Taupitz: Deutsche Forscher bleiben außen vor

Moderation: Joachim Scholl · 08.05.2007
Der Jurist Jochen Taupitz fordert eine Ausweitung des Stammzellengesetzes. Die rechtlichen Hürden seien so hoch, dass Spitzenforschung in Deutschland kaum mehr möglich sei, sagte Taupitz, Mitglied im Nationalen Ethikrat. Außerdem werden deutsche Forscher zunehmend von internationalen Kooperationen ausgeschlossen, weil das Gesetz für die Forscher ein hohes Strafbarkeitsrisiko beinhaltet, so Taupitz weiter. Am Mittwoch wird es zum Stammzellengesetz eine Anhörung von Experten im Deutschen Bundestag geben.
Scholl: Morgen findet im Deutschen Bundestag vor dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technologieabschätzung eine Anhörung zum Thema [Stammzellenforschung] statt. Am Telefon begrüße ich jetzt Jochen Taupitz. Er ist Jurist und einer der prominentesten Experten auf dem Feld medizinisch-juristischer Grundsatzfragen, Mitglied im Nationalen Ethikrat und in der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer. Guten Morgen, Herr Taupitz.

Jochen Taupitz: Einen schönen guten Morgen.

Scholl: Herr Professor Taupitz, Sie treten für eine Änderung des Gesetzes von 2002 ein, Sie haben auch für die deutsche Forschungsgemeinschaft die Stellungnahme zur Stammzellenforschung verfasst, befürworten die Ausweitung der Forschung. Welche neuen Argumente führen Sie denn jetzt ins Feld, das eine Änderung des bestehenden Gesetzes rechtfertigt?

Taupitz: Es zeigt sich immer mehr, dass die Beschränkungen, die das Stammzellengesetz errichtet, dazu führt, schleichend dazu führen, dass deutsche Forscher immer mehr vom internationalen Fortschritt abgekoppelt werden. Die alten Stammzelllinien, die nach Deutschland importiert werden dürfen, die sind auf tierischen Nährzellen kultiviert worden, sodass sie überhaupt nicht für therapeutische Anwendungen am Menschen geeignet sind. Es wäre viel zu gefährlich, hier mit tierischen Verunreinigungen zu arbeiten.

Außerdem werden die deutschen Forscher durch die Lieferbedingungen, die nur auf die alten Stammzelllinien bezogen sind, in extremem Maße daran gehindert, die Ergebnisse, die sie erzielen, auch selbst zu verwerten, sie müssen nämlich letztlich alles den Lieferanten zukommen lassen, sie müssen es ihnen übereignen, was sie an Ergebnissen erzielen.

Und es hat sich auch gezeigt, dass es neue Stammzelllinien gibt, die nach einheitlichen Regeln geschaffen worden sind, sodass international vergleichende Forschung stattfinden kann, während die alten Stammzelllinien, die wir hier nach Deutschland importieren dürfen, noch nicht diesen standardisierten Bedingungen unterliegen. Also lange Rede, kurzer Sinn: Das Stammzellgesetz errichtet erhebliche Hürden für die deutsche Forschung, und es zeigt sich immer mehr, dass diese Hürden unüberwindbar werden, um im internationalen Fortschritt mitzuwirken.

Scholl: Das heißt also, diese fünf Jahre Kompromisslinie haben praktisch diese Ergebnisse gezeitigt, dass Sie sagen, es ist eigentlich nicht mehr machbar. Nun haben sich manche Forscher schon dahingehend erklärt, dass sie mit einer Verschiebung dieses Stichtages schon zufrieden wären, also der Stichtag, der in dem alten Gesetz festgelegt wurde, ab wann Stammzellen importiert werden dürfen.

Taupitz: Ich bin der Meinung, dass man den Stichtag sogar vollkommen abschaffen kann, denn das, was durch den Stichtag erreicht werden soll, dass nämlich keine ausländischen Embryonen für deutsche Forschung verbraucht werden, genau dieses Ziel wird schon durch das Embryonenschutzgesetz erreicht. An das Embryonenschutzgesetz will zurzeit niemand ran, daran will niemand rütteln, sondern es geht nur um eine sinnvolle Fortentwicklung des Stammzellgesetzes, und zwar auf der Kompromisslinie, die die Parlamentarier damals so verantwortungsvoll gefunden haben. Also es geht darum, dass keine ausländischen Embryonen für deutsche Forscher getötet werden sollen, und das kann man, wie ich gesagt habe, auch mit dem Embryonenschutzgesetz erreichen, denn es verbietet jede Beteiligung eines deutschen Forschers an der Herstellung von Stammzelllinien, sei es im Inland, sei es im Ausland.

Scholl: Das Argument, dass deutsche Wissenschaftler also international ins Hintertreffen geraten, das war ja schon eigentlich die Linie auch vor fünf Jahren. Inwieweit hat denn die Stammzellenforschung im Ausland wichtige Ergebnisse gebracht, die also jetzt eine Gesetzesänderung hier so einleiten könnten?

Taupitz: Es gibt noch keine konkreten Ergebnisse, was Therapien angeht. Dazu ist es noch zu früh. Auch die embryonale Stammzellenforschung bewegt sich noch völlig auf der Linie von Grundlagenforschung. Aber es zeigt sich immer mehr, dass die deutschen Forscher aus internationalen Kooperationen ausgegrenzt werden. Und das ist der zweite Kritikpunkt, den man gegenüber dem Stammzellgesetz anbringen muss, dass es zu einer zu großen Rechtsunsicherheit führt.

Das Stammzellgesetz beinhaltet eine Strafsanktion von bis zu drei Jahren Gefängnisstrafe. Und das Problem besteht dabei, dass die deutschen Forscher nicht wissen und auch von uns Juristen keine klare Antwort bekommen können, in welchen internationalen Kooperationen sie sich denn strafbar machen, und zwar selbst dann - und das will ich ausdrücklich betonen -, wenn die Stammzellen gar nicht im Inland befindlich sind, sondern wenn ausländische Kollegen mit neuen Stammzelllinien arbeiten und deutsche Forscher hier mit ihnen kooperieren wollen, sich gegenseitig beraten wollen usw. Es besteht ein immenses Strafbarkeitsrisiko für die deutschen Forscher.

Scholl: Das heißt also, internationale Kooperationspartner verhalten sich auch zurückhaltender, wenn es um die Zusammenarbeit mit deutschen Kollegen geht, weil hier sozusagen dieser juristische Komplex nicht gesichert ist.

Taupitz: Genau, weil hier diese juristische Grauzone besteht und sogar nach Auffassung mancher Strafrechtler sich die ausländischen Forscher, die nur in ihrem Heimatland völlig legal arbeiten, dass die sich sogar nach deutschem Stammzellgesetz strafbar machen, wenn sie mit Inländern kooperieren. Ich sage noch einmal, selbst dann, wenn die Stammzelllinien sich nur im Ausland befinden und dort völlig legal verwendet werden. Das ist eigentlich ein Skandal, dass hier eine so große Rechtsunsicherheit herrscht.

Scholl: Wie relevant ist denn die Verarbeitung eigentlich embryonaler Stammzellen für die Therapie und Diagnose überhaupt, wie sie ja die Forschungsgemeinschaft auch fordert?

Taupitz: Die deutsche Forschungsgemeinschaft hält es zu Recht für ziemlich widersprüchlich, dass das Stammzellgesetz auf der einen Seite die Forschung zur Entwicklung von Therapien und Diagnostika ermöglichen soll, aber wenn dann konkrete Therapien dabei rauskommen, die in der Patientenanwendung umgesetzt werden können, dann können diese Therapien hier in Deutschland nicht angewandt werden, weil das Stammzellgesetz eben nur die Forschung mit embryonalen Stammzellen im Inland erlaubt. Also hier sollte man einen Schritt weiter gehen, auch wenn es im Moment sicherlich noch kein drängendes Problem ist, denn es gibt noch keine konkreten Therapien aufgrund dieser Forschungsrichtung.

Scholl: Die Stammzellenforschung, wir sprechen darüber mit Jochen Taupitz, Jurist und Mitglied im Nationalen Ethikrat. Herr Taupitz, nun ist man in der EU bestrebt, einen einheitlichen medizinisch-rechtlichen Rahmen für neue Therapien herzustellen. Manche Medikamente sind bislang in Deutschland verboten, weil sie eben das Stammzellgesetz berühren. Was meinen Sie, welchen Einfluss hat Brüssel auf die derzeitige deutsche Diskussion?

Taupitz: Brüssel hat natürlich schon insofern einen Einfluss, als EU-Gelder im Ausland in Forschungsprojekte fließen, die in Deutschland verboten sind. Also mit anderen Worten: Wir finanzieren von Deutschland aus Forschungsprojekte im Ausland, in England beispielsweise oder in Schweden, die unsere deutschen Forscher hier im Inland nicht durchführen können. Das ist natürlich schon ein riesenpolitischer Druck, der entsteht, aber der größte Druck wird natürlich dann entstehen, wenn konkrete Therapien entwickelt werden und unsere Patienten, schwerstkranke Patienten, danach lechzen, diese Therapien auch im Inland angewandt zu bekommen. Es wäre ja wirklich ein Skandal, wenn man die Schwerkranken dann ins Ausland schicken würde und sagen würde, lasst euch dort behandeln, wir in Deutschland lehnen diese ganze Therapierichtung ab.

Scholl: Bundesforschungsministerin Annette Schavan hat vor zwei Wochen bei der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in Bonn betont, dass Lebensschutz immer noch vor Forschungsfreiheit rangiere. Das ist eine eindeutige Frontlinie eigentlich in der Debatte, oder? Wie große sind Ihre Hoffnungen, dass also die neuen Argumente jetzt auch überzeugen?

Taupitz: Ich bin eigentlich sehr guter Hoffnung, dass die neuen Argumente überzeugen, denn es geht gerade nicht darum, den Lebensschutz auszuhöhlen, sondern das Stammzellgesetz soll weiterentwickelt werden, es soll weiter dabei bleiben, dass keine ausländischen Embryonen für deutsche Forschungen getötet werden müssen. Man muss auch sehen, dass weltweit eine riesige Nachfrage nach embryonalen Stammzelllinien besteht, und es ist eigentlich ziemlich abwegig anzunehmen, dass ausländische Forscher speziell für deutsche Kollegen Stammzelllinien herstellen. Da könnte man mit intelligenten Lösungen arbeiten und könnte sagen, der deutsche Forscher muss nachweisen, dass die Stammzellen, die er importieren will, nicht speziell für ihn oder für andere deutsche Forscher hergestellt worden sind.

Beispielsweise könnte man verlangen, dass nachgewiesen werden muss, dass die Stammzelllinien schon im Ausland für ausländische Projekte verwendet wurden, und wenn dann Stammzelllinien daraus abgezweigt werden - und das kann man beliebig machen, man kann Stammzellen aus solchen Linien beliebig abzweigen, beliebig vermehren -, dann ist es wirklich abwegig anzunehmen, dass gerade wir Deutsche einen Anstoß gegeben haben, ausländische Embryonen zu töten.

Scholl: Nun sind das komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge, Professor Taupitz. Aber wenn wir uns erinnern, vor fünf Jahren, als das Gesetz überhaupt erst in Gang gebracht wurde, an die wilde ethische Debatte, werden wir die jetzt wieder haben?

Taupitz: Nein, ich glaube, dass wir sie nicht haben müssen, denn wie ich eben gesagt habe, es geht gerade nicht darum, den Lebensschutz ausländischer Embryonen auszuhöhlen, sondern es geht darum, den Kompromiss, den man im Stammzellgesetz gefunden hat, jetzt intelligent weiterzuführen und dafür zu sorgen, dass deutsche Forscher genau das tun können, was man ihnen damals in Aussicht gestellt hat, sich nämlich an dieser sehr zukunftsträchtigen Forschungsrichtung zu beteiligen.

Scholl: Jochen Taupitz, Gutachter der Stammzellenforschung für die deutsche Forschungsgemeinschaft und Mitglied im Nationalen Ethikrat. Wir sprachen über Stammzellenforschung. Morgen kommt es zu einer neuerlichen Anhörung im Bundestagsausschuss. Herr Taupitz, herzlichen Dank für das Gespräch.
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