Teheran - Berlin - Lissabon

Von Dirk Fuhrig · 30.05.2007
Ihre beiden bisherigen Bücher - "Wüstenhimmel Sternenland" und der Roman "Gespräch in Meeresnähe" - sind verschlungene Erzählungen. Die deutsch-iranische Schriftstellerin Sudabeh Mohafez wurde in Teheran geboren. Sie studierte in Berlin, arbeitete in einem Frauenhaus und beschloss mit Anfang 30, Schriftstellerin zu werden. Mittlerweile lebt sie in Lissabon und arbeitet an ihrem dritten Buch.
Wir sind im Foyer des Goethe-Instituts Lissabon verabredet. Im großen Veranstaltungssaal proben deutsche und portugiesische Musiker für ein gemeinsames Konzert. Sudabeh Mohafez kommt die Treppe herunter. Gerade hat die schlanke, zierliche Frau ihre Stunde beendet: eine Schreibwerkstatt für angehende Autoren, denen sie beibringt, wie man Bücher schreibt.

"Ich sag dann immer, wenn mich Leute fragen: Ich würde so gern schreiben, was empfehlen Sie denn. Ich sag dann: Schreiben, schreiben, schreiben. Wenn Du schreiben willst, dann schreib."

43 Jahre ist sie alt, wirkt durch ihre lebendige und offene Art aber deutlich jünger. Kurze, leicht franzelig geschnittene Haare, bequeme Kleidung. Vor zwei Jahren zog Sudabeh Mohafez ganz alleine nach Lissabon.

Wenn sie zu ihren Kursen ins Goethe-Institut kommt, dann setzt sie sich gern auf eine Bank in dem Park direkt davor: ein von ehrwürdigen Stadthäusern umrahmter Platz mit dem schönen Namen "Campo de los Martires de Pátria" - der eine ganz ungewöhnliche Geräuschkulisse abgibt. Hühner gackern und Hähne krähen. Als sei man nicht in einer der feinsten Gegenden Lissabons, sondern auf dem Land, laufen die Tiere über den gepflegten Rasen. Dazwischen junge Leute im Business-Anzug.

"Hier in Portugal habe ich das Gefühl, es ist nicht schlimm, wenn man mal 'nen Fehler macht. Das Wort der Gnade – graca - hat eine zentrale Bedeutung. Ich habe das in Berlin immer sehr anders empfunden, sehr gnadenlos; wenn man 'nen Fehler macht, kriegt man eins übergebraten. Ohne jetzt in Klischees verfallen zu wollen. Einfach von der Alltagsatmosphäre finde ich es hier sehr engracada, sehr gnadenvoll."

Sudabeh Mohafez’ Mutter ist Deutsche, ihr Vater Iraner. Bis 1979 lebten alle zusammen in Teheran. Dann kam die Revolution, der Umbruch – und in dessen Folge die islamische Republik. Die Eltern verließen das Land, eher aus Vorsicht als wegen konkreter Bedrohung, und gingen nach Berlin.

"Nicht nur jetzt ist der Iran eine Diktatur. Das war auch vor 1979 eine Diktatur, eine monarchistische Diktatur."

16 Jahre war Sudabeh damals alt. Ihr gefiel es nicht in Deutschland. Bald nach dem Umzug ließen sich die Eltern scheiden.

"Das war schon Scheiße. Die Heimat war weg, der Iran war weg, der Vater war weg, und mit dem iranischen Vater war auch die iranische Sprache weg. Und meine Mutter war total sauer wegen meinem Vater und wollte nicht, dass wir zu Hause Persisch sprechen. Da fehlte plötzlich so viel."

Sehnsucht nach der verlorenen Kindheit, der verlorenen Heimat. Damals, als Jugendliche, fing sie an, ihre Gedanken auf Papier festzuhalten.

"Und da war das Schreiben ein sehr wohltuender, kostbarer Ort, wo ich mich sortieren konnte und mich daran erinnern konnte, wer ich bin. Und das übt natürlich sehr, wenn man jeden Tag einfach drei, vier Stunden einfach schreibt, irgendwann fällt man ohnehin in einen Erzählton."

Zu erzählen hat Sudabeh Mohafez eine ganze Menge. Zum Beispiel von ihrem Pädagogik-Studium in Berlin, dem ursprünglichen Wunsch, Lehrerin zu werden, von ihrer langjährigen Tätigkeit in einem sozialen Projekt.

"Ich habe in einem Berliner Frauenhaus für misshandelte Frauen und Kinder gearbeitet. Das hat mich auch sehr geprägt. Das ist schon bisschen die Welt von unten."

Stundenlang könnte man in diesem kuriosen Lissaboner Hühner-Park mit ihr sitzen und zuhören, wie sie von einer Geschichte zur nächsten springt, laufend abschweift, um ein Detail zu erklären – aber dann doch immer wieder auf das zurückkommt, was sie eigentlich sagen will.

"Ich glaub auch nicht an Chronologie, wir leben ja nicht chronologisch, die Vergangenheit ist in uns aktiv."

Ihre beiden bisherigen Bücher –"Wüstenhimmel Sternenland" und der Roman "Gespräch in Meeresnähe" – sind teilweise höchst verschlungene Erzählungen. Das neue Buch, noch Titel-los, spielt in einem der Außenbezirke Lissabons, weit weg von der pittoresken Altstadt. Es wird stärker als die ersten von autobiografischen Elementen geprägt sein.

"Es geht um Erinnerungstradierung, da geht’s teilweise auch um diese Präsenz der Vergangenheit - und in meinem Fall ist es eine iranische Vergangenheit - in dem heute, was ein portugiesisches Heute ist, aber auf dem Hintergrund von 27 Jahren in Berlin."

Teheran-Berlin-Lissabon. Die verschiedenen Kulturen empfindet Sudabeh als große Bereicherung. Auch wenn ihr das Leben in der von ihr so geliebten portugiesischen Hauptstadt ganz paradoxe Gefühle beschert hat.

"Portugal war für mich sehr wichtig, um zu merken, wie sehr ich Deutschland liebe. Ist verrückt. Ich war mir nicht sicher, ob ich in Portugal bleiben würde, als ich gegangen bin. Aber ich war mir total sicher, dass ich nie nach Deutschland zurückgehen würde. Aber jetzt sitze ich hier und weiß, das ist mein Ort: Deutschland, da gehöre ich sehr hin."

Sagt Sudabeh, verabschiedet sich zur nächsten Schreibwerkstatt-Stunde im Goethe-Institut. Und freut sich schon auf ihre Poetik-Vorlesungen an der Fachhochschule Wiesbaden. Sie wird demnächst wieder häufiger in Deutschland sein, auch Lesereisen sind geplant. Irgendwann will sie sich auch wieder eine Wohnung irgendwo in Deutschland nehmen. Bis ihr neues Buch fertig ist, bleibt sie aber erst einmal in Lissabon.