Tarifexperte rügt neue Strategie der Gewerkschaften

Hagen Lesch im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Der Tarifexperte Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) kritisiert die neue Strategie der Gewerkschaften, sich als Co-Manager in den Unternehmen zu engagieren. Dies sei kurzfristig zwar gut für die Imagepflege der Gewerkschaften. Aber die Gefahr sei groß, dass in den Betrieben die Verantwortlichkeiten nicht mehr klar seien, so Lesch.
Jörg Degenhardt: Die Krise kratzt an der Kompetenz der Manager. Sie verlieren an Ansehen. Auf der anderen Seite gewinnen die Gewerkschaften an Einfluss und Wertschätzung. "Der heimliche Boss von Opel" überschrieb dieser Tage das "Handelsblatt" ein Porträt von Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz. Und wenn die Spitze des Autobauers in Berlin um finanzielle Rückendeckung bittet, dann ist er wie selbstverständlich mit dabei. Keine Frage, die IG Metall ist längst mit im Boot, wenn es darum geht, in der Krise klar Kurs zu halten. Und wenn deren Chef Berthold Huber sich skeptisch zu den Ergebnissen der USA-Reise von Wirtschaftsminister zu Guttenberg äußert, dann wird das landauf, landab aufmerksam registriert. Über diese Entwicklung will ich jetzt sprechen mit Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft. Guten Morgen, Herr Lesch!

Hagen Lesch: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Hat sich die IG Metall gewandelt oder ist ihr durch die Krise eine neue Rolle zugewachsen?

Lesch: Ja, die IG Metall hat sich gewandelt und sie hat eine neue Rolle bekommen. Sie haben die Entwicklungen ja schon skizziert in Ihrer Anmoderation. Die IG Metall setzt nicht nur auf Lohnverhandlungen, auf Lohnerhöhungen, auch nicht mehr nur allein auf Beschäftigungssicherung, sondern sie versucht, auch strategisch zu gestalten, indem sie sich so als Co-Manager jetzt gibt. Das ist aber eine Entwicklung, die wir schon länger haben, weil die IG Metall vor einigen Jahren schon begriffen hat, dass auch mit einer betriebsnäheren Tarifpolitik durchaus zu punkten ist. Und das hat dann begonnen damit, dass man die Tarifverträge geöffnet hat und den Unternehmen eben Abweichungen von Flächentarifverträgen zugestanden hat im Rahmen von Ergänzungstarifverträgen. Und da fing das eigentlich schon an, dass man bei diesen Ergänzungstarifverträgen dann nicht nur gesagt hat, ihr dürft von Tarifverträgen abweichen, ihr Unternehmen, sondern ihr müsst auch irgendwas dafür tun.

Degenhardt: Über den Staat hören wir ja immer wieder, er soll sich mit seinen Antikrisen-Maßnahmen nicht übernehmen, zum Beispiel bei der Hypo Real Estate, er sei schließlich nicht der bessere Banker, der bessere Unternehmer. Gilt das etwa für Betriebsräte nicht? Die taugen dann als Boss-Ersatz?

Lesch: Ja, das ist genau das Problem des Ganzen, was ich so ein bisschen sehe. Sie haben ja einmal das Problem, je mehr im Prinzip jetzt gestaltend wirken – Sie haben einmal die Politik, die möglicherweise auch noch Kredite gibt, damit die Unternehmen Liquidität haben in der Krise, Sie haben das Management und Sie haben eben dann Betriebsräte und Gewerkschafter –, dann haben Sie im Prinzip zu viele Köche, die im heißen Brei rühren dann.

Degenhardt: Das heißt, die Verantwortlichkeiten verschwimmen?

Lesch: Ganz genau, die Verantwortlichkeiten verwischen, und das ist halt eben die Gefahr. Und dass die Gewerkschaften oder auch die Betriebsräte die besseren Manager sind, das muss ja erst noch bewiesen werden. Kurzfristig kann man sicherlich damit viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, aber man muss sich natürlich auch bewähren.

Degenhardt: Das heißt aber auf der anderen Seite auch natürlich, dass die Betriebsräte viel dichter an den Problemen dran sind als zum Beispiel oder möglicherweise die Bundesregierung an den Finanzproblemen einer Bank wie der Hypo Real Estate?

Lesch: Ja, natürlich, die Betriebsräte sind natürlich dichter dran, und deswegen können auch Gewerkschaften, wenn sie auf Unternehmensentscheidungen Einfluss nehmen wollen, das nur über die Betriebsräte tun, weil die ja nun mal die Informationen haben. Gleichwohl sind die Betriebsräte – man muss ja auch sehen, welches Konstrukt an Unternehmen man hat, die Betriebsräte sind ja nicht überall in gleicher Weise informiert und auch involviert in die Entscheidungsprozesse. Wir haben ja ein Mitbestimmungsgesetz, was den Betriebsräten auch Rechte einräumt. Das heißt aber nicht, dass sie überall Rechte haben. Und das begrenzt den Betriebsrat natürlich auch ein bisschen, weil er in der Regel eben nicht die Informationen hat, die auch das Management hat.

Degenhardt: Wie ist das denn eigentlich mit der Zweiteilung, also hier der Betriebsrat, dort die Gewerkschaftsspitze – wer sagt denn letztendlich, wo es langgeht, kann es da zu Problemen kommen?

Lesch: Ja, da kann es in der Tat zu Problemen kommen, das wissen wir aus der Erfahrung mit betrieblichen Bündnissen für Arbeit, wo man eben Beschäftigungspakte schließt, wie wir das in den großen Automobilkonzernen etwa haben – Verzicht auf irgendwelche Leistungen, längere Arbeit oder so was und dafür Beschäftigungsgarantien. Und genau da, bei diesem Aushandeln eben, sind Betriebsräte wohl häufig kooperativer, so schätzen das zumindest befragte Manager ein. Betriebsräte neigen etwas eher dazu, dann nachzugeben, weil sie natürlich hauptsächlich den Betrieb im Auge haben, die Arbeitsplätze vor Ort, während Gewerkschaften eher die überbetriebliche Perspektive einnehmen und die auch schon mal häufig Grundsatzentscheidungen treffen müssen. Wenn wir bei den Betrieben eben Abweichungen zulassen, dann kann das eine Art Schneeballeffekt auslösen, dann kommen alle irgendwo an. Und das ist ein natürliches Spannungsverhältnis, dass die Gewerkschaft natürlich sehen muss. Wir haben Tarifverträge, die sind überbetrieblich, die müssen wir irgendwie auch einhalten, während die Betriebsräte doch sehr auf die betrieblichen Belange achten. Und in der Tat gelten nach Umfragen – wir haben selber Umfragen durchgeführt – gelten die Gewerkschaften als weniger kompromissbereit als Betriebsräte.

Degenhardt: Sie sprechen jetzt immer von den Gewerkschaften, ich habe nur von der Automobilbranche und der IG Metall gesprochen. Das heißt also, es gibt auch andere Bereiche, andere Gewerkschaften, wo die Funktionäre, wo die Betriebsräte an entscheidender Stelle, zum Beispiel auch in der Marketingstrategie, mitmischen?

Lesch: Ja, das ist eine Entwicklung, die der Vorreiter eigentlich in dieser betriebsnäheren Tarifpolitik ist, die Chemie-Gewerkschaft, die IG BCE Chemie. Die IG Metall macht das aber am öffentlichkeitswirksamsten, was natürlich daran liegt, dass sie die größte ist und auch in der Öffentlichkeit, weil sie eben Schlüsselbranchen besetzt, am präsentesten ist. Es gibt aber auch beispielsweise bei ver.di, der Dienstleistungsgewerkschaft, Bestrebungen, dass man versucht, eben stärker auf Unternehmensebene aktiv zu werden, sodass wir also hier gleich mehrere Gewerkschaften haben. Und ich meine früher, wir kennen ja auch die Fälle, wo wir in der Bauindustrie Probleme hatten, auch die IG Bau versucht so was in begrenztem Maße, wobei das eine Gewerkschaft ist, die vom Organisationsgrad her wesentlich schlechter aufgestellt ist als die IG Metall. Man muss einfach sehen, dass eine Gewerkschaft, die auch nur dort überhaupt Einfluss geltend machen kann, wo sie sehr gut organisiert ist, und da ist gerade die Automobilbranche der Schlüsselbereich überhaupt.

Degenhardt: Letztendlich ist das Ganze ja kein Selbstzweck, es geht um Arbeitsplätze, um Produkte, die zukunftssicher sind, konkret zum Beispiel um Autos die Käufer finden sollen. Wenn die Gewerkschaften stärker ins Management einsteigen, dann müssen sie doch aber auch für Fehlentscheidungen geradestehen, die zum Beispiel auch Jobs kosten können?

Lesch: Ja, das ist das Problem wieder der Zuweisung von Verantwortung. Wenn tatsächlich das Unternehmen in eine Schieflage gerät – und halt die Gewerkschaften haben hier auch Einfluss genommen –, da ist die Frage, ob die Schuld dann gegenseitig zugewiesen wird, ob der eine sich mit seinem Konzept nicht durchsetzen konnte. Wir haben ja jetzt auch schon im Rahmen von Aufsichtsräten und Managementvergütungen eben die Diskussion gehabt, warum haben Gewerkschaftschefs, die im Aufsichtsrat sitzen, nicht Exzesse bei Managerentlohnungen verhindert. Und da sehen Sie schon, da sind halt mehrere, die letztlich was zu sagen haben. Und dann ist unklar, wer letztlich auch die Verantwortung trägt. Und das kann durchaus noch konfliktreich werden. Insofern sehe ich diese gewerkschaftliche Strategie auch mit einer gewissen Skepsis. Kurzfristig in der Tat ein hervorragendes Marketing nach außen, das Image verbessert sich, aber die Gewerkschaften können sich damit auch ein Stück weit verheben, weil es ja weit über ihre klassische Rolle eben hinausgeht, einfach Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, und das halt eben in Form von Tarifverträgen zu tun.

Degenhardt: In der Krise gewinnen die Gewerkschaften an Einfluss, sagt Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft. Vielen Dank für das Gespräch!

Lesch: Gerne!