Tanzen nach Gefühl
Zum 24. Mal findet das Festival "Tanztheater International" in Hannover statt, auf dem Kompanien für zeitgenössischen Tanz auftreten. Nicht immer kommt es auf Perfektion an: Eine belgische Gruppe lässt auch Laien auf die Bühne, ein Schweizer Choreograf setzt auf Improvisation.
"Rennen" - zuviel versprochen hatte die belgische Gruppe "Kopergietery” mit dem Titel ihrer aktuellen Produktion sicher nicht. Wenn die 19 Jungen und Männer im Alter zwischen acht und 31 Jahren anfangs minutenlang zur dröhnenden Musik zwischen Publikum und hinterem Bühnenrand hin- und herlaufen, muss man sogar befürchten, dass diese gleichförmige Betriebsamkeit noch eine knappe Stunde andauern könnte. Aber die strenge Formation löst sich allmählich auf: Individuen bilden sich heraus, bleiben kurz mal stehen oder beschleunigen ihre Schritte, laufen entgegengesetzt, einige Akteure marschieren als Duo nebeneinander.
Und dann werden zu populären Musiken auch ganz eigenständige Szenen präsentiert: Rangeleien zwischen den Männern oder eine Schlacht, bei der angebissene Äpfel als Wurfgeschosse dienen. Schön, wenn es zwischendurch auch mal ruhig ist - dann hört man nur das Keuchen der strapazierten Tänzer. Und in einer Szene stimmen sie die belgische Hymne an.
Mit der einen Hand fasst sich jeder feierlich ans Herz, die andere liegt über dem Schritt des Nebenmanns, sehr zur Gaudi des Publikums - das auch staunt, wenn plötzlich eine attraktive junge Frau über die Bühne stolziert und das vermeintlich starke Geschlecht um sie wirbt. Wird hier also einen Abend lang das ironische Bild einer Männergesellschaft entworfen?
Entstanden ist diese Inszenierung in Gent auf einem alten Fabrikgelände, der "Kupfergießerei”, das in ein Veranstaltungszentrum vor allem für Jugendliche umgewandelt wurde - und in einen Ort eigener theatralischer Versuche, mit denen man dann auch auf Tournee geht. Allenfalls zwei oder drei Tanzprofis gesellen sich zu den Laien - und einen solch frischen, amateurhaften Charme strahlt diese Inszenierung tatsächlich aus. Ein lebhafter Auftakt dieses Festivals, das sich seit fast einem Vierteljahrhundert um tänzerische Ausrufezeichen bemüht.
Der Bundeskulturstiftung musste man zwecks Förderung ein bestimmtes Programm-Thema nennen: Man entschied sich in Hannover für die Präsentation der belgischen Tanzszene. Christiane Winter, langjährige Chefin von "Tanztheater International”:
"Belgien hat in den 80er-Jahren hervorragende Produktionen herausgebracht, und das ist die ganze Zeit über so geblieben. Wir haben nach wie vor eine starke belgische Präsenz im Tanz, und dem bin ich nachgegangen."
Den stolzen Hinweis "deutsche Erstaufführung” findet man im aktuellen Programmheft nicht mehr - was nicht heißt, dass die hier auftretenden Gruppen bloß auf Durchreise wären. Wenn eine Produktion wie "Accords” gerade erst in der Bundeshauptstadt vorgestellt wurde, so ist das eine Ausnahme. Aber auch das hannoversche Publikum zeigte sich begeistert über den Versuch, die Tänzer zu vorgegebenen Musikstücken improvisieren zu lassen - es gibt im Ensemble allenfalls Rahmenabsprachen. Choreograf Thomas Hauert:
"Ich bin aus Erfahrung überzeugt, dass man durch Improvisation interessantere Bewegungen erfinden und tanzen kann. Denn wenn man Bewegungen festlegt, geht es durch den Filter des Bewusstseins, und dann muss man notgedrungen vereinfachen – und das will ich mit der Improvisation umgehen."
Mal sind die Bewegungen entfesselt, dann wieder erscheinen sie verlangsamt in einer poetischen, gelegentlich fast sakralen Atmosphäre. Auch zu Songs, die die Akteure auswendig gelernt haben, wird getanzt - der Zuschauer hört die Musik dann aber nicht, er kann sie sich nur vorstellen. Selbst zu Vogelgezwitscher bewegt man sich und ist einen spannungsvollen Abend lang immer weit von Bewegungsklischees und allzu harmonischer Choreografie entfernt.
Die seit 1998 bestehende Gruppe "Zoo” und ihr Schweizer Choreograf Thomas Hauert passen gut zum Schwerpunkt dieser Festivalausgabe, bei der auch viel über die Förderung der Tanzkunst in Deutschland und beim belgischen Nachbarn gesprochen wird. Hauert tanzte drei Jahre lang in der Compagnie von Anne Teresa De Keersmaeker und kennt sich aus in dem Nachbarland. Die dortige Szene mit den Spielstätten und Fördermöglichkeiten empfindet er als fruchtbar - dämpft aber die Euphorie, die man aus Deutschland gern in sie hineinprojiziert:
"Belgien exportiert Tanz – er ist das Aushängeschild der belgischen Kultur geworden. De facto aber ist der Tanz immer noch unterfördert und bekommt viel weniger Geld als die Oper und alle Theater zusammen. Das ist immer noch ein Problem."
Eine Diskussionsveranstaltung war dem Vergleich Deutschland-Belgien vorbehalten – und der Notwendigkeit, den modernen Tanz stärker zu fördern. Die jeweiligen Standorte mit den Festivals und Produktionshäusern gelte es kulturpolitisch zu festigen. Von großangelegten Konzepten war die Rede: dem "Masterplan" für die Szene in Flandern und dem von der Kulturstiftung des Bundes initiierten "Tanzplan Deutschland" mit seinen vielfältigen Projekten. Allerdings, so Guy Gypens, Theaterleiter aus Brüssel, dürfe man nicht bloß auf die Produktionsseite schauen: Für jungen, innovativen Tanz gebe es viel zu wenig Publikum, hier sei mehr Vermittlungsarbeit nötig. Über zu geringes Interesse kann sich das kleine Festival in Hannover zum Glück nicht beschweren.
Service:
Das "Tanztheater International" findet noch bis Samstag, den 12. September 2009 in Hannover statt.
Und dann werden zu populären Musiken auch ganz eigenständige Szenen präsentiert: Rangeleien zwischen den Männern oder eine Schlacht, bei der angebissene Äpfel als Wurfgeschosse dienen. Schön, wenn es zwischendurch auch mal ruhig ist - dann hört man nur das Keuchen der strapazierten Tänzer. Und in einer Szene stimmen sie die belgische Hymne an.
Mit der einen Hand fasst sich jeder feierlich ans Herz, die andere liegt über dem Schritt des Nebenmanns, sehr zur Gaudi des Publikums - das auch staunt, wenn plötzlich eine attraktive junge Frau über die Bühne stolziert und das vermeintlich starke Geschlecht um sie wirbt. Wird hier also einen Abend lang das ironische Bild einer Männergesellschaft entworfen?
Entstanden ist diese Inszenierung in Gent auf einem alten Fabrikgelände, der "Kupfergießerei”, das in ein Veranstaltungszentrum vor allem für Jugendliche umgewandelt wurde - und in einen Ort eigener theatralischer Versuche, mit denen man dann auch auf Tournee geht. Allenfalls zwei oder drei Tanzprofis gesellen sich zu den Laien - und einen solch frischen, amateurhaften Charme strahlt diese Inszenierung tatsächlich aus. Ein lebhafter Auftakt dieses Festivals, das sich seit fast einem Vierteljahrhundert um tänzerische Ausrufezeichen bemüht.
Der Bundeskulturstiftung musste man zwecks Förderung ein bestimmtes Programm-Thema nennen: Man entschied sich in Hannover für die Präsentation der belgischen Tanzszene. Christiane Winter, langjährige Chefin von "Tanztheater International”:
"Belgien hat in den 80er-Jahren hervorragende Produktionen herausgebracht, und das ist die ganze Zeit über so geblieben. Wir haben nach wie vor eine starke belgische Präsenz im Tanz, und dem bin ich nachgegangen."
Den stolzen Hinweis "deutsche Erstaufführung” findet man im aktuellen Programmheft nicht mehr - was nicht heißt, dass die hier auftretenden Gruppen bloß auf Durchreise wären. Wenn eine Produktion wie "Accords” gerade erst in der Bundeshauptstadt vorgestellt wurde, so ist das eine Ausnahme. Aber auch das hannoversche Publikum zeigte sich begeistert über den Versuch, die Tänzer zu vorgegebenen Musikstücken improvisieren zu lassen - es gibt im Ensemble allenfalls Rahmenabsprachen. Choreograf Thomas Hauert:
"Ich bin aus Erfahrung überzeugt, dass man durch Improvisation interessantere Bewegungen erfinden und tanzen kann. Denn wenn man Bewegungen festlegt, geht es durch den Filter des Bewusstseins, und dann muss man notgedrungen vereinfachen – und das will ich mit der Improvisation umgehen."
Mal sind die Bewegungen entfesselt, dann wieder erscheinen sie verlangsamt in einer poetischen, gelegentlich fast sakralen Atmosphäre. Auch zu Songs, die die Akteure auswendig gelernt haben, wird getanzt - der Zuschauer hört die Musik dann aber nicht, er kann sie sich nur vorstellen. Selbst zu Vogelgezwitscher bewegt man sich und ist einen spannungsvollen Abend lang immer weit von Bewegungsklischees und allzu harmonischer Choreografie entfernt.
Die seit 1998 bestehende Gruppe "Zoo” und ihr Schweizer Choreograf Thomas Hauert passen gut zum Schwerpunkt dieser Festivalausgabe, bei der auch viel über die Förderung der Tanzkunst in Deutschland und beim belgischen Nachbarn gesprochen wird. Hauert tanzte drei Jahre lang in der Compagnie von Anne Teresa De Keersmaeker und kennt sich aus in dem Nachbarland. Die dortige Szene mit den Spielstätten und Fördermöglichkeiten empfindet er als fruchtbar - dämpft aber die Euphorie, die man aus Deutschland gern in sie hineinprojiziert:
"Belgien exportiert Tanz – er ist das Aushängeschild der belgischen Kultur geworden. De facto aber ist der Tanz immer noch unterfördert und bekommt viel weniger Geld als die Oper und alle Theater zusammen. Das ist immer noch ein Problem."
Eine Diskussionsveranstaltung war dem Vergleich Deutschland-Belgien vorbehalten – und der Notwendigkeit, den modernen Tanz stärker zu fördern. Die jeweiligen Standorte mit den Festivals und Produktionshäusern gelte es kulturpolitisch zu festigen. Von großangelegten Konzepten war die Rede: dem "Masterplan" für die Szene in Flandern und dem von der Kulturstiftung des Bundes initiierten "Tanzplan Deutschland" mit seinen vielfältigen Projekten. Allerdings, so Guy Gypens, Theaterleiter aus Brüssel, dürfe man nicht bloß auf die Produktionsseite schauen: Für jungen, innovativen Tanz gebe es viel zu wenig Publikum, hier sei mehr Vermittlungsarbeit nötig. Über zu geringes Interesse kann sich das kleine Festival in Hannover zum Glück nicht beschweren.
Service:
Das "Tanztheater International" findet noch bis Samstag, den 12. September 2009 in Hannover statt.