Tanz, wegrationalisiert

Von Wiebke Hüster |
Tänzer werden geprüft und beiseite geschickt, Menschen in grauen Anzügen schlürfen Espresso und bewegen imaginäre Mäuse, bis sie urplötzlich aufspringen und lostanzen. Logisch und nachvollziehbar ist die Aneinanderreihung von Szenen jedenfalls nicht, die Susanne Linke in Bonn präsentiert hat.
Um mehr als eine Gelegenheitsarbeit handelt es sich bei dieser knapp 50-minütigen Szenencollage kaum. Auf der Bühne herrscht die übliche Tanztheatergeschäftigkeit. Fünfzehn Tänzer in Trainingskleidung wärmen sich auf, unterhalten sich, dehnen ihre Glieder, während das Publikum langsam die Reihen im Alten Malersaal füllt. Ein Paar beginnt, eine kleine einfache Schrittkombination wie aus dem Jazzdance vorzuführen, kommt damit an den vorderen Bühnenrand, dreht sich um, tanzt mit dem Rücken zum Publikum dieselbe Phrase. Während dieses ständigen Hin und Her schließen sich immer Tänzer der Gruppe an, bis endlich alle in dem mit einem weißbewölkten hellblauen Himmel ausgemalten Saal tanzen.

Doch plötzlich brechen schwarz gekleidete geschäftsmäßig auftretende Menschen in diese friedliche Probensituation ein. Nun werden die Tänzer begutachtet, abgeschätzt, kommentiert, mit einem Achselzucken beiseite geschickt. Manchem Mädchen schauen die männlichen Prüfer erst richtig hinterher, nachdem es aufgehört hat, vorzutanzen. Das schnell herbeigerückte kalte Buffet essen die Gutachter leer, noch bevor die Tänzer sich umgezogen haben.

In der nächsten Szene protestieren die Tänzer gegen die Tanzpolitik ihres Bonner Intendanten Klaus Weise, der sich von seinem Choreographen Kresnik zum Ende der laufenden Spielzeit trennt und danach diese Sparte mit Gastspielen abdecken will. "BMW", Bonn macht weise, Ballett muss weg, skandieren sie.

Offenbar ist der Tanz in Susanne Linkes Stück nach dieser Szene wegrationalisiert, denn fortan tritt das gesamte Ensemble in grauer Bürokleidung an. Die Frauen stöckeln über die Bühne, schlürfen Espresso und bewegen imaginäre Mäuse vor imaginären Computerbildschirmen hin und her oder halten sich Handys ans Ohr. Irgendwann jedoch reißt es sie wieder von den Stühlen und sie tanzen, als habe ihnen dies keine Choreographin diktiert, sondern als überkäme sie urplötzlich das unwiderstehliche Bedürfnis dazu.

Das abrupte Ende der Geschichte folgt ebenso wenig logisch. Ein Mann knallt seinen Aktenkoffer vorne auf einen Tisch, entnimmt ihm Champagner und Glas, prostet in die Runde und verkündet lächelnd, nun seien sie alle frei. Eine Projektion auf dem weißen Tanzteppich zeigt fliegende schwarze Vögel vor einem grau verschleierten Himmel.

Am Ende weiß man gar nicht mehr, was der Abend bedeuten soll: Vage Kritik am Kapitalismus, der in seinem Rationalisierungsbestreben eine so sensible Kunstform wie den Tanz bedroht, an einer Tanzwissenschaft, die ihren Gegenstand mit unverständlichem Geraune umstellt, bis er vollends unkenntlich geworden ist? Seine Fans kann man sich eben nicht aussuchen. Seine Tanzdramaturgen hingegen schon. Susanne Linke war schon besser beraten.

Urauffführung "It's wonderful"
Tanzszenen von Susanne Linke mit Tänzern und Tänzerinnen des Choreographischen Theaters Johann Kresnik
Premiere 21.9.2007 Alter Malersaal, Theater Bonn
Choreographie und Inszenierung: Susanne Linke
Bühne: Thomas Richter-Forgách
Kostüme: Rupert Franzen
Musikarrangement: Wolfgang Bley-Borkowski