Teilnehmendes Abstandhalten
Elfriede Jelinek ist einen weiten Weg gegangen: vom misshandelten Kleinbürgerkind der 50er Jahre zur radikal-hermetischen Autorin, vom Klavier und Orgel spielenden Mustermädchen im Faltenrock zur "Elfie nazionale" der österreichischen Linken - ein Weg, den Verena Mayer und Roland Koberg in ihrem Buch auf fesselnde Weise nachzeichnen. Wobei die Autoren Wert auf Feststellung legen, dass sie ein "Porträt" geschrieben haben, keine Biographie.
Verena Mayer: "Ein Porträt ist ein Bild, das man sich von jemandem macht, und das war auch unsere Intention: ein Bild, das man sich von jemandem macht, wiederzugeben."
Österreich ist ihr Schicksal, an Österreich und seinen autoritären Verdruckstheiten hat sich Elfriede Jelinek immer wieder gerieben:
Elfriede Jelinek: "Das ist ein kleines, böses Land, das sich lieb und aufgeschlossen gibt, weil es hauptsächlich vom Fremdenverkehr lebt. Es muss sozusagen leben für andere. Es muss sich ständig wie ein Flügelaltar den anderen öffnen und sich als begehrenswert darstellen. Und das ist eine ewige Provokation, diese In-Authentizität."
Verena Mayer und Roland Koberg verorten die Wurzeln der Jelinekschen Obsessionen, sowohl politisch, als auch literarisch, in der Familiengeschichte der Autorin. Elfriede Jelinek ist in einem Elternhaus groß geworden, in dem sich die Kultur der Großen Koalition gewissermaßen en miniature gespiegelt hat: der Vater ein halbjüdischer Sozialdemokrat, die Mutter eine autoritätshörige Katholikin, die die Tochter zum musikalischen Wunderkind gedrillt hat.
Roland Koberg: "Grade ihre Mutter kommt aus einem großbürgerlichen Haushalt, wo das Geld zwar verloren ging nach dem Ersten Weltkrieg, aber wo es eine gewisse Sehnsucht nach Großbürgerlichkeit gab. Dieser Gedanke, durch Kunst sich zu erheben und in eine andere Klasse emporzuarbeiten, das war ein ganz prägendes Moment im Leben von Elfriede Jelinek und im Umfeld ihrer Familie."
Zu den interessantesten, vielleicht auch amüsantesten Passagen in Roland Kobergs und Verena Mayers Buch gehören die Kapitel über Elfriede Jelineks wilde Jahre zu Beginn der Siebziger. Damals befreite sich die Jungautorin ein Stückweit von den mütterlichen Fesseln, sie ging in einer Studenten-WG in der Berggasse aus und ein, einer der Wortführer in der linksradikalen Wohngemeinschaft damals war der maoistisch orientierte Schriftsteller Robert Schindel.
Verena Mayer: "Das schildern auch viele Weggefährten von damals, dass sie eigentlich ein Faszinosum war. Sie hatte grade ihre Orgelprüfung gemacht, war immer super angezogen und kam dann zwischen diese hemdsärmeligen Protagonisten der Studentenbewegung. Sie wollte mitmachen, aber doch nicht dazugehören. Diese Haltung zieht sich durch ihr ganzes Leben. Wir haben das einmal "teilnehmendes Abstandhalten" genannt, also einerseits dabei sein wollen, aber doch auch Distanz halten."
Verena Mayer und Roland Koberg haben Berge an Material zusammengetragen für ihr Buch. Auch im Archiv des ORF-Fernsehens wurden sie fündig. Dort fanden sie ein Interview, das Elfriede Jelinek 1976 mit ihrer Autorenkollegin Hildegard Knef geführt hat. Es ging um Knefs medizinkritischen Bestseller "Das Urteil", Jelinek versuchte als kritische Fragestellerin zu punkten.
JELINEK: "In diesem zweiten Buch wollten Sie, für mich zumindest, etwas ganz Bestimmtes erreichen. Sie wollten die Situation der Medizin, der Ärzte, die Beziehung Arzt-Patient kritisch hinterfragen."
KNEF: "Gar nicht so sehr. Ich habe die Erfahrungen, die ich auf diesem Sektor leider hatte, nur benutzt."
JELINEK: "Meinen Sie nicht, dass sich die Leser Ihres Buchs ein bisschen schwer tun, wenn das alles aus der Sicht von Erste-Klasse-Patientinnen dargestellt wird? Ich denke an die Stelle, in der Sie schildern, wie Sie ein Privatflugzeug in die Klinik nach Salzburg chartern. Meinen Sie nicht, dass da die Identifikation ein bisschen schwer fällt?"
KNEF: "Schauen Sie, ich habe in dem Buch geschrieben, dass im Gegenteil in der dritten Klasse viel weniger Unheil passiert als in der ersten Klasse."
JELINEK: "Das glaube ich nicht."
KNEF: "O ja."
Verena Mayer und Roland Koberg haben ein spannendes Buch vorgelegt. Vieles, was man da über Elfriede Jelineks Vita erfährt, ist wohl auch Insidern neu. Zugleich gehen die Autoren mit Diskretion und Fingerspitzengefühl zur Sache. Ein Buch, das sich diskret und decouvrierend zugleich gibt - dieses Kunststück muss Verena Mayer und Roland Koberg erst einmal jemand nachmachen. Und noch eins sei vermerkt: Das 300-seitige Jelinek-Porträt der beiden in Berlin lebenden Autoren liest sich um einiges süffiger als die meisten Texte der Porträtierten selbst.
Verena Mayer und Roland Koberg: "Elfriede Jelinek - Ein Porträt"
Rowohlt-Verlag,
302 Seiten, EUR 20,50
Österreich ist ihr Schicksal, an Österreich und seinen autoritären Verdruckstheiten hat sich Elfriede Jelinek immer wieder gerieben:
Elfriede Jelinek: "Das ist ein kleines, böses Land, das sich lieb und aufgeschlossen gibt, weil es hauptsächlich vom Fremdenverkehr lebt. Es muss sozusagen leben für andere. Es muss sich ständig wie ein Flügelaltar den anderen öffnen und sich als begehrenswert darstellen. Und das ist eine ewige Provokation, diese In-Authentizität."
Verena Mayer und Roland Koberg verorten die Wurzeln der Jelinekschen Obsessionen, sowohl politisch, als auch literarisch, in der Familiengeschichte der Autorin. Elfriede Jelinek ist in einem Elternhaus groß geworden, in dem sich die Kultur der Großen Koalition gewissermaßen en miniature gespiegelt hat: der Vater ein halbjüdischer Sozialdemokrat, die Mutter eine autoritätshörige Katholikin, die die Tochter zum musikalischen Wunderkind gedrillt hat.
Roland Koberg: "Grade ihre Mutter kommt aus einem großbürgerlichen Haushalt, wo das Geld zwar verloren ging nach dem Ersten Weltkrieg, aber wo es eine gewisse Sehnsucht nach Großbürgerlichkeit gab. Dieser Gedanke, durch Kunst sich zu erheben und in eine andere Klasse emporzuarbeiten, das war ein ganz prägendes Moment im Leben von Elfriede Jelinek und im Umfeld ihrer Familie."
Zu den interessantesten, vielleicht auch amüsantesten Passagen in Roland Kobergs und Verena Mayers Buch gehören die Kapitel über Elfriede Jelineks wilde Jahre zu Beginn der Siebziger. Damals befreite sich die Jungautorin ein Stückweit von den mütterlichen Fesseln, sie ging in einer Studenten-WG in der Berggasse aus und ein, einer der Wortführer in der linksradikalen Wohngemeinschaft damals war der maoistisch orientierte Schriftsteller Robert Schindel.
Verena Mayer: "Das schildern auch viele Weggefährten von damals, dass sie eigentlich ein Faszinosum war. Sie hatte grade ihre Orgelprüfung gemacht, war immer super angezogen und kam dann zwischen diese hemdsärmeligen Protagonisten der Studentenbewegung. Sie wollte mitmachen, aber doch nicht dazugehören. Diese Haltung zieht sich durch ihr ganzes Leben. Wir haben das einmal "teilnehmendes Abstandhalten" genannt, also einerseits dabei sein wollen, aber doch auch Distanz halten."
Verena Mayer und Roland Koberg haben Berge an Material zusammengetragen für ihr Buch. Auch im Archiv des ORF-Fernsehens wurden sie fündig. Dort fanden sie ein Interview, das Elfriede Jelinek 1976 mit ihrer Autorenkollegin Hildegard Knef geführt hat. Es ging um Knefs medizinkritischen Bestseller "Das Urteil", Jelinek versuchte als kritische Fragestellerin zu punkten.
JELINEK: "In diesem zweiten Buch wollten Sie, für mich zumindest, etwas ganz Bestimmtes erreichen. Sie wollten die Situation der Medizin, der Ärzte, die Beziehung Arzt-Patient kritisch hinterfragen."
KNEF: "Gar nicht so sehr. Ich habe die Erfahrungen, die ich auf diesem Sektor leider hatte, nur benutzt."
JELINEK: "Meinen Sie nicht, dass sich die Leser Ihres Buchs ein bisschen schwer tun, wenn das alles aus der Sicht von Erste-Klasse-Patientinnen dargestellt wird? Ich denke an die Stelle, in der Sie schildern, wie Sie ein Privatflugzeug in die Klinik nach Salzburg chartern. Meinen Sie nicht, dass da die Identifikation ein bisschen schwer fällt?"
KNEF: "Schauen Sie, ich habe in dem Buch geschrieben, dass im Gegenteil in der dritten Klasse viel weniger Unheil passiert als in der ersten Klasse."
JELINEK: "Das glaube ich nicht."
KNEF: "O ja."
Verena Mayer und Roland Koberg haben ein spannendes Buch vorgelegt. Vieles, was man da über Elfriede Jelineks Vita erfährt, ist wohl auch Insidern neu. Zugleich gehen die Autoren mit Diskretion und Fingerspitzengefühl zur Sache. Ein Buch, das sich diskret und decouvrierend zugleich gibt - dieses Kunststück muss Verena Mayer und Roland Koberg erst einmal jemand nachmachen. Und noch eins sei vermerkt: Das 300-seitige Jelinek-Porträt der beiden in Berlin lebenden Autoren liest sich um einiges süffiger als die meisten Texte der Porträtierten selbst.
Verena Mayer und Roland Koberg: "Elfriede Jelinek - Ein Porträt"
Rowohlt-Verlag,
302 Seiten, EUR 20,50