Tatort Hintersiebenbergen

16.01.2013
Komissar Sichalich überlegt eine Krimiseite lang, ob er nun unter dem roten Absperrband her zum Tatort gehen soll oder ob er darüber klettern soll. Auch sonst ist Egyd Gstättners Hauptfigur nicht immer schnell. Ihr Kosmos ist aber voller Spott und Sprachwitz - nicht nur, aber vor allem für Österreich-Kenner.
Es ist schwer für einen Krimi-Autor, noch einen außergewöhnlichen Typ von Kommissar zu erfinden. Es scheint schon alle Charaktere mit jedem erdenklichen Tick zu geben. Egyd Gstättner bemüht sich nicht lange um Außergewöhnliches, sondern macht einen stinknormalen Polizeiobersten, der auf seine Frühpensionierung hofft, zum Helden seiner Geschichte.

Dafür ist diese selbst außergewöhnlich, Gstättner schildert sie auch bereits im Untertitel als "mehr als ein Kriminalroman" aus. Und er dürfte große Freude daran finden, den krimi-konditionierten Leser in seinen gewohnten Erwartungen aufzustören. "Ein Endsommernachtsalbtraum" durchkreuzt das Strickmuster der landläufigen Krimis. Da entpuppen sich diskrete Hinweise im Text als totale Sackgasse, stellt sich Geheimnisvolles als völlig belanglos heraus oder wird gar nicht aufgeklärt. Nebensächliche Kleinigkeiten, wie Wittgensteins vertonten Tractatus Logico-Philosophicus als Klingelton eines Handys, breitet Gstättner hingegen genüsslich aus und lässt den konservativen Krimi-Leser zappeln. Der ermittelnde Oberst ist kein Held, seine Truppe mitunter psychisch angeschlagen. Dennoch gerät sie nicht zum Zerrbild, es ist der gesamte Kosmos Gstättners, der ein wenig verrückt erscheint, leicht bis drastisch von der Normalhaltung abweichend.

Eigentlich handelt es sich um eine Parodie, und zuerst schreckt man sich: Ein wenig dick aufgetragen wirkt der Name des Kommissars: Sichalich - das ist Kärntner Dialekt-Klischee. Doch man gewöhnt sich daran, wie auch an andere Namensschöpfungen, die indirekt das deutschtümelnde Kärntnertum mit seinen slawischen Eigennamen auf die Schaufel nehmen: Von Gudrun Truntschnig-Tertschnig bis Ernestine Pschnenuschnig. Auch daran, dass Hallodrien für Kärnten, Großhallodrien für Österreich und Hintersiebenbergen für Klagenfurt steht, ist bald akzeptiert, zumal der Autor für alle anderen Ortsbezeichnungen real existierende Klarnamen verwendet.

Den Charme des Buches macht die Verwobenheit von mitunter absurder Handlung und den hohlen Phrasen und gestelzten Begriffen aus Kriminalliteratur und modernem Marketing aus: Gstättner stellt lustvoll sonst gedankenlos eingesetzte Wendungen wie "Es gilt die Unschuldsvermutung" oder "Die Ermittlungen dauern an" heraus und gibt sie der Lächerlichkeit preis. Den Beamten im Buch passieren peinliche Pannen, aber Sichalichs Stellvertreter bastelt am neuen Polizei-Image: Die Gruppe "Gewalt" wird in Gruppe "Leib und Leben" umbenannt, der Polizist heißt nunmehr "Sicherheitspartner". Vertraute Krimi-Rituale haken bei Gstättner bewusst: Etwa, wenn der Kommissar spät an den Tatort kommt und eine Seite lang überlegt, ob er besser über das rot-weiße Absperrband klettern oder unten durch schlüpfen soll.

Zwischendrin schaltet der Autor, wie im Fernsehen, Werbeblöcke, jeder für sich eine Kabarett-Nummer. Zum Schluss dürfen sich seine Figuren, ähnlich dem Theater, zum Schlussbild aufstellen - die Mörder mit den Grabsteinen der von ihnen Ermordeten. Egyd Gstättner gelingt mit dem Buch, ohne die Handlung auf mehreren Ebenen aus dem Blick zu verlieren, eine gute Mischung aus schwarzem Humor und Unterhaltung. Diese stellt sich aber erst bei ein wenig Allgemeinwissen ein, etwa wenn Kapitelüberschriften wie "Der Chinese des Schmerzes" oder "Frühstück bei Sichalich" literarische Anspielungen machen. Zudem tut man sich als Österreich- oder gar erst Kärntenkenner leichter. Wobei Gstättners Fabulierkunst, seine Fähigkeit zu Rück- und Querbezügen über weite Strecken, sein Sprachwitz und seine spöttische Philosophie ihn vor gefährlichen Abstürzen in Peinlichkeiten bewahren.

Besprochen von Stefan May

Egyd Gstättner: "Ein Endsommernachtsalbtraum"
Picus Verlag, Wien 2012
191 Seiten, 19,90 Euro