Tausende spenden für Ai Weiwei

Ruth Kirchner im Gespräch mit Joachim Scholl |
Seitdem ihn die chinesischen Behörden zur Zahlung einer angeblichen Steuerschuld in Höhe von 1,7 Mio. Euro verurteilt haben, erlebt der Künstler Ai Weiwei eine Welle der Solidarität. Tausende Menschen sind in den vergangenen Tagen zu seinem Atelier gekommen, um für ihn zu spenden.
Joachim Scholl: Über 13.000 Menschen, Chinesen aus dem Inland und Ausland, haben in den letzten Tagen dieses kritische Zeichen gesetzt: Sie schickten Geld oder brachten es gleich selbst vorbei, und es war ihnen egal, dass sie von der Polizei dabei gefilmt wurden. Adressat ist Ai Weiwei, der wohl inzwischen berühmteste Künstler seines Landes, Rebell und scharfe Kritiker, den nach seiner 81-tägigen weltweit kommentierten Haft die chinesischen Behörden nun mit einer Steuerforderung in Millionenhöhe drangsalieren, und mit dieser Welle der Solidarität jetzt aber kaum gerechnet haben dürften. Ich bin jetzt verbunden mit unserer Korrespondentin in Peking, Ruth Kirchner – ich grüße Sie!

Ruth Kirchner: Guten Tag!

Scholl: Sogar als Papierflieger segeln Geldscheine in Ai Weiweis Garten. Frau Kirchner, Sie waren gerade da, sind Sie auch auf einen getreten?

Kirchner: Ich bin nicht auf einen Geldschein getreten, die Geldscheine hatten seine Mitarbeiter schon eingesammelt, aber ich habe gesehen, in welcher Form sozusagen das Geld dort abgegeben wird. Ich habe diese Papierflieger gesehen, also Papierflieger aus Geldscheinen gefaltet, einige hatten einfach die Geldscheine zusammengeknüllt und dann über dieses hohe Tor in seinen Garten, in seinen Hof geworfen. Einige haben die Geldscheine verpackt mit Birnen zusammen – das chinesische Wort für Birne ist Li, und gleichzeitig heißt Li auch Druck. Also man möchte damit zum Ausdruck geben, dass man den Druck, unter dem Ai Weiwei steht, eigentlich ganz gerne mit ihm teilen möchte. Und ich habe dort auch im Atelier mit einigen Leuten gesprochen, die persönlich gekommen sind, um ihr Geld, ihre Spenden abzugeben, wie sie sagen, und sie sagen alle, dass man Ai Weiwei unterstützen müsse – jetzt nicht, weil er das Geld unbedingt braucht, aber weil es eben so mutige Menschen wie ihn in China nur ganz, ganz wenige gibt.

Scholl: Am Mittwochabend sollen laut Auskunft von Ais Frau der erste Spender vor der Tür gestanden haben, bis Sonntag sollen über 13.000 Überweisungen aus dem In- und Ausland allein eingegangen sein. Ist aus dem Atelier jetzt eine Art Bankfiliale geworden – wie geht es da zu, wie muss man sich das vorstellen?

Kirchner: Nun, in seinem Atelier sitzen Mitarbeiter von ihm und registrieren all diese eingehenden Summen. Sie haben mir heute Nachmittag gesagt, es hätten mittlerweile rund 20.000 Menschen Geld gespendet, insgesamt eine Summe von jetzt mehr als fünf Millionen Yuan, das sind umgerechnet 570.000 Euro. Und als ich dort im Atelier war, gingen immer weitere Spenden ein. Vieles sind nur sehr, sehr kleine Beträge, manchmal vielleicht 100 oder 150 Yuan – 150 Yuan wären etwa 17 Euro. Es gibt Leute, die spenden ganz spezielle Summen, die sozusagen eine symbolische Bedeutung haben, zum Beispiel die Summe 1001, das war ja die Zahl der Chinesen, mit denen Ai Weiwei damals 2007 zur documenta nach Kassel gekommen ist. Es gibt Leute, die spenden 512 Yuan, 5-12, das ist der 12. Mai, damit ist gemeint das große Erdbeben von Sichuan 2008, als 80.000 Menschen etwa ums Leben kamen, und auch eben sehr viele Schulkinder, für die sich Ai Weiwei in den letzten Jahren immer wieder stark gemacht hat. Also da gibt es alle möglichen Formen, wie man sozusagen diesen Spenden noch einmal extra symbolische Bedeutung verleiht. Und die Mitarbeiter registrieren alle diese Spenden, weil schon aus steuerrechtlichen Gründen Ai Weiwei eigentlich gar keine Spenden einsammeln darf, und er sagt, das sind Darlehen, die er dann schrittweise zurückzahlen will, und deshalb möchte er eigentlich jedem eine Quittung ausstellen, damit er dann hinterher irgendwann das Geld zurückzahlen kann.

Scholl: Von allen Seiten strömt Geld und Zuspruch für Ai Weiwei. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit ARD-Korrespondentin Ruth Kirchner in Peking. Nun ist dieser Protest jetzt erst einige Tage alt, haben denn die Behörden auf diese Soli-Aktion schon reagiert?

Kirchner: Nun, heute war in einer der staatlich gelenkten Zeitungen ein Kommentar zu dieser Solidaritätsaktion zu lesen. Dieser Kommentar erschien sowohl in der chinesischsprachigen "Hangzhou Ribao" als auch in der englischsprachigen Ausgabe der "Global Times". Und ich sage mal vorsichtig, also wenn man freundlich sein will gegenüber der "Global Times", dann ist das ein eher kritischer Artikel, wenn man dabei ganz genau hinguckt, was da eigentlich geschrieben wird, dann ist das eine ziemliche Hetzerei, die da betrieben wird. Da wird Ai Weiwei unterstellt, er habe öffentlich aufgerufen zu dieser Spendenaktion, er habe das gar nicht nötig, er habe angeblich in Berlin Luxusimmobilien gekauft, und er versuche sich jetzt, über diese Spendenaktion noch weiter zu bereichern. Und gleichzeitig heißt es dann immer wieder, er sei nun mal ein Steuersünder, und das sei etwas ganz Normales, da müssten andere Leute auch ihre Steuern nachzahlen. Und außerdem gebe es ja nur ganz, ganz, ganz wenige Leute in China, die ihn überhaupt unterstützen würden, und das wären eben keine Leute aus der politischen Mitte der Gesellschaft, sondern das wären sozusagen Randgruppen, und die würden von der Mehrheit der Chinesen gar nicht anerkannt werden. Also ein wirklich breit angelegter Versuch, diese Solidaritätsaktion, aber auch den Künstler selbst zu untergraben.

Scholl: Nun steht in China die Kultur in einem anderen Zusammenhang auch auf der staatlichen Agenda, denn gerade wurden die Ergebnisse einer geheimen Klausurtagung veröffentlicht, auf der Funktionäre des Zentralkomitees darüber beraten haben, wie das Land bis 2020 eine, ja, sozialistische Kulturgroßmacht werden soll. Was hat man denn hier beschlossen?

Kirchner: Nun, diese Tagungen des Zentralkomitees finden ja immer hinter verschlossenen Türen statt, anschließend wird dann so nach und nach und hauptsächlich über die KP-Zeitung "Renmin Ribao", über die Volkszeitung, werden dann diese Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt. Da geht es darum, die sozialistischen Werte hochzuhalten, auch eine sozialistische Kulturpolitik. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass das nun ein ausformuliertes Programm ist, was man in den nächsten Jahren erreichen will, sondern es ist, denke ich, der Versuch der Partei, die Kulturhoheit für sich zu beanspruchen und immer wieder zu sagen, wir bestimmen, was eigentlich chinesische Kultur ist, und wir bestimmen, in welche Richtung das gehen soll. Und was man da eigentlich zwischen den Zeilen rauslesen kann, ist eine ganz, ganz große Angst der Partei und damit eben auch der Führung hier, dass man in einer zunehmend sich ausdifferenzierenden pluralistischeren Gesellschaft die Kontrolle verliert – eben einerseits über die Medien, aber auch andererseits über Kulturproduktion und die Kulturschaffenden an sich.

Scholl: Ich meine, so wie im Sport will man also strategisch jetzt auf dem Feld der Kultur auch triumphieren international, aber was für eine Kultur soll das denn sein, die sozusagen dieser strengen Zensurpolitik unterliegt?

Kirchner: Nun, ich denke, das ist manchmal den Kulturexperten hier in der Kommunistischen Partei auch nicht so ganz klar, weil man sich ja auch offensichtlich bei dieser Tagung des Zentralkomitees nicht so richtig darauf einigen konnte, was denn nun eigentlich sozialistische Kernwerte, über die in dem Dokument immer geredet wird, was darunter eigentlich zu verstehen ist. Es geht immer ganz stark darum, dass man eben den Alleinvertretungsanspruch der Partei wieder in den Vordergrund stellen will, dass man sagen will, wir als Partei, wir bestimmen, in welche Richtung es geht.

Wir merken das hier im Land immer daran, wenn dann auch in den Medien sehr viel davon die Rede ist, dass man die öffentliche Meinung stärker lenken muss. Es gab jetzt auch erst vor wenigen Tagen eine Anordnung, wonach die Fernsehsender weniger Unterhaltungsshows senden sollen, weil die angeblich zu vulgär seien, es gab Direktiven gegen die Verbreitung von Gerüchten im Internet, und da hat man immer wieder den Eindruck, man versucht die Kontrolle zu behalten über die Messages, die über Unterhaltungssendungen, über das Internet und so weiter an das eigene Volk rausgehen.

Und dann gibt es natürlich auch noch einen ganz starken Teil, der ans Ausland gerichtet ist, die sogenannte Soft Power von China, die man eben erhöhen will, und da hat man hier ein etwas anderes Verständnis von Soft Power als vielleicht im Westen. Im Westen versteht man darunter ja etwas, das sozusagen aus der Gesellschaft selbst herauskommt und dann eine Gesellschaft oder ein bestimmtes Gesellschaftsmodell besonders attraktiv macht. Und hier versteht man unter Soft Power etwas, was man von oben sozusagen einsetzen kann. Und da kann man dann eben sagen, na ja, wir als Chinesen, wir haben eben diese 5000 Jahre alte Kultur, und das müssen wir in den Vordergrund stellen, und damit wollen wir jetzt auch im Ausland punkten.

Scholl: Sie beobachten die Verhältnisse schon lange intensiv, Frau Kirchner, aber diese Solidarität jetzt mit Ai Weiwei, also diese doch überraschende Solidarität mit so viel Geld, mit so vielen Stimmen und mit so vielen Menschen, die sich da jetzt für ihn einsetzen, gerade aus China, überrascht Sie das selbst, oder ist das doch im Vergleich zum großen Milliardenvolk doch auch wieder nur eine kleine Erhebung?

Kirchner: Natürlich sind, ich sag mal 20.000 Menschen, die jetzt für Ai Weiwei spenden, in einem Land mit 1,3 Milliarden Menschen eine verschwindend kleine Minderheit. Ich bin aber trotzdem immer wieder erstaunt, auch wenn ich im Land herumreise, wie viele Menschen ihn dann doch kennen. Natürlich, wenn Sie einen Bauern in Sichuan fragen oder einen Fabrikarbeiter im Perlflussdelta, die können mit dem Namen Ai Weiwei in der Regel überhaupt nichts anfangen, aber es gibt eben doch immer wieder Leute, die sehr genau verfolgen, was er oder auch was andere Kulturschaffende machen, und er ist schon für ganz, ganz viele Menschen in diesem Land eine ganz zentrale Figur.

Und das fand ich eben auch bemerkenswert heute bei meinem Besuch im Atelier, dass die Leute, die dort auf ihn warteten und die persönlich ihre Spenden abgeben wollten, das waren jetzt nicht unbedingt Intellektuelle, die gekommen sind und die die lange Zugfahrt aus Henan, aus der Provinz Henan auf sich genommen hatten, sondern das waren doch eher einfache Leute, die gekommen waren, um ihr Geld sozusagen persönlich dort abzugeben. Und insofern denke ich, in der großen Masse des chinesischen Volkes mag das nicht viel sein, aber man darf auch nicht unterschätzen, wie viel Einfluss eine einzige Figur dann vielleicht doch hat und welchen Symbolcharakter er mittlerweile hat für die vielen kritischen Geister, die es in diesem Land dann eben doch gibt.

Scholl: Kultur in China und die große Solidarität für Ai Weiwei. Das war Ruth Kirchner, Korrespondentin der ARD in Peking. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Kirchner!

Kirchner: Vielen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Links auf dradio.de:

Ai Weiwei ist frei - Chinesischer Künstler aus Haft entlassen

Ai Weiwei spricht - Der chinesische Künstler Ai Weiwei im Gespräch mit dem Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist. Carl Hanser Verlag.

"Er hört nie auf zu arbeiten" - Hans Ulrich Obrist über seine Gespräche mit Ai Weiwei
Mehr zum Thema