Technologie-Schmiede erlebt Boom

Lungendiagnostik bei ausgeheilten Coronapatienten

Eigentlich zur Diagnostik entwickelt - im Corona-Notfall kann man mit diesem Spiroergometrie-Gerät - Hardware-Entwickler Florian Dassel hält es in der Hand - auch beatmen.
Eigentlich zur Diagnostik entwickelt - im Corona-Notfall kann man mit diesem Spiroergometrie-Gerät - Hardware-Entwickler Florian Dassel hält es in der Hand - auch beatmen. © Tobias Krone
Von Tobias Krone · 14.04.2020
Audio herunterladen
Untersuchungen deuten darauf hin: Viele Menschen werden durch die Erkrankung an Corona mit Folgeschäden leben müssen. Eine kleine Firma aus Bad Kissingen liefert ihre Lungenmessgeräte nun bis nach Wuhan. Sie können auch zur Beatmung eingesetzt werden.
"Komplett ausatmen – aus, aus, aus, aus, aus – und komplett einatmen… und schnell wieder rauspusten…"
Das Atmen ist anstrengend – zumindest an diesem Gerät. Mit diesen Übungen…
"Jawoll, weiter, weiter, weiter, weiter! Gut! Passt. Und normal wieder weiteratmen."
Hardware-Ingenieur Florian Dassel von der Firma Geratherm gibt den Coach im Testraum. Der Reporter unterzieht sich hier selbst einer kleinen Lungenuntersuchung an einem Vorführgerät: Die Nase ist durch eine Klammer verschlossen, atmen geht nur durch einen Virenfilter und einen Schlauch. Ein Computerbildschirm malt die Fieberkurve der Lungenkraft. Wann macht man so eine Untersuchung normalerweise?
"Generell dann, wenn jetzt eine Kurzatmigkeit besteht."

Untersuchung von Kurzatmigkeit

Manuel Heinz ist Produktdesigner bei Geratherm Respiratory in Bad Kissingen – und erläutert das.
"Wenn man Probleme hat mit der Atmung an und für sich, dann ist da erst mal indiziert zu suchen: Wo ist denn die Ursache für diese Kurzatmigkeit. Ist es jetzt eine strukturelle Erkrankung der Lunge, dass sie verkleinert ist oder Atemwege verengt. Es können aber auch andere Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems sein, die auch zu einer Kurzatmigkeit führen können. Wenn die Lunge nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt wird oder das Blut zwar in die Lunge kommt und dann der Sauerstoff-Austausch nicht stattfindet. Also das sind so die klassischen Anwendungsgebiete für die Lungenfunktion."
Denn klar, es gibt neben Corona noch andere Ursachen für Lungenerkrankungen. Aber weil es gerade auch bei der Spirometrie darum geht, die Abstandsregeln zu beachten, um eine möglich Verbreitung des Virus’ zu vermeiden, stehen derzeit so gut wie alle Geräte bei Lungenärztinnen und -ärzten ungenutzt herum.
"Bei der Lungenfunktionsdiagnostik ist ja ein wichtiges Momentum, dass der Patient gerade eine forcierte Ausatmung macht, wobei die ganzen Viren, Bakterien, die in der Lunge, im Atem- und Rachenraum sind, als Wassertröpfchen in die Umgebungsluft gelangen können. Daher ist die Infektionsgefahr sowohl für die Nachfolgepatienten als auch für die Anwender deutlich erhöht. Und die Lungenfunktionslabore sind daher angewiesen, die Tests auf ein Minimum reduzieren. Um einfach die Infektionsrate so gering wie möglich zu halten."

Unerwarteter Boom

Eigentlich wollte die kleine Technologie-Schmiede im unterfränkischen Bad Kissingen, in der eine Handvoll Mitarbeitende noch an überschaubaren Werkbänken die Endfertigung der kleinen computerartigen Geräte übernehmen, das Frühjahr und auch die Coronaflaute dazu nutzen, um in einen größeren Bau umzuziehen – draußen ist noch Baustelle, in den Fluren bewegen sich die Mitarbeitenden zur Staubvermeidung nur in Hausschuhen. Doch die Krise verschafft dem Unternehmen einen unerwarteten Boom. Ein Händler aus China meldete sich vor eineinhalb Monaten bei Geschäftsführer Kunibert Schäfer.
"Mitte Ende Februar kamen die ersten größeren Bestellungen. Und das waren schon die ersten Erkenntnisse, die sich von ausgeheilten Patienten aus diesem stark belasteten Bezirk oder der Provinz Wuhan ergeben haben. Und es ist eigentlich genau das bestätigt worden, was wir im Vorfeld vermutet haben, dass es zur Schädigung der Lunge, wahrscheinlich auch mit bleibenden Schäden, gekommen ist, und dass auch Patienten mit einem gewissen Monitoring beobachtet werden."

Große Nachfrage aus China

Arztpraxen und Krankenhäuser in China fragen nun vermehrt nach Lungenmessgeräten aus Bad Kissingen. Eine erste Eilsendung ging bereits per Luftfracht nach Asien. Und das ist wohl erst der Anfang. Viele Menschen werden nach bisherigen Untersuchungen durch die Erkrankung an Corona mit vernarbten Lungenbläschen leben müssen. Um diese Lungenfibrosen zu erkennen, werden die Geräte von Geratherm dringend gebraucht. Und natürlich ist es für das Unternehmen aus Unterfranken auch lukrativ. Allein beim Geschäft mit Wuhan verdiente Geratherm so viel wie sonst in einem Monat.
"Wir haben da schon immer gewusst, dass sich der Markt für uns für die Zukunft einfach erweitern muss. Allerdings muss man natürlich auch sagen, in diesem Segment wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Es ist ein überschaubarer Markt."
Doch die Nachfrage nach Produkten von Geratherm dürfte in nächster Zeit noch weiter steigen. Denn mit den kleinen Testgeräten lassen sich im Notfall auch Coronaintensivpatientinnen und -patienten beatmen. Auf diese Idee kamen holländische Klinikärztinnen und -ärzte, indem sie an das Gerät einfach eine handelsübliche Tauchermaske anschlossen.
"Wichtig ist natürlich, dann auch immer zu messen, was kommt denn jetzt beim Patienten an, wie atmet er, und was muss ich eventuell bei der Beatmung noch regulieren? Und da hatten eben die Professoren vor Ort die Idee, unser bestehendes Spiroergometriegerät, was eigentlich genau die Signale, die interessant sind, messen kann – zwar aktuell in einem anderen Kontext, aber hierfür zweckentfremdet – mit anzubauen."

Geräte können auch zur Beatmung eingesetzt werden

Die Software entwickelten Manuel Heinz und sein Team in Wochenendarbeit. Das System funktioniert zwar nicht so gut wie ein richtiges Beatmungsgerät, dafür sind die Spiro-Geräte mit etwa 10.000 Euro in der Grundausstattung nur ein Viertel so teuer wie die Beatmungsgeräte, die ohnehin gerade völlig vergriffen sind. Noch bevor die Tests in Holland abgeschlossen sind, gibt es bereits die Erlaubnis von der brasilianischen Gesundheitsbehörde, auch Lungenprüfgeräte einzusetzen. Für Manuel Heinz ein gutes Gefühl.
"Das ist in dieser Zeit natürlich was Besonderes, wenn man da auch mithelfen kann und eventuell das ein oder andere Menschenleben retten kann, einfach dadurch, dass ein Beatmungsplatz mehr zur Verfügung steht, der sonst nicht da wäre."
Zur Not würden sie in Bad Kissingen auch in Sonderschichten arbeiten, um mit dieser "Zweckentfremdung" ihrer Testgeräte, in der medizinischen Fachsprache "Off-Label-Use" genannt, Coronapatientinnen und -patienten zu helfen.
Mehr zum Thema