Tanzland Israel

Von Elisabeth Nehring |
Vom 9. bis 13. Dezember 2009 fand in Tel Aviv die Israeli Dance Exposure statt, eine Plattform, die dem internationalen, aber auch zahlreich erschienenen lokalen Publikum in verdichteter Weise einen Überblick über das vielfältige Tanzschaffen des Landes verschaffte.
Israel ist Tanzland – nicht nur, was die verhältnismäßig große Anzahl von Tänzern und Choreographen betrifft, sondern auch die Quantität des interessierten Publikums – viele ausverkaufte Vorstellungen, auch am Vormittag zu den Matineen.

Tanz in Israel hat seine Tradition im Volkstanz sowie im Ausdrucks- oder expressionistischen Tanz der dreißiger Jahre, der klassischen Tanz spielte und spielt eher eine untergeordnete Rolle.

Die Exposure präsentierte neben einigen noch unbekannten Namen sowohl die großen, bedeutenden und langjährigen Kompanien wie Batsheva, Kibbutz Dance und Vertigo Dance als auch international erfolgreiche Choreographen der jüngeren Generation wie Yasmeen Godder oder Yossi Berg und Oded Graf.

Rami Be'er, der künstlerische Leiter der Kibbutz Dance Company zeigte mit "Infrared" wieder einen ganz auf Schönheit und Virtuosität bauenden, farbenprächtigen und kontrastreichen Bilderreigen. Seine Tänzer sind hyperbewegliche, dynamische, in alle Richtungen ausgreifende Wesen, die weder Schwäche noch Fragilität zulassen, sondern an denen vor allem ein vollkommen ungebrochenes Verhältnis zum eigenen Körper auffällt. Hervorragende Tänzer zwar, wirken sie mit der Präsentation von Stärke und Geschmeidigkeit auch eindimensional.

Das Gruppenstück "Mana" der Vertigo Dance Kompanie zeigt vor allem eine deutliche Affinität zu Harmonie – oder anders: Suche nach Harmonisierung. Tänzer und Tänzerinnen finden sich von der großen zu kleinen Gruppen und Duetten zusammen, stets im ausbalancierten Miteinander, kaum, dass einmal Spannung, gar Gewalt angedeutet wird. Was in "Mana" passiert, wirkt wie ein Gegenentwurf zu dem spannungsreichen, oft auch spürbar offensiven Alltag dieses Landes.

Neben diesen physische Stärke demonstrierenden, virtuosen und harmonischen Körperbildern zeigen eine ganze Reihe jüngerer Choreographen ganz andere Produktionen. Yossi Berg und Oded Graf etwa mit ihrem amüsanten Männerstück "4 Men, Alice, Bach and the Deer".

Die überzeugendste Arbeit zeigten jedoch Niv Sheinfeld und Oren Laor mit ihrem Trio "Big Mouth". Beginnen mit Volkstanzmusik und –schritten, die langsam ins Militärische übergehen. Assoziieren eine, wenn auch sehr subtile Nähe zwischen der eigentlichen positiven Gemeinschaftsbildung durch den in Israel sehr populären Volkstanz und der durchaus problematischen Art der Zwangsgemeinschaftsbildung des Militärs.

Keren Levi, als zentrale Figur gekleidet in einen mittellangen, blauen Rock und weiße Bluse (die Farben der israelischen Flagge) öffnet in einer Szene zu Musik aus dem militärischen Kontext langsam den Mund. Erst vermutet man atemlose Begeisterung, schließlich, in der endgültigen Verzerrung, die Edward Munchs Bild "Der Schrei" ähnelt, nur noch Schmerz – am Ende scheint man in einen Abgrund von Verzweiflung (eines Volkes?) zu schauen.

In dieser (sehr bewegenden) wie in allen anderen Szenen arbeiten Oren Laor und Niv Sheinfeld gekonnt an den Grenzen zwischen Affirmation und Ablehnung, Begeisterung und Verzweiflung. Auf äußerst kluge und subtile Art und Weise zeigen sie Ambivalenzen und vielschichtige Gefühlslagen, die in der Auseinandersetzung mit der Realität des eigenen Landes und seiner Bewohner entstehen.

Mit Künstlern wie Oren Sheinfeld, Oren Laor, Keren Levi, aber auch Dana Yahlomi und Omer Krieger von der Gruppe Public Movement (dieses Mal nicht auf der Exposure vertreten) zeigt sich eine neue Tendenz in Israels Tanz- und Performance-Szene: eine zugleich kritisch und affirmative Subtilität, die die Komplexität der israelischen Realität mit starkem künstlerischen Zugriff und Gestaltungswillen aufgreift und Fragen an die Ambivalenzen der eigenen Gesellschaft aufwirft, ohne die Antwort darauf bereits vorzuformulieren, ohne die eigene Welt in einfaches Schwarz-weiß, Gut-böse zu unterteilen. Intelligente und interessante Künstler, von denen in Europa hoffentlich bald mehr zu sehen sein wird.