Taser fürs Ordnungsamt?

Städte in Rheinland-Pfalz wollen Elektroschocker

Ein sogenannter Taser wird am 18.11.2013 auf dem Gelände der Landespolizeischule in Berlin im Rahmen einer Sitzung des Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses präsentiert.
Elektroschocker: Der Taser schießt zwei dünne Metallkabel mit Widerhaken in die Haut der Zielperson. Durch die Drähte fließt für Sekunden Starkstrom. © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Von Anke Petermann · 08.02.2019
Taser können unter Umständen tödlich sein. Dennoch stattet Rheinland-Pfalz als erstes Bundesland seine Polizei mit Elektroschockern aus. Fünf Oberbürgermeistern reicht das nicht: Sie fordern auch für Ordnungsamtsmitarbeiter das Recht, Taser einzusetzen.
Mario Weyand schlichtet in Koblenz nächtliche Familienstreitigkeiten, wenn sich Anwohner wegen Ruhestörung beschweren. Im Rotlichtmilieu kontrolliert er den Prostituierten-Schutz. Seine Horrorvision als kommunaler Vollzugsbeamter ist der Aggressor, der wild mit einem Messer fuchtelt.
"Die Person steht unter Drogeneinfluss, geht die Einsatzkräfte jetzt aggressiv an, bedroht sie mit dem Messer …"
Das Pfefferspray hilft nicht, weil draußen der Wind weht oder der Alkohol das Schmerzempfinden eines Randalierers ausschaltet. Bliebe noch der Schlagstock, aber:
"Der ist bei einem Messerangriff von der Distanz her nicht zu empfehlen."
Weyand müsste zu nah ran. Ran an die bedrohliche Metallklinge.
"Alles, was unter sieben Metern auf Einsatzkräfte – auch normale Bürger – zurennt, kann tödlich enden, wenn man nicht vorher schon adäquat tätig werden kann."

"Kommunaler Vollzugsbeamte" für Elektroschocker

Genau das könne ein Polizist in Koblenz mit einem Taser – und den will der Vorsitzende der Fachgruppe kommunaler Vollzugsbeamter in der Deutschen Polizeigewerkschaft Rheinland-Pfalz auch. Einfach, um gesund nach Hause zu kommen und sich in einer Notwehrsituation adäquat verteidigen zu können.
Polizisten hätten mit der Elektropistole gute Erfahrungen gemacht, konstatiert Benno Langenberger, Landeschef der Polizeigewerkschaft:
"Bevor der Taser eingesetzt wird, wird er angedroht. Diese Androhung ist ein Lichtbogen, vorn an den Kontakten am Taser und durch ein Knattern, ein sehr eindringliches Knattern. Diese Funktion schreckt laut internationalen Studien und den Erfahrungen, die wir in Rheinland-Pfalz, in Trier, beim Pilotprojekt gesammelt haben, 75 Prozent der Angreifer ab. Das heißt, die lassen dann von einem Angriff ab und machen nichts mehr, und dann ist die Situation bereinigt."
Falls nicht, drückt der Polizist ab. Und dann kommt keine Kugel aus dem Lauf, sondern:
"Zwei kleine Pfeilchen, die in der Kleidung oder Haut hängen bleiben, und darüber wird ein Stromkreis geschlossen, und dieser Stromkreis sorgt dafür, dass der Angreifer für etwa fünf Sekunden bewegungsunfähig wird und zu Boden fällt."
Weil die Spannung im niedrigen Milliampere-Bereich zu einem Komplettkrampf der Skelett-Muskeln führt. In Polizisten-Selbsttests, die im Netz kursieren, klingt es so, wenn fitte, trainierte Cops zusammenklappen:
"Au, ah, ah, ah."
Krampf und Schmerz strecken auch Aggressoren nieder, als hätte man ihnen die Luft rausgelassen.
"Und damit ist der Angriff natürlich abgewehrt", konstatiert Polizeigewerkschafter Langenberger. "Der Angreifer kann gefesselt werden, und die Lage ist bereinigt."

Mann stirbt nach Taser-Einsatz in Pimasens

So geschehen Mitte Januar in Pirmasens. Da hatten Ordnungsamt-Mitarbeiter sich von Polizisten begleiten lassen, um einen psychisch Kranken in eine Fachklinik zu bringen. Den massiven Widerstand des Mannes brachen die Polizisten mit einem Taser. Auf dem Weg ins Krankenhaus kollabierte der Mittfünfziger und starb in der Notaufnahme an einem Herzinfarkt. Ob das der Elektroschock verursachte, soll eine rechtsmedizinische Untersuchung ermitteln. Wann das Resultat vorliegt, kann die leitende Oberstaatsanwältin in Zweibrücken nicht abschätzen. Politiker der Linkspartei brauchen das Ergebnis nicht, um Front gegen den Taser zu machen. Landeschef Jochen Bülow ist sich darin einig mit Katrin Werner, seiner rheinland-pfälzischen Parteifreundin im Bundestag.
"Der Beweis, dass Taser tödliche Waffen sind, ist ja längst erbracht, da bedurfte es nicht des Falls in Pirmasens. Es ist seit Jahren bekannt, dass unter bestimmten Umständen ein Taser-Einsatz zum Tode führt. Viele Organisationen haben das festgestellt, haben das wissenschaftlich belegt. Also, das ist unstrittig."
802 Todesfälle hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in den USA bis 2017 dokumentiert. Darauf haben Vertreter von Amnesty bei parlamentarischen Anhörungen zu dieser Frage hingewiesen. In Rheinland-Pfalz und zuletzt in Niedersachsen kommentierten sie den polizeilichen Einsatz von Tasern, im Fachjargon Distanz-Elektroimpulsgeräte, kurz DEIG:
"Die meisten Opfer waren unbewaffnet und schienen zum Zeitpunkt des DEIG-Einsatzes keine ernsthafte oder gar tödliche Bedrohung darzustellen. Besonders für gefährdete Gruppen wie Menschen mit Herzerkrankungen kann der Einsatz eines DEIG verheerende Folgen auf die körperliche Unversehrtheit bis hin zum Tod haben."
Das gelte auch für Menschen unter Alkohol- und Drogen-Einfluss. Für einen Vorfall in Nürnberg, bei dem im vergangen Oktober ein 43-Jähriger nach polizeilichem Taser-Einsatz starb, gibt es auch ein Vierteljahr danach noch keine Klarheit über die Rolle des Elektroschockers beim Exitus. In Bayern fordert die oppositionelle SPD Aufklärung. In Rheinland-Pfalz dagegen will der sozialdemokratische Innenminister mit dem weiteren elektronischen Aufrüsten des Streifendienstes nicht warten, bis die Staatsanwaltschaft das Ergebnis des Rechtsgutachtens zum Todesfall in der Pfalz bekanntgibt.
"Nein, das ist bei uns Beschlusslage, und ich gehe davon aus, dass wir das so beibehalten werden, alle Polizei-Inspektionen des Landes für die Streifen mit dem Taser auszustatten. Er ist ein gutes und erprobtes Wirkmittel, eine Waffe zwischen dem Schlagstock und der Pistole."
Deeskalierend, betont Roger Lewentz. Der Sozialdemokrat hält das Gerät für potenziell lebensrettend.
"Würden wir den Taser nicht haben, würde oftmals die Pistole zum Einsatz kommen. Da kann man sich vorstellen, dass da natürlich die Auswirkungen sehr intensiv sind, ist ja logisch: Schusswaffengebrauch. Und der Taser hat sich bewährt in dieser Zwischenposition."

Einsatz durch Ordnungsamt-Mitarbeiter umstritten

Dennoch will der Innenminister seinen Genossen im Oberbürgermeisteramt die Elektroschockpistole für deren Ordnungsämter verweigern. Die Koalitionspartner von FDP und Grünen weiß Lewentz dabei hinter sich.
"Unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten haben ein dreijähriges Bachelor-Studium hinter sich. Der Taser-Einsatz ist ein Eingriff in die Grundrechte der Menschen. Unsere Polizeibeamten sind sehr gut ausgebildet, taktisch, rechtlich und natürlich auch in der Frage Einsatz einer solchen Waffe. Und die Kollegen und Kolleginnen, die einen wichtigen Job machen in den kommunalen Vollzugsdiensten, haben einen Zehn-Wochen-Lehrgang. Und da glauben wir, dass es nicht möglich ist, dass wir die mit Taser ausstatten."
Wobei der Mainzer Oberbürgermeister wegen des Toten von Pirmasens den Taser unter Sicherheitsaspekten nochmal überprüft haben will. Sein Koblenzer Parteifreund David Langner kommentiert:
"Da bin ich ganz bei dem Kollegen Ebling in Mainz."
Ganz abrücken will Langner allerdings nicht von der Elektroschock-Pistole. Rheinland-Pfalz müsse seine Ordnungsämter natürlich vorbereiten.
"Die Kolleginnen und Kollegen, die einen Taser nutzen würden, müssten auch entsprechend geschult werden."
Die AfD, die Taser bei der Polizei und beim Ordnungsamt befürwortet, will die sozialdemokratischen Oberbürgermeister nun beim Wort nehmen:
"Zunächst mal scheint das ja ein Ausfluss einer sich verändernden Sicherheitslage zu sein."
Dass sie sich verschärft habe, schließt AfD-Landeschef Uwe Junge aus dem Wunsch der fünf Oberbürgermeister, ihre Ordnungsämter aufzurüsten. Für Koblenz widerspricht Oberbürgermeister Langner: keine akut verschärfte Lage, sondern erhöhte Gewaltbereitschaft gegen Einsatzkräfte.
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