"taz"-Kolumne

Einstürzende Luftbauten

04:32 Minuten
Blick auf einen Ausschnitt der taz-Kolumne mit dem Titel "All cops are berufsunfähig"
Die "taz"-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah - Pieke Biermann sieht den Gedankenspielbau darin zusammenbrechen. © Deutschlandradio / Pia Behme
Ein Kommentar von Pieke Biermann · 02.07.2020
Audio herunterladen
Eine "taz"-Kolumne greift die Polizei an, der Innenminister blamiert sich, die Zeitung konsultiert nach Drohungen hilfesuchend die zuvor beschimpfte Polizei. Autorin Pieke Biermann entdeckt hinter der Eskalationsspirale vor allem Denkfaulheit.
Im Ansatz verfehlt, hätte meine Mathelehrerin gesagt und angefügt, dass man auf einem wackeligen Fundament nichts Haltbares bauen kann. Welpenschutz für Teenager, die ihre Denkfaulheit als kreativ-künstlerische Hochbegabung verklärten, gab es nicht. Das waren die Sixties, Baby, aber das Prinzip der einstürzenden Luftbauten gilt bis heute. Leider funktioniert auch der Pawlowsche Reflex zuverlässig weiter, selbst wenn nicht Hundefutter und Glöckchen den Speichelfluss triggern, sondern Identitäten und Opferrollen.
Am 15. Juni macht sich eine Antirassismus- und Queerness-Expert:in in der "taz" Gedanken über die Unterbringung von Ex-Cops. Schließlich sei "der Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset in dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich hoch."
Kann man ja mal so behaupten, wenn man ein "What if?"-Gedankenspiel zur "Abschaffung der Polizei" – so der Obertitel – schreiben will. Die stehe nach den Black-Lives-Matter-Protesten auf der Tagesordnung, nicht nur in den USA, auch hierzulande träumen manche Leute sie herbei.

Polizeiabschaffung? - Nein: Polizeiverbesserung!

Voilà: der verfehlte Ansatz. Der US-Protestslogan lautet "Defund the police!" Und zwar seit vielen Jahren. Und er meint: Schluss mit der Finanzierung von High-Tech-Kriegswaffen und militaristischem Ungeist in der Polizei, stattdessen endlich ordentliche Ausbildung für einen Job, der die friedliche Koexistenz in der Gesellschaft garantieren soll, also nicht zuletzt Prävention und Kooperation.
Von Abschaffung ist nicht die Rede.
Insofern muss sich eigentlich niemand den Kopf zerbrechen über die circa 300.000 in Deutschland tätigen Polizisten allerlei Geschlechts und durchaus – wenn auch noch längst nicht genug – diverser ethnischer Herkunft, Religion und sexueller Vorliebe. Hier wackelt das Fundament also nicht nur, es fehlt.

Ein Müllwerker kann mehr verdienen als ein Polizist

Und so kann der Gedankenspielbau nur zusammenkrachen. Er endet mit der "Pointe", Ex-Cops seien am besten beim Müll aufgehoben. Also, nicht bei der Berliner Stadtreinigung, da würden sie im real-existierenden Kapitalismus ja gleich mal besser bezahlt. Nein, auf der Müllhalde, "wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten."
Offenbar hat niemand die Kolumnist:in auf die zum öffentlichen Schreiben nötige Gedankenklarheit aufmerksam gemacht. Ist man als migrationshintergründige, nicht-binäre Langzeit-Kolumnist:in vielleicht untouchable, genießt sozusagen Welpenschutz? Dann wäre Identitätspolitik ein solides Fundament für paternalistischen Kitsch.
Zwei Wochen später trötet es durch diverse Medien, dass die "taz" um polizeiliche Unterstützung für ihre mittlerweile bedrohte Autor:in gebeten hat. Der Berliner allerlei Geschlechts quittiert sowas mit einem coolen: "Dis hatse davon" Und wendet sich dem nächsten Speichelflussreflex zu. Die Berliner Polizei leitet die Bitte selbstverständlich nicht an die BSR weiter, sondern macht ihren Job.

Kein Welpenschutz - auch nicht für die Polizei

Aber prompt klingelt wieder jemand mit dem Glöckchen – diesmal die beiden Polizeigewerkschaften. Die wollen endlich Äquidistanz: eine eigene Opferidentität als "diskriminierte Minderheit". Sie fühlen sich unter "Generalverdacht" gestellt: erst durch öffentliches Gerede über "latenten Rassismus", dann durch ein Gesetz, das tatsächlichen Opfern von Rassismus seitens Beamten aller Art endlich die in Europa vorgesehenen rechtlichen Mittel dagegen verschafft. Welpenschutz für die Polizei? Das wäre Identikitsch pur.
Selbstverständlich macht so ein Antidiskriminierungsgesetz ein bisschen Arbeit. Und selbstverständlich gibt es rassistische Polizisten (allerlei Geschlechts) – wie denn nicht? Aber selbstverständlich gehört es zur normalen Polizeiarbeit, Recht und Gesetz zu schützen. Gerade vor den eigenen Leuten, die den ganzen Laden ins Wackeln bringen möchten.

Pieke Biermann, Jahrgang 1950, lebt und arbeitet als freie Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin in Berlin. Sie hat nicht nur Kriminalromane, sondern auch jahrelang Reportagen über Kriminalität und Polizei verfasst. Für ihre Übersetzung von Fran Ross' Roman "Oreo" wurde sie mit dem diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

Lieselotte '' Pieke '' Biermann, deutsche Journalistin, Autorin und Uebersetzerin, Portrait in Berlin.
© laif/ Isolde Ohlbaum
Mehr zum Thema