Tech-Unternehmen Amazon in Berlin

Der Preis der Innovation

07:12 Minuten
Das Bündnis Berlin vs. Amazon protestiert gegen das geplante Hochhaus an der Warschauer Brücke, in das Amazon mit 3400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einziehen will.
"Verdrängung ist einer der größten Kritikpunkte": Das Bündnis Berlin vs. Amazon protestiert gegen den Bau des Hochhauses. © imago images / Christian Mang
Von Jannis Hartmann · 04.01.2021
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Die Zeiten, als Computer und Apps nur im Silicon Valley entwickelt wurden, sind vorbei. Die Tech-Unternehmen drängt es in die Städte, auch nach Berlin. Dort regt sich aber Widerstand – etwa gegen den Bau eines Hochhauses, das Amazon nutzen will.
Es ist laut auf der Warschauer Brücke in Berlin-Friedrichshain. Neuerdings ist dort nicht nur das Poltern der Straßenbahn zu hören, sondern auch das Hämmern der Baustellenfahrzeuge. Christian Bauer, dunkle Brille, gelbe Jacke, lehnt sich über das Brückengeländer. Unter ihm heben Bagger gerade das Fundament eines Neubaus aus.
"Direkt hier soll der Amazon-Tower bebaut werden", erzählt er. "Das ist ein 140 Meter hoher Glastower, ein Glashochhaus. Und Amazon möchte hier als Hauptmieter einziehen."

Amazon kommt nicht allein

Als selbstständiger Grafiker und Web-Entwickler arbeitet Bauer selbst in der Tech-Branche. Dass der Tech-Riese Amazon nach Friedrichshain kommt, will der 33-Jährige verhindern. Das Viertel und seine Bewohnerinnenschaft, so befürchtet er, würden sich durch Amazons Zuzug verändern.
"Dieser Turm wird auf jeden Fall einen Schatten auf Friedrichshain werfen am Abend und natürlich auch weitreichendere Auswirkungen haben. Denn, wenn plötzlich 3400 Mitarbeiter hier einziehen, dann wollen die auch irgendwo leben. Das sind größtenteils besserbezahlte Tech-Arbeiterinnen, Marketingangestellte."
Und Amazon kommt nicht allein: Auch der Onlineversandhändler Zalando zieht in ein benachbartes Hochhaus, Tesla plant ein Forschungszentrum in Schöneberg, und Siemens will mit der Siemensstadt 2.0 einen kompletten Stadtteil zur Smart City umbauen. Die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop nennt Berlin darum schon jetzt "Hauptstadt der Innovation".
Vor einem Jahr hat sich die Initiative Berlin vs. Amazon gegründet, ein Zusammenschluss aus 30 Tech-Arbeiterinnen, Künstlern und Anwohnerinnen. Auch Christian Bauer ist Mitglied. Das Ziel: Amazons Einzug zu verhindern und für eine gemeinwohlorientierte Tech-Branche und Stadtentwicklung zu kämpfen.

"Ein solidarisches Miteinander schaffen"

"Die Initiative möchte vor allem auch die Nachbarschaften stärken und die Netzwerke in der Nachbarschaft", sagt er. "Interessant ist natürlich auch, einen neuen Diskurs zu führen über digitale Plattformen und digitale Infrastruktur, die auch in Berlin entsteht. Deswegen sind wir nicht gegen Tech, möchten aber die kapitalistischen Auswirkungen dieser Firmen irgendwie verhindern und ein solidarisches Miteinander schaffen."
Ein solch solidarisches Miteinander, so Bauer, ließe Amazon allerdings vermissen – nicht nur den prekär Beschäftigten in den Logistikzentren gegenüber, sondern auch den Bewohnerinnen und Bewohnern Berlins.
"Verdrängung ist einer der größten Kritikpunkte", erklärt er. "Der Amazon-Tower kommt hier nach Friedrichshain-Kreuzberg und nimmt sich einfach die Ressourcen der Stadt, ohne ihr etwas zurückzugeben."
Welche Ressourcen der Stadt konkret von der Tech-Industrie genutzt werden, hat die amerikanische Stadtsoziologin Sharon Zukin erforscht. In ihrem im Frühjahr veröffentlichten Buch "The Innovation Complex" beschreibt sie den Einfluss der Tech-Unternehmen auf New York.
"Die Stadt ist ein Arbeitsmarkt für Tech geworden: Am oberen Ende sind die Softwareingenieure, am unteren Ende die Uber-Fahrer. Anbieter von Kartendiensten nutzen die Straßen, um ihre Produkte zu perfektionieren. Gleichzeitig stellt die Stadt die notwendigen Bildungsinstitutionen, die Menschen für Tech-Berufe ausbilden."

Eine weltweite Entwicklung

Gute Gründe, warum Tech-Unternehmen weltweit in die Städte ziehen, gibt es also allemal. Und dann sind da ja noch die Stadtregierungen selbst, die aktiv um Amazon und Co. buhlen. Kopenhagen oder New York haben dafür sogar einen Director of Innovation.
Vorbei sind die Zeiten, in denen die "kreative Stadt" das Stadtentwicklungsideal schlechthin war. Städte, so Zukin, wollen heute "innovativ" sein. Ein Paradigmenwechsel, der während der Wirtschaftskrise 2008 seinen Anfang nahm.
"Damals bemerkten die Leute, dass die Kreativwirtschaft nicht genug gute Jobs schafft", sagt sie. "Sie wollten eine solidere wirtschaftliche Grundlage. Das ist der Ursprung des Innovation-Diskurses: Er suggeriert, dass die Tech-Industrie wirtschaftlich produktiver für Städte ist."
Die Diagnose wird besonders Berlinerinnen und Berliner aufhorchen lassen, gilt die Stadt doch als die Kreativmetropole. Wird Berlin tatsächlich bald eher für Tesla und Amazon bekannt sein, als für Techno und Ateliers?
"Es gibt eine starke Beziehung zwischen Tech und kreativer Arbeit: Junge Softwareingenieure wollen alternative Kultur konsumieren. Städte wie New York, London oder Berlin brauchen darum Künstler, um die Stadt mit Musik und Clubs zu 'dekorieren'. Ob Berlin aber als Tesla-City bekannt wird, hängt eher davon ab, ob Tech zur dominierenden Branche wird. Es wird darauf ankommen, wie sehr die Regierung den Bedürfnissen der Tech-Industrie nachkommt."

Konflikte um Grundstücke und Immobilien

Eines dieser Bedürfnisse sind Büros in guter Lage – ein Grund, warum die Folgen des Innovationstrends vor allem Konflikte um Grundstücke und Immobilien sind. Etwa im dicht bebauten New York, wo Google gerade 90.000 Quadratmeter Bürofläche baut, Facebook ein großes Postgebäude angemietet und Amazon gleich mehrere Mietverträge auf einmal unterschrieben hat.
"Meine Interpretation ist, dass die Firmen so viel Geld haben, dass sie diesen Raum einfach kaufen, obwohl sie möglicherweise gar keine Verwendung dafür haben. Sie können ihn leer stehen lassen, wieder verkaufen oder an Firmen vermieten, die in der Nähe von Google oder Facebook sein wollen."
Aber was könnte ein Ausweg sein? Sharon Zukin hat einen Vorschlag, wie alle Bewohnerinnen und Bewohner vom Innovationstrend profitieren könnten:
"Es wäre grandios, wenn die Städte im Besitz der Aktien dieser Unternehmen wären! Was ich vorschlage, ist also eine neue Form kommunalen Besitzes von Teilen der Tech-Industrie. Denn mit dem Besitz kommt Kontrolle."
Die schlechten Nachrichten: Die Corona-Pandemie hat das Kräfteungleichgewicht zwischen Anwohnerinnen-Initiativen und der Tech-Branche noch einmal vergrößert. Berlin vs. Amazon kann sich momentan nur virtuell treffen. Amazon selbst hingegen hat seine Gewinne noch einmal verdreifacht.
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