Melanie De Biasios Album "Lillies"

Spannung aus Luft und Stille

Die belgische Jazz-Pop-Sängerin Melanie De Biasio steht bei einem Konzert am 22. Dezember 2013 in Brüssel vor einem Mikrofon.
Die belgische Jazz-Pop-Sängerin Melanie De Biasio bei einem Konzert am 22. Dezember 2013 in Brüssel © imago / Reporters
Von Martin Risel · 09.10.2017
Sie fesselt mit ihrer Stimme und betörenden Balladen zwischen Jazz und Soul - nun hat die belgische Musikerin Melanie De Biasio mit "Lilies" ihr drittes Album veröffentlicht. Atem und Stille sind wichtige Elemente für die 39-Jährige. Hintergrund ist eine elementare Erfahrung.
Die erste neue Single ist sowas wie die Essenz aus dem, was Melanie De Biasio zuvor auf einer EP mit nur einem Song über 24 Minuten ausgebreitet hat. Dynamisch dahinschwebender "Evolutive Pop", wie sie es nennt. Ein Sound in natürlicher Wandlung also, zwischen Jazz und Songwriter-Soul. Die Stimme der klassisch studierten Flötistin geht unter die Haut – mit einem Hauchen.
Ihr Atem ist dabei für Melanie De Biasio mehr als nur ein atmosphärisches Gestaltungsmittel.
"Luft bewegt uns. Sie ist Inspiration, Sauerstoff, Leben. Ein wichtiger Kanal für mich."
Nach der elementaren Erfahrung, als sie für ein Jahr die Stimme verlor und die Stille in sich erlebte, war ihr Atem das einzige Geräusch und die Kraft, die ihre Stimmbänder wieder zum Erwachen brachten. Und wie sagte Miles Davis einst so schön: "Die wahre Musik ist die Stille, und jede Note dient der Stille nur als Rahmen."
"In der Stille, zwischen zwei Noten, ist alles möglich. Und ich liebe dieses Fenster, diesen Rahmen, diesen Raum, den ich mir und meinem Publikum gebe. Da entstehen unsere Träume. Und meine Mission ist es, diesen Raum zu schaffen, um zu träumen und sich auszudrücken."
Nur ein gebremster Beat, ein perlendes Piano, selten mal ein Flöten- oder Keyboard-Akzent – Melanie De Biasios Arrangements zelebrieren Minimalismus in seiner schönsten Form. Darüber schwingt sanft ihre Stimme, ohne Schnörkel, mit einem Timbre, das Stil und Eleganz mit Intensität und Tiefe verbindet. Von Kritikern verglichen immer wieder mit der großartigen Nina Simone.
"Sie hat mich inspiriert: Ihr Atem, ihr Timing, ihr Charakter. Ich freue mich über den Vergleich mit Nina Simone. Aber es gibt mehr Referenzen."

Ausnahmekünstlerin und angenehmer Gegenentwurf

Auch Peggy Lee oder Karin Krog nennt die 39-Jährige als Vorbilder. Nirvana, Barbara, Ravel als weitere Referenzen. Ihr neues Album "Lilies" hat Melanie De Biasio "in einem Raum ohne Licht, ohne Tag und ohne Nacht" aufgenommen, wie sie erzählt. Dort fand sie die Freiheit, sich zu entfalten. Und ihr ätherisches Klangbild zu entwickeln, das sie in den liner notes beschreibt als "den inneren Kern einer Frau". Ermöglicht auch durch die Arbeit mit der gefragten Produzentin Catherine Marks.
"Sie hat mich total verstanden. Und das hatte schon etwas sehr Weibliches, wie sie mit mir gearbeitet hat. Eine Frau ist da vielleicht offener beim Zuhören und Einfühlen. Ich hab diese wirklich enge Zusammenarbeit geliebt."
Auf den Kern reduziert, produziert in einer so unprätentiösen wie eindringlichen A-Capella-Nummer:
Ausschnitt aus dem Song "Sitting in the stairwell (a capella)"
Auch wenn das neue Album "Lilies" nicht ganz so stark ist wie seine Vorgänger – Melanie De Biasio ist eine Ausnahmekünstlerin, ihre Musik trotz aller Harmonie immer voller Spannung. Und ein angenehmer Gegenentwurf zum überproduzierten Klang von heute. In der Stille liegt die Kraft.
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