Technik-Einfluss

Liebe 2.0

Von Christine Kewitz · 06.11.2013
Über soziale Netzwerke ist die Auswahl an potenziellen Partnern riesig geworden. Das Internet hat aber nicht nur die Möglichkeiten des Kennenlernens grundlegend verändert - auch die Beziehungen selbst werden durch Facebook und Skype-Telefonie beeinflusst.
Heute leben viele Menschen nicht nur vor dem Computer, sondern verlagern einen Teil ihrer Persönlichkeit auch in den Computer. In soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter. Und viele finden dort sogar ihre große Liebe. Birte zum Beispiel wurde von ihrem jetzigen Freund bei Twitter angechattet:
"Bei ihm war es dann auch relativ schnell klar, dass er gesagt hat: 'Naja, du hattest halt ein ganz schickes Profilfoto und du bist so eher mein Typ Frau und dann hab ich halt mal so ein bisschen mehr geschaut. Ja, und dann dachte ich, ich lern die mal kennen.' Also von seiner Seite aus war das schon sehr stark in die Richtung motiviert, mich als Person kennenzulernen und nicht unbedingt über meinen Job zu sprechen."
Doch wenn das erste Kennenlernen schon stattgefunden hat, stellen die ständige Erreichbarkeit über Smartphone und Internet und auch die Präsentation der Beziehung in sozialen Netzwerken eine Partnerschaft vor Herausforderungen. Wie geht man mit dem Einfluss der Technik in der Beziehung um? Was ist zu viel? Und welche Missverständnisse können entstehen? Sascha Neumann, Paartherapeut und Coach:
"Dadurch, dass ich einfach diesen Kontakt habe mit den Menschen über die Technik und ich sage, ich sehe doch meinen Partner bei Skype, dann ist doch eigentlich alles in Ordnung, wird vergessen, dass der körperliche Kontakt einfach gar nicht existiert in dem Moment. Und das ist eigentlich die Hauptproblematik dabei, dass der Mensch aus fünf Sinnen besteht, von denen aber maximal zwei Sinne befriedigt werden können."
Was aber online dazu kommen kann sind Komplimente von Freunden. Wie bei Josefine:
"Es muss ja nichts übertrieben Romantisches sein, man kann ja auch einfach sagen: War ein tolles gemeinsames Frühstück und man postet ein Bild, wo man da zusammen am Tisch sitzt oder selbst nur vom Frühstück. Likes bekommt man dann natürlich auch, das ist ja immer ganz schön, wenn man dann ein Like bekommt."
Schmeicheleien per Facebook
Über die Daumen-hoch-Funktion bei Facebook erfahren die Partner eine vielleicht sogar die Beziehung stärkende Schmeichelei. Die verschiedenen Ebenen, auf denen Partnerschaften stattfinden, haben sich um die ein oder andere digitale erweitert. Fernbeziehungen können nun weniger trennend erlebt werden. Manche entfernt lebende Paare haben durch Dienste wie den Handy-Chat „What’s App“ oder das Bildtelefon Skype sogar mehr Kontakt als Partner, die sich eine Wohnung teilen.
Solche Entwicklungen beobachtet auch die webaffine Autorin Kathrin Passig. Sie sieht Ähnlichkeiten zu Veranstaltungen, wo die Anwesenden oft nebenbei mit dem Internet beschäftigt sind und dadurch abwesender, die wirklich Abwesenden jedoch durch Live-Stream oder Twitter anwesender sein können:
"Und ich glaube, da gibt es eine Parallele zu Beziehungen, wo auch die anwesenden Partner etwas abwesender sind, weil sie halt nebenbei auch noch verschiedene andere Kanäle offen haben, dass aber auch die Abwesenden etwas anwesender sind, was eben bei Fernbeziehungen auch eine große Rolle spielt, dass man auf eine Art den Partner auch dabei haben kann, wenn er nicht dabei ist."
Doch durch eine SMS, ein Emoticon oder ein Foto von kuschelnden Eisbären an den Partner kann es auch zu Missverständnissen kommen, weiß der Paartherapeut Sascha Neumann:
"Der ist geringer, der Spielraum in der Interpretation, wenn ich im menschlichen Kontakt bin. Wenn wir uns jetzt also gegenübersitzen und wir haben eine Paarbeziehung, dann ist es eher leichter, weil ich alle meine fünf Sinne einschalten kann und merke, wo ist der Spielraum, was kann ich mir alles noch erlauben. Und der ist viel kleiner. Weil ich halt schnell überprüfen kann: Hab ich recht mit meiner Interpretation, stimmt die? Jetzt sehe ich gerade, du runzelst die Stirn, bist nervös deswegen oder so was, also habe ich offensichtlich falsch interpretiert. Das ist aber bei einer Nachricht, die ich bekomme einfach nicht möglich, weil der andere nicht dabei ist."
Falsch Interpretiert werden auch Situationen, in denen ein Partner in einem ungünstigen Moment auf sein Handy oder sein Tablet guckt. Kathrin Passig:
"Das ist immer ein Verlassen dieser intimen Zweisamkeit und wenn der andere dazu neigt, sich solche Gedanken zu machen, dann denkt er sich in diesem Moment gerne mal, meine Gesellschaft genügt ihr offenbar nicht, andere Menschen schreiben interessantere Dinge ins Internet, also wenn jemand empfindlich ist an der Stelle, dann kann das zum Problem werden."
Wenn SMS zu Missverständnissen führen
Eine Paarbeziehung wird heute auch durch die Inhalte des Internets geprägt. Gerne diskutiert ist die ständige Zugänglichkeit von Pornografie. Sexueller Leistungsdruck und falsche Definitionen davon, was normal ist oder normal sein sollte, können die Partner verunsichern. Die Amerikanerin Cindy Gallop stellte dies bei ihren eigenen Beziehungen fest. Um das zu ändern, wollte sie die Welt wissen lassen, wie es tatsächlich in den Schlafzimmern zugeht. Das Ergebnis: „Make Love Not Porn“. Auf der Webseite zu diesem Projekt kann jeder seine eigenen Sexvideos publizieren und mit anderen teilen. Das soziale Netzwerk für Alltagspornografie wurde zu einem weltweiten Erfolg:
"Ich bekomme jeden Tag E-Mails von alten und jungen Menschen, Männern und Frauen aus der ganzen Welt. Auch wenn die Website erst nicht besonders toll war, es haut die Leute um, dass ich mich auf eine Bühne stelle und über etwas rede, das jeder macht, aber keiner thematisiert. Das Ergebnis ist, dass ich E-Mails bekomme, von Leuten, die mir ihr Herz über ihr Sexleben ausschütten. Dinge, die sie noch nie jemandem erzählt haben."
Ob das Internet Segen oder Fluch ist, kommt halt immer darauf an. Auch in der Paarbeziehung. Doch auch wenn die digitale Welt die Partnerschaft um neue Facetten erweitern kann, sind dennoch keine Wunderdinge von ihr zu erwarten, meint der Paartherapeut:
"Wir könnten sozusagen sagen als Fazit vielleicht, dass die Neuen Medien so etwas sind wie ein Verstärker dessen, was eh schon da ist. Wenn die Beziehung gut ist, wird sie noch etwas besser, ist die Beziehung schlecht, wird sie noch etwas schlechter."
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