Tanzkultur und Politik

Raven für eine bessere Welt

06:41 Minuten
Raver vor der Siegessäule anlässlich der Love Parade 2001 in Berlin-Tiergarten. Das Foto zeigt den Techno-Umzug mit Hunderttausenden von Menschen im Juli 2001 in Berlin.
Friede, Freude, Eierkuchen - das Motto der Love Parade in Berlin (hier 2001). Ob das damals als politische Botschaft durchging oder nicht: Es wirkte verbindend. © imago stock & people/Sven Lambert
Von Florian Fricke · 30.04.2019
Audio herunterladen
Gegen Rechts, gegen Gentrifizierung, gegen Abschiebungen - es gibt vieles, gegen das sich nicht nur auf die Straße gehen, sondern auch tanzen lässt. Wie politisch öffentlicher Tanz und Partys sind, zeigt die Ausstellung "The Dance of Urgency" in Wien.
"I really had the best time of my life, during '99…"
Bogomir Doringer, der Kurator der Ausstellung "Dance of Urgency" im "Q21" in Wien, kann selbst auf eine bewegte Club-Vergangenheit zurückblicken. Doringer wuchs zur Zeit der Jugoslawienkriege in Serbien auf. Just als er 16-jährig begann auszugehen, wird Belgrad von der Nato bombardiert:

"Du verstehst ganz schnell, dass das ganz normal ist, die Tanzfläche als Mittel gegen diese existentielle Bedrohung. Tanzen, um den Tod zu verhöhnen, als wäre es der letzte Tag deines Lebens. Das tat gut. Ich war wirklich froh, dass jemand diese Party ins Leben gerufen hatte, wir alle schrien vor Euphorie. Wir hielten uns für cool, aber eigentlich hatten wir die Hosen voll."

Die Kraft, die einen auf die Tanzfläche schiebt

Bogomir Doringer zog nach dem Sturz von Milošević in die Niederlande, studierte Kunst und tanzte weiter. Doch nach endlosen durchgemachten Nächten fragte er sich immer öfter, welche Kraft ihn wohl immer wieder auf die Tanzfläche schiebt. Daraus resultierte die Ausstellung "I dance alone", für die er Dancefloors aus der Vogelperspektive filmte, um das Tanzverhalten der Partygänger besser verstehen zu können.
"The Dance of Urgency" ist nun die Fortsetzung seiner künstlerischen Forschung:

"Ich spreche das selten laut aus, aber ich frage mich, ob man am Verhalten einer tanzenden Menge, wie sie wächst und reagiert, ob man an ihr nicht größere Zusammenhänge oder Konflikte herauslesen könnte. Wonach schreien die Raver?"
Und vor allem: Wie alt ist diese Rave-Kultur überhaupt? Eine verblüffende Videoarbeit ist die von Chiara Baldini und Rafael Kozdron über den Dionysos-Kult im alten Griechenland.

Raver in der Antike

Die Anhänger des Dionysos, des Gottes der Fruchtbarkeit und der Ekstase, feierten wilde Feste mit psychedelischen Weinmischungen, lauter rhythmischer Musik und sexuellen Ritualen, die im Verborgenen abliefen. Ziel war es, einen veränderten Bewusstseinszustand zu erreichen. Der Kult wurde immer populärer und schwappte ins Römische Reich über. Dort war es der junge Gott Bacchus, dem gehuldigt wurde.
Chiara Baldini erläutert: "Die Anhänger glaubten an eine egale Gemeinschaft, die sich über die Kategorisierungen einer hierarchisch geprägten Gesellschaft stellte. Es nahmen sogar Sklaven und Migranten teil, was für Rom schon ziemlich radikal war."
Auch Frauen rückten im Bacchuskult immer mehr in den Vordergrund, was die patriarchische Obrigkeit zutiefst verunsicherte, ebenso die genderfluide Einstellung der Bacchus-Anhänger. Der Kult wurde zum Politikum, sagt Chiara Baldini:
"Titus Livius, der die Unterdrückung der Bacchanalia beschrieben hat, spricht von einer Parallelgesellschaft, in der man immer mehr zusammenrückt und intensive Erfahrungen macht. Schließlich fürchten die Senatoren eine Verschwörung, von der wir aber nicht wissen, ob sie einen realen Hintergrund hat, und da wird es interessant. Vielleicht gab es sie ja."

Die Anhänger des Bacchus wurden verfolgt

Der Kult wurde verboten und brutal verfolgt, die Schreine zerstört. Wortwörtlich sprach Titus Livius von einer parallelen Stadt. Dieses Phänomen einer parallelen Stadt findet sich zurzeit auch in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Dort kämpfen die Clubs, allen voran das "Bassiani", und Aktivisten vom White Noise Movement seit Jahren gegen die überaus harten Drogengesetze und für eine offene, inklusive Gesellschaft ohne Homophobie.
Ein Türsteher vor dem Nachtclub Bassiani trägt ein T-Shirt mit dem Motto "We Dance Together We Fight Together?. 
Techno in Tiflis - mit eindeutig politischer Botschaft.© picture alliance / dpa / Claudia Thaler
Im Mai 2018 wurden das "Bassiani" und ein weiterer Club von einer Spezialeinheit der Polizei gestürmt. Auslöser oder vielleicht auch nur Vorwand waren ungeklärte tödliche Drogenfälle, die mit dem "Bassiani" in Verbindung gebracht wurden. Spontan bildete sich noch in derselben Nacht ein Gegenprotest vor dem Parlament. Tausende tanzten das ganze Wochenende lang für ihr Ideal einer raving society. Die Raveolution von Tiflis sorgte für internationale Aufmerksamkeit und Solidarität, die aber nicht verhindern konnte, dass die Bewegung geschwächt aus der Konfrontation mit der Obrigkeit hervorkam.

Erschöpfte Aktivistin

Naja ist eine der Betreiberinnen des "Bassiani". Sie ist mit einer eigenen Videoarbeit über die historischen Ursachen der aktuellen politischen Krise in Georgien vertreten. Der belgische Filmemacher Jan Beddegenoodts hat sie außerdem in einem anderen Film portraitiert, genauso wie DJs aus Palästina, Brasilien und Detroit. Naja ist vom jahrelangen Aktivismus erschöpft. Gerne würde sie Georgien verlassen, um Ruhe zu finden, aber sie kann ihre Ziele nicht verraten.
Für Jan Beddegenoodts ist die westliche Begeisterung für die georgischen Politraver nur logisch. "Partys und Drogen sind Mainstream geworden und immer mehr Raver finden sich in einer nihilistischen Situation wieder. Sie tanzen die Boxen an, aber suchen eigentlich nach dem höheren Sinn des Ganzen. Und den finden sie in den Menschen, die immer noch einen Grund haben zu kämpfen, zu leben, zu tanzen. Daher die ganze Aufregung. Die Leute suchen nach einem guten Grund, um zu tanzen."
Den fanden sie zum Beispiel direkt im Anschluss an die Raveolution in Tiflis. Über 50.000 Menschen protestierten im Berliner Tiergarten gegen die AfD. Erinnerungen an die Love Parade in den 90er-Jahren wurden wach, als der Traum einer Welt greifbar schien, in der vor allem "Friede, Freude und Eierkuchen" zählen, wie es ein Motto von Love Parade-Gründer Dr. Motte suggerierte.
Heute sorgen Bündnisse wie Reclaim Club Culture für ein neues politisches Bewusstsein innerhalb der Szene. Das mag nicht neu sein, aber für den Moment inspirierend. Denn die freie Gesellschaft, sie ist und bleibt nicht gottgegeben. Selbst im götterfürchtigen Rom war Bacchus schließlich machtlos gegen die Reaktion der herrschenden Kaste.

"Dance of Urgency" ist noch bis zum 1. September 2019 im "frei_raum Q21 exhibition space" in Wien zu sehen.

Mehr zum Thema