"Tempel sind mitunter tatsächlich reich"

Xenia Zeiler im Gespräch mit Anne Françoise Weber |
In Kerala wurde in einem hinduistischen Tempel ein Schatz entdeckt, der mehrere Milliarden Euro wert sein soll. Nun gibt es Streit darüber, was mit ihm geschehen soll. Es wäre nicht die schlechteste Idee, ihn auszustellen, sagt Indologin Xenia Zeiler.
Anne Françoise Weber: Der König rief mit stolzem Blick, der Diener eilt und kehrt zurück. Er trug viel gülden’ Gerät auf dem Haupt, das war aus dem Tempel Jehovas geraubt. Und der König ergriff mit Frevlerhand einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand.

So erzählt Heinrich Heine die Geschichte des babylonischen Königs Belsazar aus dem biblischen Buch Daniel. Dort hat das Rauben eines Tempelschatzes und die Gotteslästerung fürchterliche Folgen. Erst erscheint eine Flammenschrift an der Wand, die nur der Prophet Daniel entziffern kann, in der folgenden Nacht wird der König umgebracht. Wie viel der Schatz damals wert war, wissen wir nicht, aber in den vergangenen Wochen ging immer wieder ein Tempelschatz durch die Medien, der mehrere Milliarden Euro wert sein soll. Gefunden oder vielleicht auch nur wiederentdeckt wurde er in einem hinduistischen Tempel im indischen Bundesstaat Kerala. Nun streiten sich Gläubige, Juristen und Politiker darüber, was damit geschehen soll.

Ich habe vor der Sendung mit Xenia Zeiler, Religionswissenschaftlerin an der Universität Bremen und Expertin für Hinduismus gesprochen und sie zunächst gefragt, ob es eigentlich in jedem Hindutempel einen größeren oder kleineren Schatz gibt.

Xenia Zeiler: Es ist nicht unverbreitet. Selbstverständlich trifft das vor allen Dingen für größere, reichere, zumeist auch ältere, etablierte Tempel zu. Es gibt ja sehr, sehr viele auch kleinere Dorfschreine in ganz Indien verstreut, die dann wahrscheinlich weniger große Goldmünzen ansammeln können. Aber größere, häufig besuchte Tempel sind mitunter tatsächlich reich.

Weber: Wie kommt dieser Schatz dahin und hat er eine kultische Funktion? Oder ist das im Grunde nur ein besserer Tresor?

Zeiler: Oh nein, der hat natürlich ganz explizit einen religiösen Hintergrund. Das sind Opfergaben, um die es hier geht. Opfergaben von Gläubigen, die zum einen Tempel beschenken, offensichtlich auch mitunter sehr reichhaltig beschenken, weil sie entweder sich gute Beziehungen sichern möchten mit den Besitzern und Verwaltern, teilweise auch der Priesterschicht eines bestimmten Tempels. Es gibt aber sicher auch Gründe, da ist reines religiöses Gefühl der Hintergrund. Man möchte einer Gottheit, der man besonders nahe ist, etwas stiften.

Weber: Aber so ein Schatz bleibt dann auch im Tempel, der wird nicht mal zu teilen verkauft, um die Priester zu finanzieren oder so was? Das ist jetzt kein Guthaben, mit dem man wirtschaften könnte?

Zeiler: In letzter Konsequenz gibt es natürlich verschiedene Möglichkeiten, wie man mit solchen Gaben umgeht, mit solchen Opfergaben. Mitunter dienen die durchaus auch zur Finanzierung von Ritual. Dazu gehört die Bezahlung von Priestern.

Weber: Es wird ja jetzt in Indien diskutiert, wem der Schatz eigentlich gehört: Dem Staat oder noch der Adelsfamilie, die den Tempel verwaltet, oder dem Gott Vishnu. Was sagen Sie? Wem gehört der Reichtum und kann ein Gott eigentlich einen irdischen Schatz haben?

Zeiler: Das ist sicher nicht an mir zu entscheiden, aber grundsätzlich kann ich Ihnen sagen, dass die Tendenz in der öffentlichen Diskussion in Indien dahin geht, nach meinen Informationen, dass durchaus auch der säkulare Staat, die Staatsführung des Bundesstaates Kerala für sich nicht in Anspruch nehmen möchte, den Schatz zu nutzen für öffentliche Zwecke, sondern, dass sie durchaus sehr häufig artikulierte in der letzten Zeit, religiöse Gefühle von vielen Verehrern im Bundesstaat, dass sie darauf Rücksicht nimmt.

Weber: Allerdings war dieser Schatz ja jetzt auch ziemlich – nein, nicht gerade vergraben, aber in irgendwelchen Geheimkammern versteckt. Die Gläubigen wussten wohl zu großen Teilen auch nichts davon. Wäre es vielleicht vorstellbar, dass er in ein Museum kommt oder irgendwie den Gläubigen wenigstens vor Augen gestellt wird?

Zeiler: Das ist ein Vorschlag, der gemacht worden ist. Das wird weiter diskutiert werden, ich kann nicht abschätzen, ob es tatsächlich dazu kommen wird. Es ist möglich, dass tatsächlich die Bundesregierung von Kerala und die Verwaltung des Tempels – wie gesagt, wieder mit Rücksicht auf religiöse Gefühle – so einen Kompromiss eingehen. Es wäre vermutlich nicht der schlechteste.

Weber: Es gibt in Kommentarspalten indischer Internetzeitungen auch die Forderung, man solle den Schatz verkaufen und den Erlös aber ausschließlich Hindufamilien zugute kommen lassen. Der Erlös wäre natürlich enorm, da könnten viele Hindufamilien davon leben, sicherlich, aber das ist natürlich eine Privilegierung einer Gruppe. Bahnt sich hier ein neuer Streit zwischen verschiedenen religiösen Gruppen Indiens an?

Zeiler: Was heißt ein neuer Streit? In gewissen Bereichen gibt es ununterbrochen, möchte ich gerade sagen, eine Diskussion, ich würde es nicht zwingend einen Streit nennen. Aber selbstverständlich gibt es auch in diesem ganz spektakulären Fall, wo es um sehr viel Geld geht, Widerstand von vor allen Dingen hindu-nationalistischen Gruppen und Parteien gegen eine säkulare Nutzung des Tempelschatzes. Oder aber, wie Sie jetzt angedeutet haben, wenn eine Nutzung außerhalb des rituellen Bereiches, dann bitte schön nur für Hindugläubige. Es wird sehr wahrscheinlich nicht dazu kommen, nach meiner Einschätzung, dass das eine gangbare Möglichkeit wird.

Weber: In der vorher zitierten alttestamentlichen Geschichte von Belsazar wird der Jerusalemer Tempelschatz ja durch einen Ungläubigen entweiht, und der lästert auch noch ganz kräftig gegen den Gott Jehova. Wie wäre das, wenn jetzt dieser Tempelschatz irgendwie in die Hände eines Muslim, eines Buddhisten oder eines Christen kommen würde? Hätte das auch noch mal eine ganz besonders schlimme Bedeutung?

Zeiler: Für die eben genannten hindu-nationalistischen Gruppen und Parteien ganz sicherlich. Das ist ja der Tenor der Argumentation, weshalb man eine Nutzung auf Hindufamilien beschränken möchte.

Weber: Na ja, bei den Hindufamilien ist aber ja trotzdem schon der Verkauf – da geht es irgendwie weniger um die Heiligkeit, habe ich so den Eindruck, als darum, dass den Leuten das zugute kommt, die auch daran glauben. Aber so dieses Entweihen, was wirklich in dieser Belsazar-Geschichte ja ganz deutlich ist – gibt es auch so eine Vorstellung von Heiligkeit und von etwas, was man entweihen kann im Hinduismus?

Zeiler: Ganz selbstverständlich. Unbedingt, es gibt also einen doch ganz starr definierten mitunter rituellen – wie ich ihn nannte – Bereich, einen religiösen Bereich, der wenig vermischt werden sollte mit säkularen, sozialen Bereichen.

Weber: Der Schatz wurde wiederentdeckt, weil ein Anwalt geklagt hatte, die Tempelstiftung würde ihn nicht ausreichend bewachen. Wie kommt jemand darauf, plötzlich so eine Klage einzureichen? Glauben Sie, das ist politisch motiviert, oder hat da jemand Angst bekommen, weil er gesehen hat, selbst Hindus ist vielleicht so ein Schatz mittlerweile nicht mehr so heilig, dass da nicht doch auch mal jemand kommen könnte und den rauben könnte?

Zeiler: Die Klage ist ja passiert, bevor man überhaupt wusste, dass der Schatz existiert. Der Schatz wurde erst entdeckt, nachdem die Klage bewilligt worden ist vom obersten Gericht in Delhi, die entschieden hat, dass jetzt also der Tempel nicht mehr unter alleiniger Verwaltung der Stiftung der Königsfamilie steht, sondern der wurde ein Kreis von Beratern zur Seite gestellt, die erst mal eine Inventur im Tempel gemacht haben. Es ist kein außergewöhnlicher Fall, dass also tatsächlich Fähigkeiten angezweifelt werden. Das kann sowohl politisch motiviert sein, wie Sie sagten, es könnte aber auch tatsächlich aus einer Sorge um ordentliche rituelle und so weiter kultische Verehrung in diesem Tempel getragen sein, diese Klage.

Weber: Jetzt wird der Tempel ja streng bewacht, der Zugang kontrolliert, es sollen Metalldetektoren zum Einsatz kommen. So stellt man sich das ja eigentlich nicht vor, wenn man in ein Gotteshaus geht. Allerdings kennen wir das hier in Deutschland aus ganz anderen Gründen bei Synagogen. Aber was bedeutet es für Hindugläubige auf dem Weg zu Vishnu, dem Gott, der dort verehrt wird, an der Polizei vorbeizukommen?

Zeiler: Auch das ist – leider, möchte ich sagen – kein ganz ungewöhnlicher Fall in Indien. Es gibt in verschiedenen Städten in Nord- und Südindien, nicht nur in Kerala, tatsächlich Tempel, die unter anderem auch aus Furcht vor Streitigkeiten zwischen verschiedenen religiösen Gruppierungen, ganz besonders eben zwischen Hindus und Muslims – es gibt Tempel, die bereits sehr geschützt werden mit einem großen Polizeiaufwand, gesichert werden. Das ist den Gläubigen nicht gänzlich unbekannt.

Weber: Und es hält einen nicht von der Verehrung des Gottes ab, wenn man dann erst mal im Tempel ist?

Zeiler: Nach meiner Erfahrung überhaupt nicht.

Weber: Der Schatz im Tempel von Tiruvananthapuram. Das war die Indologin und Religionswissenschaftlerin Xenia Zeiler von der Universität Bremen. Ganz herzlichen Dank!

Zeiler: Ich danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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