten ein Amalgam aus Religion und Politik", so Croitoru. Aber auch für säkulare oder christliche Palästinenser sei dieser Ort wichtig. Auf israelischer Seite gebe es eine kleine Gruppe, die sich aus nationalistischen Gründen für diesen Ort einsetzten, weil er für sie auch ein nationales Symbol sei, eng verbunden mit der Frage der nationalen Souveränität Israels über dieses ganze Areal. Die Mehrheit der säkularen Israelis interessiere sich aber nicht für den Tempelberg. "Sie sieht das genauso kritisch wie die Palästinenser."
Auf dem Tempelberg zeigt sich aus Sicht des Historikers der Konflikt zwischen Säkularen und Religiösen darum, wie man mit der jüdischen Tradition umgehe. "Letztendlich geht es um einen Richtungsstreit und um die Deutungshoheit über die komplexe religiöse und nationale jüdische Identität und Tradition."
(gem)
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