Tempel beim Burning-Man-Festival

Die Trauer der Feiernden

Bildern von verstorbenen Angehörigen.
Trauernde erinnern sich beim "Burning Man" an ihre verstorbenen Angehörigen. © Arndt Peltner
Von Arndt Peltner · 18.09.2016
Beim Burning-Man-Festival entsteht für eine Woche in der Wüste von Nevada eine ganze Stadt. Zu der Freilichtgalerie auf Zeit, die von 70.000 Menschen besucht wird, gehört auch ein Tempel der Trauer. Der Tempel soll ein Gedenkort sein - für alle, die einen geliebten Menschen verloren haben.
In diesem Jahr hat es rund 70.000 Menschen in die Wüste gezogen. Es ist heiß, es ist staubig, der Wind wirbelt den feinen Sand immer wieder auf, die sogenannten "White Outs" sind dann so intensiv, dass man bei ausgestrecktem Arm die eigene Hand nicht mehr sieht. Doch all das schreckt die "Burner" – wie sich die Festivalbesucher selbst nennen – nicht ab, ganz im Gegenteil, Jahr für Jahr kommen die meisten zurück, um hier zu feiern, kreative Kunstprojekte zu erleben, ihre Batterien aufzuladen, eine Stadt für eine Woche aus dem Nichts entstehen zu lassen. Lange Zeit fehlte jedoch etwas, wie der Künstler David Best erklärt:
"Wir haben hier eine Stadt entwickelt, wir hatten die Infrastruktur mit einer Polizeistation, einem Krankenhaus, Cafés, Toiletten, aber wir hatten keinen Tempel. Es war ein Ort des Feierns, aber es gab keinen Ort der Trauer. Mit dem Bau des Tempels haben wir diese Lücke gefüllt. Es gehört dazu, dass bei einer Bevölkerung dieser Größe, jeden Tag jemand einen Freund oder Angehörigen verliert."
Im Jahr 2000 war David Best zum ersten Mal mit einem Tempel beim Burning-Man-Festival. Nach einem tödlichen Verkehrsunfall eines seiner Mitstreiter entschied sich seine Gruppe, einen Gedenkort in der Wüste zu schaffen. Die Resonanz war so positiv, dass die Burning-Man-Organisatoren Best baten, im kommenden Jahr erneut einen Tempel zu bauen, weit draußen auf der riesigen Playa.
"Ich baue ein Gebäude, in das jeder mit seinem Glauben kommen kann. Es ist leer, ich mache es zu einem schönen Gebäude und dann kommen sie und bringen das mit, was sie bewegt. Den Verlust ihres Hundes, den Verlust ihrer Tochter nach einem Autounfall, den Verlust eines Freundes, der Selbstmord begangen hat, eine gestorbene Mutter oder Vater. Einige glauben an ein Leben danach, andere nicht. Sie alle nutzen den Ort völlig verschieden."

"Jedes Leben ist individuell"

An einem Nachmittag vor dem Tempel. Zahlreiche Black Rock Rangers und Vertreter von eingesetzten Polizeieinheiten beim Burning-Man-Festival stehen still in einem Kreis, und hören zu, wie Ranger Paragon die Namen von getöteten Polizisten im ganzen Land vorliest. "Died in the line of duty." Einige von ihnen weinen, auch Ranger Paragon, ein großer, kräftiger Kerl. Er wollte diese Gedenkveranstaltung organisieren, nachdem ein enger Freund von ihm getötet wurde. Der Burning-Man-Ranger schrieb 130 Polizeipräsidenten im ganzen Land an, die ihm Bilder und Infos von ermordeten Polizisten schickten.
"Das Wunderbare an Burning Man ist, besonders am Tempel, dass es nicht darum geht, welche Reaktion man bekommt. Jedes Leben ist individuell, die Gefühle jedes Einzelnen sind unabhängig von anderen. Jeder zieht also etwas anderes aus dieser Gedenkveranstaltung. Einige sind verärgert, andere traurig, andere fröhlich, einige bauen Brücken, um bessere Menschen zu werden. Es ist für jeden anders. Ich habe keine besondere Agenda, ich wollte nur die ehren, die gestorben sind."
Der Tempel beim Burning Man Festival ist ein spiritueller Ort. In diesem Jahr erinnert er stark an ein nepalesisches Bauwerk. Überall stehen Namen von Verstorbenen, hängen Fotos – kleine, große – von alten und jungen Menschen, auch von Haustieren. Es ist ein sehr beklemmendes und sehr nahegehendes Gefühl, all diese Blicke von Verstorbenen zu sehen, die kurzen und auch langen Botschaften der Hinterbliebenen zu lesen. Menschen laufen still an den Bildern vorbei, einige beten, meditieren, gehen hier in sich.

Ein Auftanken in jeder Beziehung

"Für mich ist der Tempel ein heiliger Ort in meinem Zuhause. Mein Zuhause ist die Burning Man-Gemeinschaft. Hierher komme ich zum Reflektieren, zum Loslassen… und hierher habe ich auch die Asche meiner Mutter mitgebracht. Es ist ein Ort, an dem man mit sich ins Reine kommt, seinen Verstorbenen nahe ist, die Dinge beim Namen nennt, die man in seinem Leben ändern will. Es ist für jeden etwas anderes. Für mich ist es mein heiliges Zuhause".
Manchmal spielt jemand leise auf einem Instrument, aber der Tempel ist vor allem ein Ort der Stille. Immer wieder peitscht der Wind den Sand um das Gebäude. Nachts hört man die donnernden Bässe der Klubs im Camp und die Motorengeräusche der "Art Cars", künstlerisch gestaltete Wagen – ein riesiger Hai, der über die Playa rollt, eine Eisenbahn oder auch ein Drache - doch auch das verändert hier nichts. Das Gebäude nimmt einen ganz auf - so seltsam das auch klingen mag - man wird ganz still. Einige weinen, trauern um Verstorbene. Fremde legen ihnen eine Hand auf die Schulter, umarmen sie. Einfach so, für einen langen, innigen Moment. Für viele ist diese Woche ein Auftanken in jeder Beziehung. Hier kann man sein wie man will, kann rund um die Uhr Party machen – oder sich eben auch hier im Tempel einfinden, sich Zeit und Raum zum Trauern nehmen – gemeinsam mit der "Burning Man Familie".
"Wir sehnen uns so sehr danach, gemeinsam zu trauern. Hier, in diesem Tempel, lesen 40.000 Menschen den Brief einer jungen Frau, die vergewaltigt wurde. Sie lesen das und umarmen gedanklich das Opfer. Leute kommen auf mich zu und sagen, 'mir ist nichts passiert, mein Leben ist wunderbar." Und ich sage ihnen, dann gehe auf jemanden zu und teile das mit jemanden, dessen Leben sich gerade mies anfühlt."

"Das Feuer lässt uns vergessen"

David Best hat nicht nur den Tempel für das Burning Man-Festival gebaut. Er ist international tätig, hat schon in Irland gebaut, demnächst er nach Paris gehen, um dort einen Tempel zu errichten. Dennoch bleibt Burning Man für ihn eine Herausforderung:
"Die Rahmenbedingungen sind, 40.000 Menschen nutzen den Tempel, und es muss sich so anfühlen, als ob er jedem einzelnen von ihnen gehört. Man muss in einem sehr überschaubaren finanziellen Rahmen bleiben und man muss es in zweieinhalb Wochen unter widrigen Bedingungen bauen können. Danach macht man es einfach nur schön. Was ich zu Architekten und jungen, vergewaltigten Frauen gleichermaßen sage. Es muss filigran genug sein, damit eine Person, die Gewalt erlebt hat, hineingehen kann. Und es muss stark genug sein, diese Verletzung aufzunehmen."
Am Ende der Woche wird der Tempel verbrannt, mit allem, was in den Tagen zuvor dort aufgeschrieben und dorthin gebracht wurde. Dazu wird auch die Asche von Ranger Paragons Mutter gehören. Tempel-Erbauer David Best sieht diesen Abschluss als eine Art reinigendes Ritual:
"Das ist ganz wichtig. Das Feuer lässt uns vergessen, lässt uns vergeben, lässt uns aber auch erinnern. Durch das Verbrennen wird der Tempel zu einer Art verschlossenem Safe."
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