Taxifahrt in den Tod

11.08.2011
Der isländische Taxifahrer Ragnar Sigurdsson fühlt sich in der modernen Hauptstadt Reykjavik unwohl, bis er die geheimnisvolle Gudridur Faxen kennenlernt. Es beginnt eine Liebe - die tödlich endet. Indridi G. Thorsteinsson erzählt eine Geschichte über die Fremdheit der Geschlechter in der westlichen Welt.
Dieses Buch stammt aus jener fernen Zeit, als sich Männer und Frauen einander noch recht sprachlos gegenüberstanden. Gar so fern ist sie allerdings nicht: Es gibt Autos und Flugzeuge, die Nato und Demonstrationen gegen sie. Knapp 60 Jahre ist Indridi G. Thorsteinssons Erzählung "Taxi 79 ab Station" alt und zeigt die archaische Fremdheit der Geschlechter inmitten einer modernen Zivilisation.

In "Taxi 79 ab Station" verlieben sich ein junger Taxifahrer und eine wenig ältere Reykjavikerin ineinander. Ragnar Sigurdsson, der Fahrer des Taxi 79, stammt vom Land und fühlt sich unwohl in der modernen Hauptstadt. Gudridur Faxen ist geheimnisvoll und allein, ihr Ehemann wird in einer dänischen Psychiatrie behandelt. Nach seinem plötzlichen Tod könnte ihre heimliche Liebe öffentlich werden, müsste Ragnar nicht entdecken, dass Gudridur jedes Wochenende nicht etwa, wie sie behauptet, die Mutter, sondern einen nordamerikanischen Soldaten empfangen hat. Tief verletzt bricht er mit dem Auto zu seinen Eltern auf und verunglückt, stark alkoholisiert, tödlich.

Die Geschichte vom kräftigen Naturburschen mit seinem alten, quietschenden und klappernden Gefährt, der einer Gógó genannten, verruchten Schönen mit roten Stöckelschuhen zum Opfer fällt, erzählt Thorsteinsson mit trockenen Dialogen und beredter Sprachlosigkeit, mit Jagdszenen in rauer Natur und hochprozentigen Getränken. Das hat einige Kritiker an Hemingway erinnert, was nicht unproblematisch ist. Thorsteinssons Figuren urteilen nämlich kritisch über die US-Amerikaner im Land. Die einstige Besatzungsmacht ist seit der Gründung der Nato 1949 ein enger Verbündeter Islands, wird aber als sittliche Gefahr und Konkurrent um die einheimischen Frauen gesehen. Diese Kritik an den USA unterschlägt, wer "Taxi 79 ab Station" als bloße Hemingway-Replik versteht.

Thorsteinsson schreibt zudem anspielungsreicher. Zu Beginn präsentiert er im Stil des Film noir drei US-Soldaten im Nachtclub, die zwischen dem One-Night-Stand und der Sehnsucht nach der Ehefrau schwanken. Und als Ragnar seiner Geliebten Gudridur die Jagdbeute übergibt, vergleicht sie die blutbespritzten Gänse überraschend mit Hoflakaien in Livree. Ein kurzer Disput entspinnt sich: Passe das Blut zu Hoflakaien? "Nein." "Und doch können auch die bluten." "Nicht wirklich." "Doch, aber vielleicht bluten sie nicht so schön." "Blutet überhaupt jemand schön?" Wenn Liebende so existenzialistisch sprechen, sieht es nicht gut für sie aus.

So wie Thorsteinsson (1926 - 2000), dessen "Taxi 79 ab Station" ein großer Erfolg war und verfilmt wurde, seine archaische Geschichte mit filmischen Mitteln und philosophischen Anspielungen erzählt, so durchsetzt Betty Wahl ihre gelungen lakonische und atmosphärische Übersetzung mit den verschüttet geglaubten Worten "Frollein" und "Zuckerpuppe". Bevor sich Islands Literatur im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse mit zahlreichen Romanen und Erzählungen vorstellt, die größtenteils skurril und humorvoll daherkommen, ist mit diesem Band eine andere, weniger bekannte Traditionslinie zu entdecken.

Besprochen von Jörg Plath

Indridi G. Thorsteinsson: Taxi 79 ab Station
Aus dem Isländischen übersetzt von Betty Wahl
Transit Buchverlag, Berlin 2011,
117 Seiten, 14,80 Euro